Herr Eckhoff, Sie sind vor 30 Jahren Mitglied der CDU-Bürgerschaftsfraktion geworden, waren Fraktionschef sowie Senator und kennen die Partei – auch auf Bundesebene – ausnehmend gut. Hätten Sie damit gerechnet, Ihren Parteichef nach neun Monaten schon wieder loszuwerden oder wie haben Sie Armin Laschets Ankündigung am Donnerstag verstanden?
Jens Eckhoff: Ich habe ihn so verstanden, dass er seinen Rückzug angekündigt hat und anbietet, den Übergangsprozess zu moderieren.
Wäre er nicht gut beraten gewesen, schon Ende September die Verantwortung für das Wahlergebnis zu übernehmen und seinen Rücktritt anzudeuten?
Nein, ich halte den Zeitpunkt für richtig. Die Union musste Ansprechpartner für Sondierungsgespräche stellen. Außerdem ist es zu einfach, den Vorsitzenden allein für das Wahlergebnis verantwortlich zu machen. Die Gründe für unsere schwere Niederlage liegen viel tiefer.
Carsten Sieling, Bürgermeister a. D., wurde vor gut zwei Jahren vorgeworfen, dass er an den Koalitionsgesprächen beteiligt war und erst danach zurückgetreten ist, obwohl die SPD die Wahl verloren hatte.
Sieling hat die Verhandlungen aber bis zum Ende geführt, ohne seine Absicht anzudeuten ...
Armin Laschet bekommt keine Gelegenheit, an ernsthaften Verhandlungen teilzunehmen, weil es dazu offenbar gar nicht kommen wird.
Ich halte Laschets Vorgehen trotzdem für verantwortungsbewusst und richtig. Ein früherer Rücktritt hätte die Misere, in der die Union steckt, nur noch vergrößert. Die Lage ist ernst genug.
Sie meinen die internen Querelen?
Dass ein Jamaika-Bündnis nicht zustande kommt, liegt auch daran, dass aus der Verhandlungsrunde mit der FDP und den Grünen vonseiten der CDU Informationen an die Medien durchgesteckt worden sind. Das ist ein Teil des CDU-Problems. Es ist auf Bundesebene offenbar nicht mehr möglich, vertraulich zu tagen – ob in der Fraktion, im Bundesvorstand oder im Präsidium.
Das ist in Bremen doch nicht anders.
Das war vielleicht mal so, aber wir haben aus den Fehlern gelernt. Ich bin froh, dass aus unseren Sitzungen und Klausurtagungen nichts durchsickert.
Bösartigerweise könnte man einwenden, dass das Interesse an der bremischen CDU vielleicht nicht so groß ist.
Bösartigerweise könnte ich dagegenhalten, dass gerade Ihre Zeitung jede Information aus dieser Runde begierig aufnehmen und verbreiten würde.
Es gab jedenfalls mal Zeiten, in denen Klausuren der CDU Bremen eigens in Räumlichkeiten stattfand, die in einem Funkloch lagen.
Das ist richtig und wäre sicher auch für die Gremiensitzungen der CDU auf Bundesebene ratsam.
Zurück zu Armin Laschet: In der Union ist niemand, der ihn von seinem Rücktritt abhalten wird, oder?
Nein. Er hat das Ergebnis auch mitzuverantworten. Aber wer glaubt, dass damit unser Problem gelöst ist, wird schnell feststellen, dass er sich arg getäuscht hat. Unsere Analysen müssen tiefer gehen, wir müssen aufarbeiten, warum wir in den vergangenen vier Jahren eine schlechte Figur in der Regierung abgegeben haben. Wir müssen ergründen, warum wir gewisse Wählergruppen nicht mehr erreichen. Wir müssen unser Verhältnis mit der CSU klären. Wir müssen die Charaktere, die nur sich selbst darstellen wollen, in den Griff bekommen, damit wir wieder als Team auftreten und überzeugen. Wir haben den zweiten Vorsitzenden innerhalb von drei Jahren verschlissen. Wenn es in dem Tempo weiter geht, machen wir bald dem HSV mit seinen Trainern Konkurrenz.
Welche "Charaktere" meinen Sie? Markus Söder? Friedrich Merz? Jens Spahn? Sie alle?
Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich Markus Söder charakterlich nicht dafür geeignet halte, das Amt des Kanzlers zu übernehmen. Darin werde ich jeden Tag aufs Neue bestätigt. Bei den anderen Namen, die Sie genannt haben, möchte ich auch nicht widersprechen. Gerade wenn Regierungsmitglieder, in deren Kompetenzbereichen die CDU die Wähler offenbar nicht überzeugen konnte, einen Neuanfang fordern, sich selbst aber nicht damit meinen, ist das nicht überzeugend.
Wenn man Armin Laschets sogenannte Parteifreunde hätte, bräuchte man keine Feinde mehr. Wie erklären Sie sich diese Härte?
Wir müssen aufpassen, dass in der Politik die Menschlichkeit nicht unter die Räder kommt. Das gilt nicht nur für die CDU. Auch Andrea Nahles, ehemals SPD-Chefin, bekam Kritik in einer Form ab, für die es keine Rechtfertigung gab. Kritik muss sein, auch deutlich, auch aus den eigenen Reihen, davon lebt die Demokratie, aber sie darf nicht unter die Gürtellinie gehen. Armin Laschet ist in Fettnäpfchen getreten, keine Frage, aber daraus auf seine Art und seine langjährige Arbeit im Ganzen zu schließen, ist falsch und unfair. Er wurde teilweise auf eine Weise dargestellt, vor allem auch in den sozialen Netzwerken, die unerträglich ist. Das politische Geschäft wird immer erbarmungsloser und roher. Man kann froh sein, wenn man noch gute Leute findet, die bereit sind, sich dem auszusetzen.
Über Neuanfänge wird in vielen Parteien geredet, selten merkt man etwas davon. Kann man sich in der Opposition besser erneuern?
Nein. Aber ich bin optimistisch, dass die Union den Ernst der Lage erkennt: Sie hat in den vergangenen Jahren von den Wählern profitiert, die wegen Angela Merkel die CDU gewählt haben. Diese Wähler orientieren sich jetzt neu. Wir müssen ihr Vertrauen zurückgewinnen, an der Basis, in Vereinen und anderen Interessenvertretungen. Wir müssen für junge Leute attraktiver werden, für Frauen, für Menschen mit Migrationshintergrund. Wir brauchen neue Köpfe, neue Ideen und eine neue Art der Ansprache.
Wiebke Winter, Kandidatin im Wahlkreis 55, repräsentiert doch diese CDU: jung, modern, weiblich, Mitbegründerin der Klimaunion. Trotzdem konnte sie den Wahlkreis nicht gewinnen.
Eine Wiebke Winter reicht nicht, um der CDU überzeugend ein junges, modernes Profil zu geben. Das ist ein Anfang, aber es reicht eben noch nicht. Aber Wiebke Winter ist eine Repräsentantin der CDU von morgen.
Welchen Anteil hat Angela Merkel an der Lage? Es drängen sich Parallelen zu Bremen auf: Nachdem sich der ewige Landesvorsitzende Bernd Neumann zurückgezogen hatte, brach Chaos aus. Es kam zu internen Machtkämpfen und regelrechten Schlammschlachten.
Wenn führende Politiker ihre Nachfolge nicht geregelt haben, entsteht ein Vakuum. Das war bei Helmut Kohl so, das war bei Bernd Neumann so, und das ist bei Angela Merkel so. Ihr Nachfolger hat es zusätzlich schwer, weil sie sehr lange im Amt war und Laschet kein Mitglied der Bundesregierung ist. Im Nachhinein betrachtet, wäre es sicher klüger gewesen, wenn sich Angela Merkel schon in der Mitte der Wahlperiode zurückgezogen hätte.
Machen Sie sich ernsthaft Sorgen um die CDU?
Ich mache mir momentan große Sorgen, jedenfalls um die Partei auf Bundesebene. Die Lage ist dramatisch, und wir haben wenig Zeit. Im nächsten Jahr stehen wichtige Landtagswahlen an, unter anderem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Wenn wir dort nicht mehr regieren oder mitregieren, wird es ganz bitter für uns.
Und wie steht es um die CDU Bremen?
Wir sind gut aufgestellt und ziehen an einem Strang. Die Wahl 2023 wird für uns nicht leicht, aber das Verkehrschaos in der Stadt trägt derzeit massiv dazu bei, dass wir im Rennen sind.
Das Gespräch führte Silke Hellwig.