Diesmal wird’s wohl klappen mit dem Ruhestand. Eigentlich war Henning Lühr bereits im Februar vergangenen Jahres als Staatsrat im Finanzressort aus dem Dienst geschieden, mit damals schon 68 Lenzen ja auch keinen Tag zu früh. Dass er trotzdem erst jetzt endgültig geht, hat mit der Bürgerschaftswahl zu tun, die damals bevorstand. Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) trat nicht wieder an, und so erschien es unabhängig vom Ausgang der Wahl sinnvoll, dass in der Spitze der Bremer Finanzbehörde ein Stück Kontinuität erhalten bleibt. Also ließ sich Lühr zu einer Ehrenrunde überreden, die am 31. Juli endet.
Wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag verlässt mit Lühr eine prägende Gestalt die zweite Reihe der Landesregierung. Hinter den Senatoren sind die Staatsräte die eigentlichen Verwaltungschefs der Fachressorts. Sie managen die Abläufe in den Behörden und bereiten in ihrem Zuständigkeitsbereich Entscheidungen für die politischen Spitzen vor. 17 Jahre lang hat Henning Lühr dies in der Finanzbehörde getan, er war zuletzt der Dienstälteste in der Staatsräterunde. Vielleicht sogar im gesamten öffentlichen Dienst Norddeutschlands, denn sein erster Tag als Azubi in der niedersächsischen Landesverwaltung liegt 53 Jahre zurück. Zur historischen Einordnung: Das war vor der Mondlandung, das Farbfernsehen hatte gerade die ersten deutschen Wohnzimmer erreicht.
Für den Landwirtssohn aus Winsen an der Luhe war nach der Realschule zunächst nur der mittlere Dienst vorgesehen. Schnell zeigte sich aber: Lühr konnte mehr und wollte mehr. Als Jahrgangsbester unter 200 Inspektorenanwärtern schlug er den zweiten Bildungsweg ein, bestand die Hochschulzulassungsprüfung und nahm ein Studium der Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaftslehre und Geschichte auf. 1979 trat Henning Lühr dann in den öffentlichen Dienst Bremens ein und durchlief zunächst verschiedene Stationen in den senatorischen Behörden, bevor er 1990 Personalchef der bremischen Verwaltung wurde. Seither betreute er unter anderem den Nachwuchspool für Führungskräfte, zu dem zeitweilig auch ein gewisser Andreas Bovenschulte gehörte, von dem man später noch hören sollte.
2003 dann der Aufstieg zum Staatsrat. Der damalige Bürgermeister Henning Scherf wollte den parteilosen Unternehmer Ulrich Nußbaum als neuen Finanzsenator installieren, der allerdings zu diesem Zeitpunkt von öffentlichen Verwaltungen nicht die allermeiste Ahnung hatte. „Scherf fragte, ob ich mich da vielleicht als Bärenführer betätigen und die Funktion des Staatsrates übernehmen könnte“, erinnert sich Lühr.
Ein holpriger Start
Der Start ins neue Amt geriet allerdings ziemlich holprig. Kaum hatte Lühr den neuen Job angetreten, musste er für einen peinlichen Vorgang geradestehen, der sich in seinem Zuständigkeitsbereich ereignete. Das Finanzressort hatte 17.000 Euro für Vordrucke an die gerade privatisierte Bundesdruckerei zu zahlen, überwies aber versehentlich 1,7 Millionen Euro. Normalerweise kein Beinbruch, hätte der Geschäftsführer des Unternehmens in der Fehlbuchung nicht die Chance seines Lebens gesehen. Er ließ den überzähligen Betrag in die eigene Tasche wandern und verschwand Richtung Südamerika. Das Geld war erst mal futsch.
„Es war eine Zeit lang nicht ganz klar, ob ich das überstehe“, sagt Lühr in der Rückschau. Doch er behauptete sich. In der Folge wurde in der Finanzbehörde das Auszahlungssystem durch eine Plausibilitätskontrolle ergänzt, die verhindern sollte, dass sich eine solche Posse wiederholt. „Es geht eben immer darum, wie man aus Krisen lernt“, findet der scheidende Staatsrat.
Das Jahr 2007 bescherte Bremen eine politische Zeitenwende und Henning Lühr eine neue Chefin. Der Wechsel von der großen zur rot-grünen Koalition brachte Karoline Linnert ins Amt der Finanzsenatorin. Normal wäre es in dieser Situation gewesen, dass sich die Grüne einen Staatsrat mit gleichem Parteibuch sucht. Doch Lühr blieb, auch weil die Sozialdemokraten sehr darauf drängten, im Finanzressort einen Fuß in der Tür zu behalten. Rasch stellte sich aber heraus: Linnert und Lühr – das passt. Gemeinsam gingen sie das Ziel an, dem sich die neue Senatorin verschrieben hatte, nämlich den Abbau des gewaltigen Haushaltsdefizits.
Gegen viele Widerstände in der Politik und im teils hart zusammengesparten öffentlichen Dienst zog das Tandem an der Spitze der Finanzbehörde den Konsolidierungskurs durch. Lühr: „Wir haben den Beschäftigten da einiges abverlangt, und das hat man mich gelegentlich auch persönlich spüren lassen, etwa wenn ich bei der Zulassung eines Autos nicht ganz zufällig als Letzter drankam.“ Dass die Sparbemühungen der vergangenen zehn Jahre nun durch die Folgen der Corona-Krise teilweise ausradiert werden, damit könnte Henning Lühr an der Schwelle zum Ruhestand hadern, er tut es aber nicht.
Besonderes Engagement bei der Weiterentwicklung digitaler Bürgerdienste
Alle Verdienste und Projekte aufzuzählen, die sich mit Lührs Namen verbinden, wäre ein sehr raumgreifendes Unterfangen. Die Mitwirkung bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs, die Einführung des Bürgertelefons 115, der Aufbau des Personaldienstleisters Performa Nord, des Online-Finanzamtes und vieles mehr – man muss sich mit Stichwörtern begnügen. Mit besonderem Engagement hat sich Henning Lühr der Weiterentwicklung digitaler Bürgerdienste gewidmet. Davon zeugen diverse Auszeichnungen für sogenannte E-Government-Projekte. „Master of Digitalization“, nennt ihn seine frühere Chefin Karoline Linnert deshalb halb im Scherz, spannt den Bogen aber weiter: „Henning Lühr ist ein warmherziger, kluger, pragmatischer Typ, der viel zustande bringt.“
Dass dies auch für die neue Lebensphase gilt, davon kann man ausgehen. Henning Lühr wird mehr Zeit haben, seine künstlerische Seite auszuleben. Insbesondere sein literarisches Schaffen, das schon zu Staatsratszeiten beachtlich war, dürfte profitieren. Den Plot für einen Krimi hat er bereits beisammen. Es wird um einen Mord gehen, verübt – wie könnte es anders sein – in einem Digitalisierungslabor.