Herr Heßemer: Sie sind vor einem Jahr Chef der Bremer Feuerwehr geworden. Zu einem Zeitpunkt, als gegen mehrere Feuerwehrmänner wegen Rassismus, Sexismus und Homophobie ermittelt wurde. Sie haben die Situation damals als „spannende Herausforderung“ bezeichnet. Wie sehen Sie das heute?
Philipp Heßemer: Es ist immer noch eine spannende Herausforderung. So ein Prozess ist auch nicht innerhalb von zwölf Monaten abgeschlossen. Das ist eine Sache, die die Organisation auf verschiedenen Ebenen tief getroffen hat. Mit den Nachwirkungen wird die Feuerwehr noch einige Zeit zu tun haben.
Was ist aus den vier Beschuldigten geworden, gegen die konkret ermittelt wurde?
Keines dieser Verfahren ist abgeschlossen. Der Mitarbeiter, gegen den das Strafverfahren läuft, ist nach wie vor suspendiert. Eben weil das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Das heißt, er darf nicht arbeiten, bekommt aber volle Bezüge?
Ja. So ist die Rechtslage.
Und wie ist der Stand in den anderen drei Fällen?
Da hat es Disziplinarmaßnahmen in Form von Geldbußen gegeben. Aber dagegen laufen Widersprüche.
Die Männer arbeiten deshalb weiter. Sind sie auf andere Wachen verteilt worden?
Nein. Dafür gibt es zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Berechtigung. Wie gesagt, die Fälle sind nicht abgeschlossen. Ich muss da als Vorgesetzter auch das Neutralitätsgebot im Blick behalten. Diese Offenheit muss man beibehalten, egal wie die Vorwürfe in so einem Verfahren lauten. Es gibt hier aber auch noch eine zweite Ebene.
Die da lautet?
Wir haben alle so eine Art emotionales Unrechtsbewusstsein. Es gibt aber auch die Fakten. Und da muss man dann schon schauen, ob die Strafe, die man vielleicht persönlich als richtig erachten würde, im konkreten Fall auch angemessen ist. Die Vorschriften im Disziplinarrecht geben hier den Rahmen vor. Die Entscheidung hierüber liegt deshalb auch gar nicht so sehr in meinem Ermessen oder in dem der Feuerwehr. Vielmehr ist die Konsequenz, die sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben.
Im Zusammenhang mit dem Skandal war wiederholt von Führungsversagen die Rede. Der Innensenator hat damals gesagt, dass es möglich sein müsse, innerhalb der Feuerwehr ohne Risiko seine Meinung sagen zu können. Was haben Sie in dieser Hinsicht unternommen?
Ich kann das in Phasen einteilen: Die ersten zwei, drei Monate habe ich zunächst bewusst versucht, mich in die Organisation reinzufinden. Viel zugehört und erstmal gar nicht so viel zu senden versucht. Nachdem im Sommer der Bericht der Sonderermittlerin Karin Buse zu den erhobenen Vorwürfen vorlag, haben wir uns dann hingesetzt und im Prinzip die ganzen Themen, die aus Beschlüssen der Innendeputation resultierten, in ein sogenanntes Zielsystem umgesetzt. Da gab es zum Teil sehr abstrakte Punkte, aber auch sehr konkret formulierte.
Zum Beispiel?
Sehr konkret war etwa, dass wir eine Stabsstelle schaffen sollen, die sich mit Antidiskriminierung und Vielfalt beschäftigen soll. Deren Finanzierung ist inzwischen geklärt und die Stelle ausgeschrieben. Die Etablierung einer diskriminierungsfreien und offenen Betriebskultur ist dagegen ein Beispiel für eine abstrakte Aufgabe. Wir haben versucht, jeden Punkt einem Zielsystem zuzuordnen und auf zwei Ebenen zu verlagern. Zum einen gibt es einen Elf-Punkte-Plan für Dinge, die ganz konkret auch kurzfristig umsetzbar sind. Zum anderen haben wir eine zweite Ebene mit Veränderungen, die die Kultur in der Feuerwehr betreffen. Die haben wir an ein längerfristiges Projekt angedockt, das wir „Unsere Feuerwehr 2025“ nennen. Dafür erarbeiten wir unter anderem derzeit ein Leitbild.
