Mit einer aufgeklebten Kippe als Körper ist auf dem Papier mit wenigen Strichen ein „Rauchhaardackel“ entstanden. Eine Dame im eleganten Kleid, ein Porträt von Donald Trump, eine Giraffe: Auch für diese Motive hat Gabriele Kernke weggeworfene Zigarettenstummel verwendet. Die Idee zu dieser „Kippen-Kunst“ sei entstanden, als sie vergangenes Jahr im Sommer in der Warteschlange vor einer Eisdiele auf den Boden schaute. Dort lagen zahlreiche Filterreste, ausgeblichen, verwittert, zerfranst. „Daraus kann man doch etwas gestalten“, dachte sich die Bremer Künstlerin. Und so wurde aus der ersten eingesammelten Kippe später auf dem Zeichentisch ein Kleidungsstück.
Im Laufe eines Jahres hat die ausgebildete Grafikdesignerin mehrere Gläser mit Kippen gefüllt. „Ich habe sie mit spitzen Fingern eingesammelt“, erklärt sie, „und wegen der giftigen Rückstände mit Handschuhen oder Pinzette weiterverarbeitet“. Die Frage, ob sie selbst jemals geraucht habe, erübrigt sich. Innerhalb eines Jahres sind 51 kleine Zeichnungen entstanden. Für das Format war das Maß der Schachteln in den deutschlandweit aufgestellten „Kunstautomaten“ ausschlaggebend. Da Kunstautomaten ausrangierte Zigarettenautomaten seien, habe es sich förmlich aufgedrängt, die Bilder auf diesem Weg zu verkaufen, meint Kernke. Damit ihre Kunst aber von vielen Menschen gesehen werden kann, ließ sie zusätzlich von 25 Bildern Vergrößerungen drucken. Diese waren bereits auf dem Domshof beim Kippen-Marathon der Bremer Stadtreinigung und im Ausstellungsraum „Dammi 14“ in Hemelingen zu sehen. Eine weitere Ausstellung soll es während des Stadtteilfests „Hemelinger Vielfalt“ im September geben.

”Kämpf dich frei!”, dazu will Kernke mit diesem Bild motivieren.
Installationen im öffentlichen Raum
Kleine Kunstprojekte, die mit spielerischen Details auf ein ernstes Thema aufmerksam machen sollen, hat die 59-Jährige in den vergangenen Jahren mehrfach umgesetzt. Sie überraschte etwa ihre Nachbarn, indem sie ein mit Gras und Löwenzahn bewachsenes Schlagloch in ihrer Straße mit kleinen Objekten und einem Warnschild in ein winziges „Naturschutzgebiet“ verwandelte. Oder sie machte unter dem Titel „Bodenlos“ mit Installationen vor dem Dom, dem Roland oder an der Waterfront auf die Flächenversiegelung im öffentlichen Raum aufmerksam – meist in Nacht- und Nebelaktionen, wie sie schmunzelnd einräumt. Ihre Fotocollagen, die zu den „Bodenlos“-Installationen entstanden, hätten Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf so gut gefallen, dass sie sie in ihren Büroräumen ausstellte, erzählt die Künstlerin nicht ohne Stolz.

Besser, man rettet sich vor beiden: Diese Kippe wurde zum Körper eines Löwen.
„Ich habe meine Aufgaben und Ideen schon immer mit einem Augenzwinkern umgesetzt“, beschreibt Kernke ihren Ansatz. „Und vielleicht bin ich auch nicht richtig erwachsen geworden.“ Ihr ironischer Stil sei bereits während des Studiums an der Hochschule für Künste in Bremen aufgefallen, gibt sie zu. Eine Dozentin schenkte ihr deshalb sogar das Buch „Till Eulenspiegel“. Die Ausbildung dort sei für sie ein besonderer, viel zu kurzer Lebensabschnitt gewesen, blickt die gebürtige Diepholzerin zurück. Die Studierenden hätten zahlreiche Möglichkeiten gehabt, um Techniken auszuprobieren und „sich selbst auf die Schliche zu kommen“. Sie habe damals die Künstler Dalí, Magritte oder Tomi Ungerer sehr gemocht, sagt sie. Inspiration fand sie zudem in den Werken von Sempé und F. K. Waechter: „Ich finde es klasse, wenn feine Striche gut sitzen.“
Von Kinderbuch bis Kunstworkshop
Mit ihrem eigenen, feinen Strich begann sie anschließend, als freischaffende Illustratorin für verschiedene Kinderbuchverlage zu arbeiten. Später gestaltete sie zudem Werbung und entwickelte Logos. Während ihre Kinder jung waren und die Familie im Mittelpunkt stand, engagierte sie sich in der Schule, unterstütze etwa das Schultheater mit Plakatentwürfen oder bot Workshops für Kinder an.
Das Zeichnen ist ihre Leidenschaft und dabei legt sie viel Wert auf Nachhaltigkeit. Kernke arbeitet nach Möglichkeit nur mit natürlichen, recycelten oder recycelfähigen Materialien. Denn auch der Begriff Verantwortung spiele für ihre Arbeit eine große Rolle, hebt sie hervor. Die Reihe „Prinzip Hoffnung“, die sich mit dem Geschehen in der Ukraine auseinandersetzt, die „Bodenlos“-Installationen oder die „Kippen-Kunst“ – es sind Arbeiten, die Verantwortung zeigen und auf charmante Art zum Nachdenken anregen sollen. Ihr nächstes Projekt wird sich darin einreihen. Sie verrät jedoch nur so viel: Es behandelt ein ernstes Thema. Es wird winzig. Und es wird wieder ironisch.