Fachkräftemangel herrscht in Kitas und Lehrerzimmern. Wie muss heute Ersatz für die in Rente gehende Boomer-Generation rekrutiert werden?
Sascha Aulepp: Es gibt Probleme, aber ich bin durchaus stolz auf das, was wir hier geschafft haben. Wir haben die meisten Lehrerstellen mit grundständig ausgebildeten Kräften besetzen können. Ich war vorige Woche bei einem Termin des Stiftungsverbandes in der Handelskammer. Da hat eine Kollegin gesagt, Bremen ziehe nach wie vor viele Lehrkräfte an, die sich aus Niedersachsen hierher bewerben. Und wenn die Wissenschaft das so sagt, glaube ich das erst einmal. Bei derzeit 1,5 Prozent unbesetzter Lehrerstellen in Bremen bekommen die Kollegen in Berlin und Hamburg feuchte Augen.
Mit dem Programm "Back to School" umwerben Sie gezielt Quereinsteiger. Wie erfolgreich ist das bislang?
Das hat gigantisch eingeschlagen. Mehr als hundert Menschen sind bereits in unseren Schuldienst eingestiegen, und wir bekommen weiterhin Bewerbungen. Zum 1. August wird es eine weitere Kampagne und sicher dann auch eine Einstiegswelle geben. Die Rückmeldungen aus den Schulen sind auch toll, weil die Quereinsteiger für den Unterricht brennen.
Was sind das überwiegend für Menschen?
Das sind Menschen, die ein Fachstudium absolviert haben. Da sind Naturwissenschaftler dabei, Menschen, die Sprachen studiert haben oder etwas mit Musik und Kunst.
Gerade die Naturwissenschaften gelten ja als schwierig - nicht nur als Lernfächer, sondern auch beim Rekrutieren von Lehrkräften. Und das läuft gut?
Ja, da sind etliche dabei. Natürlich gibt es auch Auseinandersetzungen darüber, wen wir eigentlich in den Schuldienst holen wollen. Aber am meisten gefreut habe ich mich über die Kritik der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft): Die haben gefragt, ob 30 Prozent mehr Referendare doch nicht ein bisschen zu viel neues Personal wären.
Ernsthaft?
Das war die erste Reaktion der GEW auf die Ankündigung, wir werden jetzt alle Bewerber auch einstellen.
Elternvertreter beklagen trotzdem, dass vor allem pädagogische Mitarbeiter, Studierende, Übungsleiter oder ausländische Lehrkräfte ohne vollständige Lehrbefähigung zum Lückenfüllen kämen. Auf Dauer reiche das nicht.
Wenn wir nicht genügend grundständig qualifizierte Lehrkräfte haben, dann ist es eben notwendig und auch besser, anders qualifizierte Menschen in den Schuldienst zu holen. Und wenn wir angehende Lehrer in den Unterricht holen, ist das natürlich für die Studierenden gut, bindet sie aber auch schon mal an die jeweilige Schule.
Es gibt also tatsächlich einen Klebeeffekt, wie früher bei Zivildienstleistenden und Pflegeeinrichtungen?
Genau, den gibt es. Aber natürlich braucht es vor allem in den Schulen, in denen die Kinder ein besonderes Päckchen tragen müssen, auch besonders gut qualifiziertes Personal. Da müssen wir eben auch dafür sorgen, dass die Kolleginnen und Kollegen dort hinkommen. In der Grundschule am Wasser in Vegesack etwa ist es uns gelungen, da deutlich nachzulegen.
Die hatten sich aber auch mehrfach beklagt.
Ja, die Leiterin des Zentrums für unterstützende Pädagogik macht da gerade drei Jobs. Denn eigentlich muss es auch noch eine Schulleitung und eine stellvertretende Schulleitung geben. Da wird gerade Außerordentliches geleistet!
Und wenn die über Jahre drei Jobs gleichzeitig erledigen, brennen sie absehbar aus.
Richtig, und deshalb wird dort jetzt auch die stellvertretende Schulleiterstelle besetzt, bei der Schulleitung müssen wir schnell nachziehen.
Problemquartiere befürchten zudem, abgehängt und ungleich behandelt zu werden. Versetzen Sie denn auch mal Lehrer aus Schwachhausen oder Borgfeld nach Gröpelingen, Blumenthal oder Kattenturm?
Das tun wir. Und wir sagen den Lehrkräften, dass sie sich nicht darauf verlassen können, ihre jetzige Position auf immer und ewig zu behalten. Es findet eine zentrale Steuerung statt, und manche Lehrkräfte überlegen auch von sich aus, ob eine Versetzung nicht auch eine Chance ist. Die wollen das zumindest für zwei oder drei Jahre mal ausprobieren. Wenn die dann im Kollegium erleben, wie engagiert die anderen sind und was für tolle Kinder das sind, erzeugt das eben auch einen Klebeeffekt.