Zielsysteme, Umsetzungsebenen, Leitbild … – klingt sehr kompliziert. Im Kern geht es doch um Selbstverständlichkeiten: kein Platz für rassistisches und sexistisches Denken und Handeln in der Feuerwehr.
Diese Dinge sind völlig klar. Wenn Sie auf eine Wachabteilung gehen, wird Ihnen jeder und jede dort bestätigen, dass das, was passiert ist, nicht passieren darf. Die Vorfälle sind Fakt. Das kann niemand wegdiskutieren.
Gewaltfantasien, Mobbing, eine aufgehängte Puppe mit der Uniform einer Feuerwehrfrau in der Fahrzeughalle …
Richtig. So etwas darf nicht sein. Was ich aber trotzdem feststelle, ist, dass die inhaltliche Diskussion, wie sie in der Politik geführt worden ist, den Kern der Feuerwehr nicht wirklich erreicht hat. Auch, weil vieles an Begrifflichkeiten wie etwa „struktureller Rassismus“ aufgehängt wurde.
Also verpuffen die Forderungen am Ende unverstanden?
Nein. Aber ich glaube, es ist noch viel Arbeit erforderlich, um alle Kolleginnen und Kollegen mit dem Kern der Botschaft zu erreichen. Wichtig wäre dabei, die Neugier auf das zu wecken, was eigentlich dahintersteckt.
Fühlten sich Ihre Mitarbeiter ungerechtfertigt an den Pranger gestellt? Oder zu hart kritisiert?
Viele schon. Und ich kann das auch nachvollziehen. Die Feuerwehr Bremen und auch andere Feuerwehrorganisationen unterscheiden sich in ihrer Betriebskultur positiv wie negativ vermutlich in großen Teilen nicht von anderen Einrichtungen, in denen tagtäglich überwiegend Männer zusammenarbeiten.
Nachdem sich zuletzt alles beruhigt zu haben schien, hat die Feuerwehr jetzt erneut für negative Schlagzeilen gesorgt. Im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen und zum Thema Impfverweigerer. Rauft man sich da als Chef die Haare und denkt „Nicht schon wieder“?
Diese Aktion hatte nichts mit der Feuerwehr zu tun und wir haben uns auch klar distanziert. Drei Mitarbeiter der Feuerwehr haben sich auf einer Demonstration für ihre Interessen eingesetzt, nämlich eine freie Impfentscheidung treffen zu können. Dass da auch Leute mitgelaufen sind, die diese Demo für ihre eigenen Zwecke genutzt haben, war ihnen offenbar nicht bewusst.
Unter anderem Rechtsextremisten und "Reichsbürger".
Wer da genau mitgelaufen ist, das weiß ich nicht. Die Mitarbeiter haben sich zeitnah dazu auch geäußert. Ihnen war die Tragweite erst im Nachhinein bewusst und das glaube ich ihnen auch. Trotzdem denke ich mir natürlich: Muss das sein? Warum informiert man sich nicht vorher? Vor allem, wenn ich mich als Feuerwehr Bremen kenntlich machen.
Sie meinen das mitgeführte Schild, auf dem „Feuerwehr Bremen“ stand?
Ja, damit sind sie dort herumgelaufen. Dann muss mir aber auch klar sein, dass ich nicht als Privatperson dastehe, sondern mich öffentlich als Angehöriger der Organisation preisgebe. Und das geht nicht. Den Betroffenen ist aber klar geworden, dass sie sich falsch verhalten haben. Deshalb sind sie von selbst auf ihre Dienststellenleitung zugegangen, um sich zu ihrem Fehlverhalten zu bekennen. Was ich einen guten Schritt fand.
