60 Jahre Raumfahrt in Bremen: Dieses Jubiläum sollte eigentlich im vergangenen Jahr gefeiert werden. Wegen der Corona-Epidemie jedoch musste das Fest verschoben werden. Darum hieß es jetzt "60 +1 Jahre Raumfahrt in Bremen", als die Feier auf dem Werksgelände von Ariane und Airbus nachgeholt wurde – mit viel Prominenz und einem Grillfest für die Mitarbeiter.
Als der sowjetische "Sputnik"-Satellit 1957 den ersten Pieps aus dem Weltall funkte und die Supermächte darum rangen, wer als erster einen Menschen ins All und zum Mond schießen würde, hatten die Europäer in Sachen Raumfahrt nicht viel zu bieten. Entsprechend bescheiden waren die Anfänge in Bremen, der Stadt, die sich heute stolz "City of Space" nennt: Unter dem Namen Entwicklungsring Nord (Erno) schlossen sich 1961 zwei Bremer und eine Hamburger Firma zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen, die vor allem das Wissen der Ingenieure bündelte, die bereits an den Raketenprogrammen der Wehrmacht gearbeitet hatten. "Die Bremer hatten nicht so viele Leute, aber dafür Platz", rekapituliert Siegfried Monser, Raumfahrtkoordinator des Landes Bremen. Die Gegend um das Neuenlander Feld wurde so zur Keimzelle der "City of Space", in der rund 3500 Menschen an Weltraumprojekten arbeiten.
Der erste Auftrag für die Erno-Ingenieure war die Entwicklung und Fertigung der dritten Stufe einer europäischen Trägerrakete, die den richtungweisenden Namen "Europa" trug. Leider hob das Gemeinschaftsprojekt nicht ab und wurde 1972 nach mehreren Fehlstarts eingestellt. Aber der Anfang war gemacht: Europa würde eine gemeinsame Rakete bauen, und Bremen liefert die Oberstufe, das "Gehirn" der Rakete. Egal ob Ariane 4, 5 oder 6: "Die Oberstufe kam immer aus Bremen", resümiert Jens Laßmann, Standortleiter der Ariane Group. Sie sei das "technisch herausragende Bauteil" der Rakete: am längsten in Betrieb und dafür zuständig, die Nutzlast genau dort abzuliefern, wo sie hinsoll.
Am Heiligabend 1979 hob die erste Ariane im südamerikanischen Kourou ab, und diesmal erwies sich das europäische Gemeinschaftsprojekt als Glücksfall: Die Amerikaner setzten auf das wiederverwendbare Space Shuttle, das zweimal abstürzte. Ariane war zeitweilig die einzig verfügbare Trägerrakete für schwere Lasten, konnte zwei Satelliten gleichzeitig transportieren und wurde so zum "Weltmarktführer", bilanziert Laßmann.
Zurück zum Mond
Neben dem Bau von Trägerraketen für Satelliten wurde die bemannte Raumfahrt das zweite Standbein der Bremer. Die Spacelab-Missionen D1 und D2, das "Columbus"-Modul als Bauteil der Internationalen Raumstation ISS, der Weltraumversorger ATV - alles "made in Bremen". "Und heute fliegen wir wieder zum Mond – 50 Jahre nach Apollo", frohlockt Marc Steckling, Standortleiter von Airbus Defence and Space. "Um dort zu bleiben, um neue Wirtschafts- und Lebensräume zu erkunden." Sein Unternehmen bündelt heute die Aktivitäten der bemannten Raumfahrt in Bremen und baut das Versorgungsmodul "Orion" für die Mondmission der Amerikaner. Und Steckling denkt bereits weiter: "Die Menschen werden zum Mars fliegen, mit oder ohne Europa", sagt er. "Es liegt an uns zu entscheiden, ob wir dabei sind und wo wir in 30 Jahren stehen."
Die Bremer Politik will bei solch hochfliegenden Plänen nicht am Boden zurückbleiben. Mit Bürgermeister Andreas Bovenschulte, Wissenschaftssenatorin Claudia Schilling (beide SPD) und Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (Linke) nahm der Senat in beachtlicher Stärke an der 60+1-Jahre-Feier teil. "Die Politik – egal welcher Farbe – stand immer zu 100 Prozent hinter der Raumfahrt", versicherte Bürgermeister Bovenschulte. Er sieht Bremen dabei in einer Allianz mit den beiden anderen Raumfahrtstandorten Baden-Württemberg und Bayern – Bundesländern, die sonst "nur so eine Art Freunde" Bremens seien. Gemeinsam müsse man die Bundesregierung davon überzeugen, "das Portemonnaie aufzumachen", so Wirtschaftssenatorin Vogt, wenn im Herbst die Entscheidung über den künftigen Etat der Europäischen Weltraumbehörde Esa falle. Damit der "City of Space" auch in den kommenden 60 Jahren die Arbeit nicht ausgeht.