Vermutlich kommt Ihnen auch entgegen, dass inzwischen 92 Prozent der Lehrkräfte verbeamtet sind.
Na klar. Die Sicherheit, die eine Verbeamtung mit sich bringt, beinhaltet eben auch eine gewisse Verpflichtung. Aber da verhalten sich die Lehrkräfte auch entsprechend.
Und die GEW hält still?
Die Forderung lautet: "Tu was für die Schulen, die es schwer haben." Das mache ich gerne, aber dann muss ich im Zweifelsfall eben auch mal mit verstärkter Höflichkeit argumentieren.
Das ist nett ausgedrückt.
Man muss eben auch mal den Rücken gerade machen. Aber wenn es dazu führt, dass Kollegen sich zumindest eine Zeit lang darauf einlassen und erst dann einen Rückkehrwunsch äußern, ist das der richtige Weg.
An manchen Schulen haben oft bis zu 80 oder 90 Prozent der Kinder Elternhäuser, in denen kaum Deutsch gesprochen wird. Wie können die diesen Startnachteil je aufholen?
Sprache ist entscheidend für schulischen Erfolg. Deswegen können wir nicht erst in der Grundschule damit anfangen. Die Kinder müssen eine Kita besucht haben, und wenn das nicht reicht, müssen sie durch besondere Angebote an den Gruppenalltag und die deutsche Sprache herangeführt werden. Allerdings fehlen auch hier Fachkräfte.
Stichwort Inklusion: Die hat sich Bremen ja schon vor Jahren groß auf die Fahnen geschrieben. Aber was ist angesichts von Personalmangel und Mittelknappheit überhaupt möglich?
Früher hieß es, wir wollen, dass alle Kinder gemeinsam beschult und je nach ihren Bedarfen unterstützt werden. Bei uns machen 60 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen allgemeinbildenden Schulabschluss. In Bayern sind es nicht einmal 20 Prozent. Aber das muss man auch so bewerkstelligen, dass es für die Kollegien tragbar und für die Kinder wirklich gut ist.
Können Sie denn zusagen, dass alle Kinder, die quasi eine Einzelbetreuung brauchen, diese auch erhalten?
Wir haben Personalmangel auch bei den persönlichen Assistenzen. Wir müssen also schauen, welche Kinder möglicherweise auch mal eine vorübergehende Auszeit von ihrer Regelschule brauchen. Eine Abteilung dafür haben wir gerade im Bremer Norden aufgebaut. Da darf man jetzt nicht ideologisch kritisieren, weil es nicht den Reingedanken der Inklusion entspricht. Es geht darum, was die Kinder brauchen.
Kommen wir zur Hardware, zu den oft maroden oder noch komplett fehlenden Schulgebäuden. Der Zentrale Elternbeirat (ZEB) forderte jüngst die Gründung einer Bremer Schulbau-GmbH, die Grundstücke aufkauft, bebauen lässt und dann die Gebäude an die Stadt für 30 Jahre vermietet. Genial oder Schnapsidee?
Grundsätzlich brauchen wir eine Lösung im großen Maßstab. Das können wir nicht aus dem laufenden Haushalt finanzieren. Ein großer Erfolg in den gerade laufenden Haushaltsberatungen ist, dass die Investitionskosten für den Schulbau erst einmal zentral bei Senator für Finanzen veranschlagt werden. Die zusätzlichen 70 Millionen Euro im Bildungshaushalt umfassen noch gar nicht, was wir für die Schulgebäude brauchen. Dafür müssen wir andere Lösungen finden.
Da geht es ja auch um ganz andere Summen: Der frühere ZEB-Vorsitzende Martin Stoevesandt hatte den Mittelbedarf für Sanierung und Neubauten mal mit einer Milliarde Euro beziffert. War das übertrieben?
Wenn man betrachtet, was wir noch an neuen Schulen wegen steigender Schülerzahlen bauen müssen, dann sind das schon Summen von vielen Hundert Millionen Euro. Dafür brauchen wir eine Idee, ein Instrument, und dafür kann natürlich so eine Schulbau-Gesellschaft geeignet sein.
Sie selbst wollen 300 Millionen Euro ausgeben, um bis 2028/29 insgesamt 42 neue Kitas für 5000 Kinder zu schaffen. Sind Sie damit im Plan?
Seit ich im Amt bin, sind 2000 zusätzliche Kitaplätze entstanden. Weitere 3000 Kitaplätze sind in der Planung oder auch schon Umsetzung. Auch hier gibt es Überlegungen, eine Gesellschaft zu gründen, die Bildungsimmobilien baut. Im Koalitionsvertrag steht ja auch, dass alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden müssen, um jedem Kind einen Kitaplatz zu ermöglichen.
Welches Ziel wollen Sie bis 2027 unbedingt erreicht haben?
Eben das: keinem Kind die frühkindliche Bildung vorzuenthalten. Dafür müssen wir mehr Personal in die Kitas holen und perspektivisch sogar die einzelnen Gruppen verkleinern.
Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.