Herr Strehl, beruflich stehen Sie am Beginn des neuen Jahres vor einem Schutthaufen. 2020/21 sollte für Bremen eine Ära wiedergewonnener finanzieller Spielräume beginnen, dank Sanierungsmillionen aus Berlin. Doch dann schlug Corona wie ein Blitz in Ihren Haushalt ein. Sie müssen jetzt unerwartete Ausgaben finanzieren und riesige Löcher im Etat stopfen.
Dietmar Strehl: Sagen wir mal so: Ich bin in dieses Amt gewählt worden, und ich laufe nicht weg, wenn es plötzlich ein Problem gibt. Es war in der Tat schwierig, die Haushalte für 20/21 aufzustellen. Es wurde bezweifelt, dass die Koalition das überhaupt hinbekommt. Aber wir haben es geschafft. Und es ist jetzt meine Aufgabe, für die kommenden Jahre, in denen es ganz bestimmt nicht leichter wird, Perspektiven zu entwickeln.
Wann haben Sie das erste Mal erahnt, was für eine Dimension die Krise annehmen würde?
Das war im Frühjahr, als ich hörte, dass auch die Bayern einen Notlagenkredit in Höhe von 20 Milliarden Euro aufnehmen. Da war klar, dass alle Länder riesige Probleme haben. Wir haben uns gefragt: Was müssen wir finanziell machen, um die aufkommende Krise abzupuffern, und was können wir uns überhaupt erlauben, weil neue Schulden auch irgendwann wieder zu tilgen sind?
Was hat sich an Ihrer Arbeit und an der Ihrer Mitarbeiter ganz konkret durch Corona verändert?
Es gibt bei uns in der Finanzbehörde oft nicht mehr die normalen Abläufe, wie man sie kannte. Wir müssen derzeit hier und im Senat ganz kurzfristig Entscheidungen treffen. Ich habe im Büro noch eine Dienstanweisung im Regal aus der Zeit meiner Vorgängerin Karoline Linnert. Da steht drin, in welchen Zeiträumen man Senatsvorlagen zu behandeln hat – das kann man momentan vergessen. Wir müssen aktuell bei vielen Dingen extrem kurzfristig entscheiden. Das ist oft ein Ritt auf der Rasierklinge.
Wo ist die Belastung der Beschäftigten aktuell besonders groß?
Nehmen Sie zum Beispiel das Bürgertelefon, das werktags von 7 bis 18 Uhr unter der Nummer 115 zu erreichen ist. Da ist die Zahl der Anrufe durch Corona sprunghaft angestiegen. Vorher hatten wir pro Monat rund 90.000 Anrufe, jetzt hat sich die Zahl verdoppelt. Wir haben deshalb beschlossen, befristet dort 20 zusätzliche Stellen zu schaffen, um das Aufkommen zu bewältigen.
Was machen Ihre Außendienstler, zum Beispiel die Betriebsprüfer? Da wird ja coronabedingt manches nicht stattfinden, oder?
Stimmt. Es gibt zurzeit keine Betriebsprüfungen vor Ort, aber das heißt nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen die Hände in den Schoß legen. Die helfen zum Beispiel bei der Bremer Aufbaubank bei der Bearbeitung von Anträgen auf Corona-Hilfen für Betriebe. Man muss festhalten: Die Vorstellung, dass im öffentlichen Dienst bestimmte Bereiche ihre Tätigkeit eingestellt haben und die Beschäftigten jetzt Däumchen drehen, ist völlig verkehrt, das Gegenteil ist der Fall. Unser Personal wird dort eingesetzt, wo Not am Mann ist.
Soll heißen: Die Arbeitskultur hat sich durch Corona gewandelt, die Flexibilität hat zugenommen?
Die Krise hat uns als Team zusammengeschweißt. Teilweise muss auch außerhalb der regulären Arbeitszeit kommuniziert werden, wenn Dinge sehr kurzfristig zu entscheiden sind. Die Belastung der Kolleginnen und Kollegen ist zum Teil enorm. Nehmen Sie unsere Haushälter. Die haben gerade den Jahresabschluss 2020 vor sich, dazu die Haushaltsplanung 22/23 und den Bremen-Fonds mit den coronabezogenen Ausgaben.
Zum Beispiel die Beschaffung von Tablet-PCs für 90.000 Schüler?
Die zu ordern, ist das kleinste Problem. Dazu kann man schnell eine Vorlage schreiben. Sie zu bekommen, zu verteilen, den Umgang damit zu lernen und sie technisch zu betreuen – das alles gehört auch dazu. Solche Dinge sind sehr arbeitsaufwendig.
Welche Erwartungen haben Sie als Bremens oberster Kassenwart an das Jahr 2021? Viele Menschen haben die Hoffnung, dass die Pandemie durch den Impfstoff ihren Schrecken verliert und sich die Dinge spätestens in der zweiten Jahreshälfte wieder normalisieren. Für Bremens Haushalt wird das nicht gelten, da werden die Nachwirkungen nach jahrelang zu spüren sein.
Was die Steuereinnahmen angeht, können wir nicht sehr optimistisch in die Zukunft blicken. Es fehlen in den nächsten Jahren jeweils 200 bis 300 Millionen Euro im Vergleich zum bisherigen Finanzplanungsstand, der vor Corona erstellt wurde. Die Lage ist also ernst. Das bereitet mir schon Sorgen. Wir können ja beispielsweise nicht einfach sagen: Wir stellen zwei Drittel der benötigten neuen Lehrer nicht ein. Das wäre unmöglich. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Senatsressorts, und wir müssen Prioritäten setzen. Anders geht es nicht.
Es sei denn, der Staat erschließt sich neue Einnahmequellen, etwa über eine Vermögensabgabe. Der Bürgermeister hatte schon vor längerer Zeit einen Lastenausgleich ins Gespräch gebracht, wie es ihn in der Nachkriegszeit gab.
Da ist es ganz entscheidend, welche Mehrheiten sich nach der Bundestagswahl bilden. Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass mit der CDU eine Art Vermögenssteuer machbar wäre. Ich persönlich würde eine solche Abgabe begrüßen.
Das Gespräch führte Jürgen Theiner.
Dietmar Strehl (64) ist seit 2019 Finanzsenator in Bremen. Den Grünen trat er im Jahr 1982 bei, von 1996 bis 2011 war er ihr Bundesschatzmeister. Danach wechselte er als Staatsrat in die Bremer Finanzbehörde.
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Mit diesem Interview mit Bremens Finanzsenator Dietmar Strehl endet unsere Serie, in der wir mit Menschen gesprochen haben, deren Arbeitsumfeld sich im vergangenen Jahr durch das Coronavirus grundlegend verändert hat.