Und das Thema Impfpflicht? 29 ihrer Mitarbeiter sind nach wie vor nicht geimpft.
Zunächst muss man sagen, dass dies bedeutet, dass 96 Prozent unserer Mitarbeiter vollständig geimpft sind. Doch seit dem 15. März besteht gemäß Infektionsschutzgesetz für Gesundheitsberufe, zu denen der Rettungsdienst gehört, die Verpflichtung, der Impfpflicht nachzukommen.
Wie geht es nun weiter?
Das Gesundheitsamt wird sich mit den Betroffenen in Verbindung setzen und ihnen mitteilen, welche Konsequenzen es haben wird, wenn sie sich jetzt nicht rühren. Wenn die Gesundheitsbehörde Beschäftigungs- oder Betretungsverbote ausspricht, müssen wir logischerweise schauen, welche Maßnahmen sich anschließen.
Abgesehen von der Aufarbeitung dieser Vorfälle – was gibt es sonst aus Ihrem ersten Jahr zu berichten?
Da ist vor allem die Inbetriebnahme der großen Feuer- und Rettungswache 7 in Horn-Lehe. Das ist bei aller Freude über die neue Wache auch herausfordernd. Mitarbeiter von anderen Standorten werden sich dorthin verändern müssen, was weitere Personalkonsequenzen zur Folge haben wird. Das wird von den Kollegen natürlich auch mit gewissen Sorgen betrachtet. Darüber muss man reden und Prozesse vereinbaren.
Apropos Personalplanung – wie zufrieden sind Sie mit Ihrer personellen Ausstattung?
Ich finde es gut, dass die Feuerwehr einen klar formulierten Entwicklungsauftrag bekommen hat. Ich fände es aber noch besser, wenn man diesen Auftrag damit flankiert, die Feuerwehr personell und materiell so auszustatten, dass man diese Entwicklung tatsächlich in allen Bereichen vollziehen kann.
Können Sie dies in Zahlen ausdrücken?
Inklusive der für den Haushalt 22/23 genehmigten 58 neuen Stellen haben wir ziemlich genau 700 Mitarbeiter bei der Berufsfeuerwehr. Dazu kommen 650 bei der freiwilligen Feuerwehr. Der Zuwachs ist eine tolle Sache, kann aber nur der Anfang gewesen sein. Wir müssen auch die Arbeit in den Abteilungen stärken. Sie leisten die Unterstützungsprozesse, die die Feuerwehrarbeit draußen auf der Straße erst möglich machen. Dafür haben wir ein Stellenplankonzept geschrieben.
Mit welcher Zielzahl?
Ich denke, wenn man auf circa 870 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Berufsfeuerwehr kommen würde, wäre das eine runde Sache. Natürlich nicht mit einem Mal, man sollte gesundes Wachstum organisieren und sich dafür auch Zeit nehmen, so etwa fünf bis sieben Jahre.
Lassen Sie uns zum Schluss auf den 1. Januar 2023 schauen. Was würden Sie bis dahin gerne erledigt haben?
Ich würde mich sehr freuen, wenn die Wache 7 zu diesem Zeitpunkt besetzt ist und wir im Nachhinein sagen können, dieser Prozess hat gut funktioniert, die Leute waren beteiligt, sie konnten ihre Ideen einbringen. Wenn wir das hinkriegen und die Wache zum 1. Januar oder zum 1. Februar in Dienst gehen kann, wäre ich sehr zufrieden. Natürlich wünsche ich mir auch das klare Signal, dass die Feuerwehr Unterstützung bei der Personalmehrung erhält. Außerdem möchte ich bis dahin Fortschritte erzielen, was unser Leitbild betrifft und hoffe, die restlichen zwei, drei noch offenen Punkte unseres Elf-Punkte-Planes abschließen zu können.