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Geflüchtete aus der Ukraine "Die Familien sind zerrissen"

Eine ukrainische Familie kehrt nach Schwierigkeiten in Bremen in ihre Heimat zurück – ist das ein Einzelfall oder Zeichen einer größeren Gesamtproblematik?
20.08.2024, 05:00 Uhr
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Von Ragna Herzog

Der Bericht über Viktoria Botvinieva und ihren Mann Konstantin, die mit ihrer Familie wieder in ihre ukrainische Heimat zurückgekehrt sind, hat viele Menschen beschäftigt. Im WESER-KURIER hatte das Ehepaar unter anderem ein Gefühl der Perspektivlosigkeit angeführt, warum sie Bremen den Rücken kehrten und jetzt wieder in Charkiw leben. Mit welchen Problemen haben die ukrainischen Geflüchteten in Bremen zu kämpfen? Ein Überblick.

Wie sind die aktuellen Zahlen zu Geflüchteten?

Insgesamt sind laut der Pressestelle der Senatorin für Arbeit, Soziales, Jugend und Migration seit Kriegsbeginn 2021 16.450 Menschen aus der Ukraine in Bremen aufgenommen worden. 1097 Menschen waren es bislang in diesem Jahr. "Wie viele Menschen davon wieder zurück in ihre Heimat gehen, können wir nicht sagen", sagt Ressortsprecher Bernd Schneider. Eine Abmeldepflicht gebe es nicht.

Gibt es ausreichend Hilfsangebote?

Pastor Andreas Hamburg von der St. Markus-Gemeinde in Bremen ist selbst in der Ukraine geboren und stark in der ukrainischen Gemeinschaft in Bremen integriert. "Alle Ukrainer, die ich kenne, sind sehr glücklich über die umfangreiche Hilfe, die sie hier bekommen."

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) erklärt dazu: "Das Programm zur Integration in Bremen ist vielfältig." Auch von russischen und ukrainischen Mitbürgern, die schon länger in Bremen leben, gäbe es umfangreiche Hilfen. "Nur im Bereich der Sprachkurse haben wir die Rückmeldung, dass es teilweise schwer ist, einen Kurs zu finden."

Wie hoch ist die Belastung für Geflüchtete durch den anhaltenden Krieg?

"Sie müssen sich vorstellen, dass es mittlerweile in jeder Familie durch den Krieg entweder einen Toten, einen verwundeten Soldaten oder mindestens eine Person gibt, die aktuell an der Front kämpft", erklärt Anastasiya Alhadaay, Vorstandsvorsitzende des deutsch-ukrainischen Freundschaftsvereins "Unity Center UA". Diese enorme psychische Belastung sei dauerhaft bei den Betroffenen vorhanden. "Sie stehen täglich 100 Prozent unter Stress", berichtet die 32-Jährige. "Dazu kommen teilweise starke psychische Auffälligkeiten bei den Kindern. Ich weiß von Kindern, die jahrelang nicht mehr gesprochen haben." In diesem Bereich gebe es bis auf eine ukrainisch sprechende Kinder- und Jugendtherapeutin gar keine Hilfe für die Betroffenen.

Wie sieht die berufliche Perspektive für die Geflüchteten aus?

"Es gibt viele Menschen, die viel Glück hatten, nachdem sie herkamen und in einem Job, der ihren Qualifikationen entspricht, angekommen sind", sagt Alhadaay. Auch Andreas Hamburg sagt, er kenne viele Facharbeiter und Akademiker, die in ihrer neuen Heimat Bremen einen adäquaten Beruf gefunden hätten. "Aber das geht längst nicht jedem so", bemerkt Alhadaay. "Alle Ukrainer, die nach Bremen kommen, möchten sich für die Hilfen, die sie bekommen, erkenntlich zeigen und gerne im Rahmen ihrer Qualifikation der Stadt Bremen etwas zurückgeben", erklärt sie. Den meisten würde generell – egal welche Ausbildung sie besäßen – ein Job in der Pflege oder Kantine durch das Jobcenter nahegelegt werden. Schwierig sei die Situation auch für Jugendliche, die aufgrund fehlender Sprachkenntnisse keinen Schulabschluss machen könnten.

Wie verbreitet sind Anfeindungen und Mobbing?

Von Problemen mit Mobbing oder Ausgrenzung gegenüber ukrainischen Menschen können wir nichts berichten", erklärt die AWO. Pastor Hamburg startete für den WESER-KURIER eine Umfrage in seinem Umfeld. Die Rückmeldungen überraschten den Pastor. "Eine Frau berichtet von Beschimpfungen eines russischen Wächters in ihrer Notunterkunft. Und viele schreiben, dass ihre Autos bespuckt werden." Und das sei nicht alles. Eine ukrainische Frau sei von Syrern in ihrer Notunterkunft mehrfach als "Selenskyj-Hure" beschimpft und auf der Straße von einem Russland-Deutschen angefeindet und angerempelt worden. "Ich wusste nicht, dass es so schlimm ist", sagt Pastor Hamburg. Anastasiya Alhadaay hört von vielen Geflüchteten, dass es Probleme mit russischen Übersetzern gäbe, an die sich die Ukrainer wenden müssten. "Teilweise wird die Übersetzung sehr schlecht, extra falsch oder gar nicht bearbeitet", so die 32-Jährige.

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Wie viele Familie kehren in die Ukraine zurück und was sind die Gründe?

Pastor Hamburg weiß von drei Familien, die in die Ukraine zurückgekehrt sind. Alhadaay schätzt, dass rund zehn Prozent der nach Bremen Geflüchteten wieder zurückkehren. Die Mitarbeiter der AWO bestätigen das. Ein wichtiger Grund sei vermehrt das Heimweh, berichten Hamburg, Alhadaay und die AWO gleichermaßen. "Die Familien sind zerrissen. Wird der Trennungsschmerz zu groß, entscheiden die Betroffenen, zurückzugehen." Pastor Hamburg weiß: "Manche haben so große Sehnsucht nach ihrer Heimat, dass sie sogar direkt ins Kriegsgebiet zurückziehen."

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