An einem Tag ist es der Arztbesuch. An einem anderen Tag traut sich Sonja Uthmann einen Spaziergang zu. Oder sie macht ihre Atemtherapie. „Aber immer nur eine Erledigung pro Tag, mehr schaffe ich nicht“, sagt die Bremerin, die Anfang 50 ist, „ich führe das Leben einer 80-Jährigen.“
Sonja Uthmann ist Post-Covid-Patientin. Im Frühjahr hat der WESER-KURIER sie besucht. Damals litt Uthmann bereits seit über einem Jahr an der Erkrankung. Wie geht es ihr heute? „Bis vor zwei Wochen war ich guter Dinge“, sagt sie nun, „wenn Sie mich da gefragt hätten, hätte ich gesagt: Ich habe mich auf niedrigem Niveau stabilisiert.“ Aber dann habe sie es „ein bisschen übertrieben“.
Was ein Post-Covid-Patient übertrieben nennt: Mit ihrem Mann sei sie für zwei Tage nach Cuxhaven gefahren. Endlich mal wieder rauskommen aus der eigenen Butze, was anderes sehen und hören. „Im Grunde haben wir die zwei Tage so verbracht, dass es selbst meine Eltern langweilig gefunden hätten.“ Zwei Spaziergänge hätten sie und ihr Mann unternommen, davor und danach jeweils Pausen eingelegt. Aber das war offenbar immer noch zu viel der Anstrengung, wie sie wenig später feststellen musste. „Nach Cuxhaven habe ich neun Tage im Bett gelegen, ohne zu lesen, ohne irgendetwas zu machen.“
Die Ausbreitung des Coronavirus‘ scheint beherrschbar inzwischen, auch wenn Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht müde wird, vor einem allzu nachlässigen Umgang zu warnen. „Im Moment“, sagte der SPD-Politiker erst kürzlich wieder, „wird die Gefahr, die von Covid ausgeht, tatsächlich unterschätzt.“
Für Sonja Uthmann gilt das nicht. Sie mag sich gar nicht ausmalen, wie es wäre, wenn sie sich ein weiteres Mal infizierte. Corona wird sie nie vergessen. Jede Stunde des Tages wird sie daran erinnert, was das Virus anzurichten vermag. „Ich existiere“, sagt sie. Sie arbeitet immer noch nicht wieder, sie trifft nur sehr selten Freunde, und wenn doch, dann am besten nicht mehr als eine Person auf einmal. „Was besonders belastend ist“, sagt sie, „keine Pläne schmieden zu können, keine Perspektive zu haben. Wenn ich heute wüsste, ich müsste noch acht Jahre so leben, und dann ist Post Covid vorbei, wäre das besser, als wenn es in sechs Jahren vorbei wäre, ohne dass ich das heute schon weiß.“
Das Problem bei Post Covid: Die Krankheit ist immer noch nicht ausreichend erforscht, es gibt nicht die eine Therapie für alle Betroffenen. „Nach meiner Wahrnehmung werden die Symptome behandelt“, sagt Uthmann. Sie hat sich selbst ein Programm verordnet. Sie geht in die Kältekammer, sie versucht es mit Akupunktur und chinesischen Kräutern, „es scheint mir tatsächlich sehr zu helfen“, und sie nimmt Nahrungsergänzungsmittel. Ein paar hundert Euro pro Monat gibt sie für diese Maßnahmen aus.
Das Gesundheitsministerium geht davon aus, dass rund 2,5 Millionen Menschen in Deutschland zwischenzeitlich an Long Covid erkrankt waren. Von Long Covid sprechen Fachleute, wenn vier Wochen nach Ansteckung noch immer Krankheitsanzeichen auftreten. Wenn drei Monate nach einer Infektion gesundheitliche Beschwerden fortbestehen, die mindestens zwei Monate andauern und nicht anderweitig zu erklären sind, spricht man vom Post-Covid-Syndrom. Wie viele Menschen das betrifft, ist unklar.
Für Sonja Uthmann ist das kein Wunder. „Die Leute, die es erwischt hat, sieht man nicht“, sagt sie, „man sieht sie nicht im Verein, nicht beim Einkauf und nicht auf der Arbeit.“ Auch um Betroffenen eine Stimme zu geben, berichtet sie deshalb öffentlich von ihrer Erkrankung. Und auch davon, mit wie viel Bürokratie sie sich auseinandersetzen muss.
Das Krankengeld, das die Krankenkasse zahlt, ist nach 72 Wochen ausgelaufen, sie müsse nun „ALG-1 bei Krankheit“ beantragen, um weiter eine Grundsicherung zu erhalten. Der Medizinische Dienst, beauftragt von der Bundesagentur für Arbeit, habe festgestellt, dass ihr Restleistungsvermögen zu gering sei, um vermittelbar zu sein. „Daraufhin wurde ich aufgefordert, einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen“, sagt sie. Weitere Formulare, Briefe, Telefonate.
„Das lässt einen oft verzweifeln“, sagt sie, „zumal ich eine feste und unbefristete Stelle habe und die Möglichkeit, selbstständig zu arbeiten, sobald es meine Gesundheit wieder zulässt.“ Manchmal wolle sie am liebsten hinschmeißen, sagt sie. „Ihnen wird als Antragssteller oft vermittelt, dass Sie etwas möchten, dass Ihnen nicht zusteht. Das macht etwas mit einem. Man muss es erst einmal schaffen, das nicht persönlich zu nehmen.“
Oft frage sie sich: Wie muss es wohl denen gehen, die keine Angehörigen haben, die helfen und auffangen? Wie viele fühlen sich der Bürokratie nicht gewachsen und geben auf? Die beste Investition, die sie in den vergangenen eineinhalb Jahren getätigt hätte, seien die sieben Euro im Monat, die sie jetzt als Mitgliedsbeitrag beim SoVD, dem Sozialverband Deutschland, zahle. „Ich glaube, dass ich für alle Post-Covid-Patienten spreche, wenn ich sage: Wir sind für jede Erleichterung im Alltag dankbar.“