In Bremen werden Plätze für Obdachlose gesucht. Darin sind sich die Fraktionen der Bürgerschaft einig. Doch ausgerechnet jetzt, mit eisigen Temperaturen tagsüber und vor allem nachts, ist ein Streit darüber entfacht, wie die Polizei auf dem Bahnhofsplatz mit Obdachlosen umgeht. Auslöser der Debatte, die am Dienstag die Bürgerschaft erreichte, sind Vorwürfe der Fraktion Die Linke. Die spricht von einem Verdrängungsprozess und wirft der Polizei vor, Obdachlose am Bahnhof zu schikanieren. Innenstaatsrat Thomas Ehmke wies dies als abwegige Unterstellung zurück.
Im vergangenen Jahr hat die Innenbehörde das „Programm für mehr Sauberkeit, Sicherheit und Aufenthaltsqualität am Bahnhof“ initiiert. Weg vom Schmuddelimage, Bremens Bahnhof soll zur Visitenkarte der Stadt werden. Den Obdachlosen, für die der Hauptbahnhof ein beliebter Treffpunkt ist, wurde in diesem Zusammenhang zugesichert, sich dort auch weiterhin aufhalten zu dürfen. Aber nur in den Grenzen der Allgemeinverträglichkeit. Wo andere beeinträchtigt würden, müsse und werde die Polizei eingreifen.
Doch nach Angaben der Linken werden die Obdachlosen in jüngster Zeit am Bahnhof in rechtlich bedenklicher Weise von der Polizei verdrängt. Zudem hat die Partei eine Schieflage ausgemacht, was die Zusagen des Senats betrifft, alternative Plätze für Obdachlosen zu schaffen. Hier hinke die Sozialbehörde den Aktivitäten der Innenbehörde weit hinterher, kritisierte Kristina Vogt, Fraktionschefin der Linken in der Bürgerschaftsdebatte.
Ein Aspekt, den auch Bertold Reetz, Bereichsleiter Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission, im Blick hat. Wenn man den Bremer Bahnhof verändern wolle, dann doch bitte mit Augenmaß. „Nur weil man die Wohnungslosen dort systematisch verdrängt, lösen sie sich nicht in Luft auf.“ Ihm zufolge müsse die Stadt Plätze anbieten, an denen sich Wohnungslose aufhalten könnten und von denen man sie vor allem nicht vertreibe.
Jeder Bremer hat das Recht, sich dort aufzuhalten, wo er möchte
„Auch Wohnungslose wollen sich nicht im Geheimen treffen“, betont Reetz. Grundsätzlich habe jeder Bremer das Recht, sich dort aufzuhalten, wo er möchte. Auch für Wohnungslose sei das Areal um den Hauptbahnhof ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Die Innere Mission geht von 500 bis 600 Betroffenen in Bremen aus.
Derzeit gebe es keinen Ort im öffentlichen Raum, an dem Menschen ohne festen Wohnort geduldet zusammen kommen könnten, bestätigt auch Streetworker Jonas Pot D’Or. Der Hauptbahnhof – vorher „öffentliches Wohnzimmer“ – falle nun weg. Alternativen gebe es nicht.
Pot d’Or fordert deshalb, sich dringend um Toleranzräume zu bemühen. „Verantwortliche von Polizei, Wirtschaft, Inneres, Bau und Soziales müssen an einen Tisch.“ Als alternativen öffentlichen Raum nennt er den Nelson-Mandela-Park beim Nordausgang des Hauptbahnhofs, gleich neben dem Antikolonialdenkmal.
Die Innere Mission hat vier Notunterkünfte eingerichtet, berichtet Bertold Reetz. Insgesamt können dort knapp 140 Wohnungslose unterkommen. Voll belegt seien die Unterkünfte derzeit jedoch nicht. Die Gründe dafür seien vielfältig: Obdachlose könnten ihre Hunde nicht mitbringen, hätten Angst, beklaut zu werden, hätten Angst um den Verlust ihrer Platte.
„Aber niemand muss bei Minusgraden auf der Straße schlafen, der nicht will“, sagt Reetz. Selbst bei voller Auslastung der Notunterkünfte sei man an allen Standorten in der Lage, noch weiter aufzustocken. Streetworker der Inneren Missionen fahren derzeit tagsüber bekannte Plätze mit zwei Bussen ab. Zusätzlich ist ein Kältebus der Johanniter im Einsatz und versorgt Obdachlose in den Abendstunden mit Suppe, heißen Getränken, Schlafsäcken und Bekleidung.
Wie ein Sprecher der BSAG mitteilte, setzt auch die Verkehrsgesellschaft ihre Hilfsaktion der Vorjahre fort. Demzufolge können sich Obdachlose in den Fahrzeugen der BSAG seit dem 27. November kostenlos aufwärmen – zunächst bis Ende Februar, aber mit Option auf Verlängerung. Am Nordausgang des Hauptbahnhofs steht außerdem ein beheizter Bus der BSAG bereit, betreut von einer Streetworkerin der Inneren Mission.
Dies alles sei zwar hilfreich, reiche aber nicht aus, kritisiert Landesdiakoniepastor Manfred Meyer. Die aktuelle Kältesituation bringe ein Problem zum Vorschein, was es schon lange in Bremen gebe: „Es braucht dringend mehr Wohnraum für Obdachlose.“
Kälteeinbruch: Wo Obdachlosen geholfen wird
Notunterkünfte:
Rembertiring 49, 40 Plätze (nur Männer)
Auf der Brake 2, 32 – 34 Plätze (nur Männer)
Abbentorstraße 5, 25-27 Plätze (nur Frauen)
Neuwieder Straße 2, 38 Plätze (gemischt)
Auswahl sonstiger Anlaufstellen:
Bahnhofsmission, Bahnhofsplatz 15
Café Papagei, Tagestreff für Wohnungslose,
Auf der Brake 2
Comeback, Tagestreff für suchtkranke Men-schen, Bahnhofsplatz 29
Teestube Hoppenbank, Treff für Menschen aus dem Strafvollzug, Fedelhören 33/34
Bremer Treff, kirchliche Begegnungsstätte für Menschen in Notlagen, Altenwall 29 / Ecke Tiefer
Wärmebus am Nordausgang des Hauptbahnhofs, Theodor-Heuss-Allee /Gustav-Deetjen-Allee
Hinweis für den Umgang mit Obdachlosen:
Wer einen Obdachlosen sieht, der Hilfe benötigt, sollte zunächst versuchen, ihn anzusprechen – nicht aber anzufassen, rät Streetworker Jonas Pot D’Or. Reagiert der Betroffene nicht, solle die Polizei verständigt werden. Vor allem nachts seien Vereine und Einrichtungen meist nicht in der Lage zu reagieren. Die Polizei hingegen könne die Situation einschätzen und nötige Schritte einleiten.