Etwa 55 Millionen Kilometer ist der Mars von der Erde entfernt – im günstigsten Fall. Je nachdem, wo die beiden Planeten sich auf ihrer jeweiligen Umlaufbahn gerade befinden, können es auch mehrere hundert Millionen Kilometer sein. Deutlich zu weit für den nächsten Sommerurlaub, aber grundsätzlich für die Menschheit nicht unerreichbar. Marc Avila rechnet damit, dass in spätestens 20 Jahren Menschen den Roten Planeten betreten werden. Und dann? Das wollen Avila, Direktor des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM), und etwa 60 andere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität Bremen erforschen. "Humans on Mars" heißt das Projekt, in dem verschiedene Fachbereiche der Uni zusammenarbeiten. Auch außeruniversitäre Einrichtungen wie das Fraunhofer-Institut oder das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz beteiligen sich.
Nachhaltige Besiedelung als Ziel
Was das Projekt ausmacht, lässt sich wohl am besten an einer Frage erläutern, die explizit nicht untersucht werden soll: Wie kommt man zum Mars? Mit dieser Frage beschäftigt sich zum Beispiel das private Raumfahrtunternehmen Space-X des Tech-Milliardärs Elon Musk. Noch in diesem Jahrzehnt will Musk Menschen auf den Mars bringen – die amerikanische Raumfahrtbehörde Nasa plant eine bemannte Mission für das Jahr 2040. Avila und seine Kollegen wollen sich vom Aspekt der technologischen Machbarkeit und dem Wettrennen zum Mars abgrenzen. "Wir haben diese finanziellen und politischen Interessen nicht", sagt der ZARM-Direktor. Unabhängig davon, wie man zu einer Mars-Mission stehen möge, betont Avila: "Es wird passieren – so oder so."
Die Bremer Forschungsinitiative will deswegen untersuchen, ob und wie eine dauerhafte Präsenz des Menschen auf dem Mars funktionieren kann – für die Menschen, aber auch für den Mars. Es geht den Forschern laut eigener Aussage nicht zuletzt um die "Unversehrtheit" des fremden Planeten. Zum Selbstzweck dürfe eine Marsmission erst recht nicht verkommen. "Einfach die Flagge reinzustecken kann nicht das Ziel sein", sagt Marc Avila. Seine Kollegen und er suchen also auch nach einem langfristigen Nutzen für die Menschheit. Die "lebensfeindlichen Bedingungen" auf dem Mars, wie es in der Projektbeschreibung heißt, könnten dabei eine wichtige Rolle spielen. Die Atmosphäre besteht hauptsächlich aus Kohlendioxid, Wasser gibt es auf dem Mars nur in geringen Mengen, und die Sonne scheint schwächer als auf der Erde.
Nutzen für die Menschheit gesucht
"Die Entwicklung der Menschen im vergangenen Jahrhundert beruht auf dem Umstand, dass Wasser und Energie quasi unbegrenzt zur Verfügung stehen", sagt Avila. Auf dem Mars hingegen sei für das Überleben eine enorme Energieeffizienz erforderlich. Benötigt würden zum Beispiel wassersparende und CO?-negative Technologien. "Das Ziel ist eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ohne Verschwendung", sagt Avila. Ein Anliegen, das auch auf der Erde Bedeutung haben dürfte, wo Wasserknappheit und Energiemangel gerade in diesen Wochen und Monaten allgegenwärtige Probleme sind.
"Selbst wenn es nicht dazu kommen sollte, dass wir zum Mars fliegen, können die Menschen von unserer Forschung profitieren", sagt Avila. Klar ist allerdings auch: Bremen hat mit dem Mars eher wenig gemeinsam. Wie also wollen die Forscher und Forscherinnen die Bedingungen simulieren? Zum Beispiel im kleinen Fallturm, den das ZARM Anfang des Jahres als Ergänzung zum 146 Meter hohen Fallturm – dem inoffiziellen Wahrzeichen der Bremer Uni – in Betrieb genommen hat. Im kleinen Bruder, rund 16 Meter hoch, lasse sich die Marsgravitation gut simulieren, sagt Avila, der auch Geschäftsführer der Fallturm-Betriebsgesellschaft ist. Auch die Weltraumstrahlung könne in hiesigen Laboren getestet werden. Mit Erdproben und möglichen Bepflanzungen wollen die Forscher ebenfalls experimentieren.
Zusammenarbeit mit Robotern
Bereits im vergangenen Jahr hatte sich die Bremer Uni an Experimenten beteiligt, die auf die psychologischen Aspekte einer Mars-Mission abzielten. In der israelischen Negev-Wüste untersuchten die Wissenschaftler zum Beispiel, wie Absprachen und Entscheidungsprozesse unter besonderen Bedingungen ablaufen. Diese Fragen sind wichtig, weil eine bemannte Mars-Mission schätzungsweise zwei bis drei Jahre dauern würde, während derer die Teammitglieder größtenteils auf engem Raum leben würden.
Im Bremer Forschungsprojekt wird laut Avila allerdings eine andere Komponente eine wichtige Rolle spielen: Künstliche Intelligenz. Der ZARM-Direktor ist überzeugt: Wenn der Mensch sich auf seine bisher weiteste Reise begibt, werden ihn Roboter begleiten. Wie Menschen und Roboter miteinander arbeiten und kommunizieren, wird deshalb ebenfalls in Bremen untersucht – und möglicherweise in einigen Jahren Millionen Kilometer entfernt praktisch umgesetzt.