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Neues Buch über Heinrich Böhmcker "Bei Widerstand über den Haufen schießen"

Als "Latten-Heini" ging der SA-Schläger in die Geschichte ein, nun beschäftigt sich eine biografische Studie mit Leben und Tod von Heinrich Böhmcker, von 1937 bis 1944 Regierender Bürgermeister von Bremen.
20.10.2021, 06:00 Uhr
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Von Frank Hethey

Heinrich Böhmcker war am Apparat, als am späten Abend des 9. November 1938 im Hauptquartier der SA-Gruppe Nordsee an der Hollerallee 75 das Telefon schrillte. Der SA-Gruppenführer weilte gerade in München, wo ranghohe Parteifunktionäre zur Feier des Hitler-Putsches von 1923 zusammengekommen waren. Zwei Tage zuvor hatte ein polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens in Paris einen deutschen Diplomaten ermordet. 

Für Propagandaminister Joseph Goebbels eine glänzende Gelegenheit, dem vermeintlichen "Volkszorn" auf die Sprünge zu helfen – die Pogromnacht nahm ihren Lauf. Im ganzen Reich legten eilends mobilisierte SA-Männer Feuer in den Synagogen, so auch in Bremen. Eine Blutspur zog sich durch Deutschland, allein in der Region Bremen wurden fünf jüdische Männer und Frauen von SA-Leuten brutal umgebracht.

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Der Mann, der aus München den Befehl dazu gegeben hatte, war nicht nur SA-Gruppenführer, sondern in Personalunion seit 1937 auch Regierender Bürgermeister von Bremen. Mit seiner Anweisung, Juden "bei Widerstand sofort über den Haufen" zu schießen, dürfte er die Vorgaben noch verschärft haben. "Das war nicht durch Goebbels sanktioniert, er hat damit ein eigenmächtiges Verhalten an den Tag gelegt", sagt Elke Steinhöfel, Verfasserin einer biografischen Studie über Böhmcker – der überhaupt ersten Monografie des Mannes, der wegen seiner Vergangenheit als SA-Schläger auch schon mal als "Latten-Heini" oder "Latten-Böhmcker" bezeichnet wurde.

Der Weg nach Bremen war nicht unbedingt vorgezeichnet. Böhmcker stammte aus der Nähe von Eutin, bis 1937 ein Teil des Freistaats Oldenburg. Eigentlich hatte er Landwirt werden wollen wie sein Vater, entschied sich dann aber für ein Jura-Studium. Als selbstständiger Rechtsanwalt verteidigte er seit 1927 fast ausschließlich SA-Männer, die mit dem Gesetz in Konflikt gekommen waren. Der Schlägertruppe der NSDAP gehörte er seit 1925 an, rasch stieg der rhetorisch nicht unbegabte Böhmcker in der SA auf.

Ein Karrieremotor war für ihn die Nähe zu Carl Röver, dem aus Lemwerder stammenden Gauleiter Weser-Ems, seit 1928 NSDAP-Abgeordneter des oldenburgischen Landtags. Wie Böhmcker war Röver ein SA-Haudegen. "Die beiden waren fast wie männlich-siamesische Zwillinge", so Steinhöfel. "Böhmcker ist etwas geworden mit und durch Röver." Als oldenburgischer Ministerpräsident verschaffte Röver seinem Protegé 1932 das Amt des Regierungspräsidenten im oldenburgischen Landesteil Lübeck, als Reichsstatthalter auch den Posten des Regierenden Bürgermeisters in Bremen.

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Seine SA-Tätigkeit hat Böhmcker offenbar weitaus höher bewertet als seinen Bürgermeisterposten. "Die Bedeutung eines SA-Gruppenführers ist zehnmal so groß wie die eines Regierenden Bürgermeisters", erklärte er beim SA-Appell anlässlich seiner Amtseinführung. Das war anscheinend völlig ernst gemeint und nicht nur ein Anbiedern an alte Kampfgefährten. Für den Schreibtisch war Böhmcker ohnedies nicht geschaffen, das bestätigen einmal mehr die neuen Recherchen. Mühselige Aktenarbeit überließ er lieber seinen Vertrauten und dem Beamtenapparat. "Für Bremen war Böhmcker in jeder Hinsicht eine politische und personelle Zumutung", sagt Steinhöfel. 

Vielleicht war es von vornherein beabsichtigt, einen schwachen Bürgermeister zu installieren. Einen Bürgermeister, von dem keinerlei Impulse zur Stärkung der Stellung Bremens im Gau Weser-Ems zu befürchten und zu erwarten waren. Mit den beiden Böhmcker-Vorgängern Richard Markert und Otto Heider hatte Röver genug Ärger gehabt. Sein langjähriger Freund bot eine halbwegs sichere Gewähr, dass damit endlich Schluss war. Schon bei der Ernennung Böhmckers zum SA-Gruppenführer im Juli 1934 dürfte Röver nichts anderes im Sinn gehabt haben, als den eigenen Einfluss in Bremen zu stärken, vermutet Mitautor Matthias Loeber.

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Die Frage ist, ob der Plan aufging – ob sich Böhmcker tatsächlich so desinteressiert an Bremer Belangen zeigte wie von seinem Mentor erhofft. Der Regionalhistoriker Herbert Schwarzwälder vertritt die Ansicht, Böhmcker sei kein "folgsamer Untertan Rövers" gewesen. Vielmehr habe er sich immer wieder für bremische Interessen eingesetzt, wenn auch unter Einfluss von altgedienten Spitzenbeamten wie dem späteren Senator Richard Duckwitz. Schwarzwälder rechnet Böhmcker vor allem die Gebietsreform von 1939 an, bei der einige preußische Umlandgemeinden der Hansestadt zugeschlagen wurden.

Dem widersprechen Steinhöfel und Loeber ausdrücklich. Böhmckers Bilanz als Bürgermeister fällt in ihren Augen höchst bescheiden aus – noch nicht einmal beim Bunkerbau habe er die Vorgaben erfüllt. Allenfalls als SA-Führer habe Böhmcker einige Erfolge verbuchen können, etwa den Bau außerbremischer SA-Siedlungen ab 1935. 

Kein gutes Haar lassen die beiden Autoren an Böhmckers Persönlichkeit – anders als Schwarzwälder, dem zufolge Böhmcker "im Grunde seines Wesens gutmütig und einsichtsvoll" war. Dagegen sprechen seine Brutalität als SA-Schläger ebenso wie seine anhaltenden Alkoholexzesse und sexuellen Übergriffe. Beides zeigte sich auch an seinem letzten Lebenstag in einem Zugabteil der Reichsbahn. Nach erheblichem Weinkonsum und Annäherungsversuchen an eine junge Mitreisende starb Böhmcker im Alter von 47 Jahren am 16. Juni 1944 auf dem Weg nach Hannover an einem Herzschlag.

Zur Sache

Fünf Jahre am Böhmcker-Buch gearbeitet

Die frühere SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Elke Steinhöfel hat fünf Jahre an ihrem Buch über NS-Bürgermeister Heinrich Böhmcker gearbeitet. Die ausgebildete Juristin ist bereits 2014 mit einer Arbeit über die NS-Wohlfahrtspolitik in Bremen hervorgetreten, damals stieß sie auf die Forschungslücke zur Person von Böhmcker. Die 80-Jährige versteht ihr Werk wegen eines fehlenden literarischen Anspruchs nicht als Biografie, sondern als biografische Studie. Ihr Interesse an der NS-Vergangenheit hat nicht zuletzt familienbiografische Gründe: Ihr Vater war Hafenarbeiter in Hamburg, ein Onkel bei der "Leibstandarte Adolf Hitler". Die Abschnitte zu Böhmckers Rolle in der SA-Gruppe Nordsee und zum Bremer Schulwesen im Nationalsozialismus hat der 31-jährige Bremer Historiker Matthias Loeber beigesteuert, Doktorand an der Universität Hamburg. 

Info

Elke Steinhöfel: Heinrich Böhmcker. Vom SA-Mann der ersten Stunde zum NS-Bürgermeister von Bremen. Eine biografische Studie. Mit Beiträgen von Matthias Loeber. Edition Falkenberg, Bremen. 523 Seiten, 24,90 €.

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