So hatte Dietmar Strehl nicht gewettet. Als er am 15. August 2019 in der Bürgerschaft als Finanzsenator vereidigt wurde, war er darauf vorbereitet, die Früchte eines zehnjährigen Konsolidierungskurses zu ernten. Das Ende der Neuverschuldung schien in Sichtweite, und ab 2020 würden sich dank jährlicher Mehreinnahmen von fast 500 Millionen Euro endlich finanzielle Spielräume für Zukunftsinvestitionen auftun. Davon ist nun keine Rede mehr. Die Corona-Krise hat die Wirtschaft des kleinsten Bundeslandes fest im Griff, seit März befindet sich Strehl im Krisenmodus.

Die Bewertung des Leserpanels
Besser als der 64-jährige Grüne konnte man auf das Amt des Finanzsenators kaum vorbereitet sein. Neben Betriebswirtschaft hat er auch Mathematik studiert, versteht also etwas von Zahlen. 2011 trat er unter Senatorin Karoline Linnert als Staatsrat in das Finanzressort ein. Seither hat er diverse Haushaltsberatungen begleitet, kennt also auch die Erwartungshaltungen der anderen Senatsressorts und die politischen Manöver rund um die Aufstellung eines Etats.
Entsprechend geräuscharm liefen im Herbst vergangenen Jahres die Arbeiten am Haushalt 2020/21, obwohl angesichts einer Fülle von Ausgabewünschen aller drei Koalitionspartner zuvor mit ernsthaftem Streit gerechnet wurde. Strehl holte die Finanzpolitiker des Regierungsbündnisses in kurzen Abständen zu vertraulichen Gesprächsrunden zusammen, so dass die meisten aufkeimenden Konflikte frühzeitig entschärft werden konnten. Dass Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) am 18. Februar mit den Worten „Habemus Haushaltsentwurf“ vor die Presse treten konnte, ohne dass sich die Koalitionäre zuvor öffentlich beharkt hatten, war deshalb nicht zuletzt das Verdienst Strehls und seines Staatsrates Henning Lühr.
Es hätte dann alles routinemäßig weiterlaufen können, wäre nicht Corona in die Quere gekommen. Die Pandemie würgte die Konjunktur ab, was Strehl sofort in seiner Kasse zu spüren bekam. Geschäfte, die geschlossen sind, zahlen keine Umsatzsteuer; Firmen, die ihre Produktion herunterfahren, deutlich weniger Gewerbesteuer. Letztere wird 2020 in der Stadtgemeinde Bremen wahrscheinlich um etwa 130 Millionen Euro zurückgehen, schätzen die Fachleute der Finanzbehörde. Auch diversen kommunalen Unternehmen wie BSAG, Messegesellschaft m3b und Flughafen GmbH geht es mies. Sie wurden ins sogenannte Cashmanagement des Finanzressorts aufgenommen, was nichts anderes heißt, als dass sie eine Art Überziehungskredit eingeräumt bekommen, der sie vor der Insolvenz bewahrt.
Mittelfristig sollen die bremischen Betriebe Geld aus dem sogenannten Bremen-Fonds erhalten, einem 1,2 Milliarden Euro schweren Finanztopf zur Linderung der Corona-Folgen, den die Bürgerschaft vor der Sommerpause zusammen mit dem regulären Haushalt bereitgestellt hatte. Nicht ausgeschlossen, dass Dietmar Strehl bei der Verwaltung des kreditfinanzierten Bremen-Fonds doch die Konflikte austragen muss, die er bei der Aufstellung des Etats 2020/21 vermeiden konnte. Denn unter den Koalitionspartnern gibt es durchaus unterschiedliche Auffassungen dazu, was aus diesem Topf bezahlt werden darf. Um nämlich Kollisionen mit der verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse zu vermeiden, wird bei allen Ausgaben ein Bezug zur Corona-Pandemie nachzuweisen sein. Dies betonte Strehl mehrfach mit Nachdruck.
SPD und Linke können sich dagegen vorstellen, auch Zukunftsinvestitionen aus dem Bremen-Fonds zu finanzieren, bei denen man schon einige Fantasie aufbieten muss, um noch eine gedankliche Brücke zur Pandemie zu schlagen. Nach dem Innenstadtgipfel Mitte Juli konnte man den Eindruck gewinnen, dass Strehl sich doch nicht so sperrig zeigen wird, wie es seine Mahnungen vermuten ließen. Der Senat versprach bei der Krisenrunde ein Aktionsprogramm für die City mit Maßnahmen wie dem provisorischen Umbau der Martinistraße. Zehn Millionen Euro sollen dafür aus dem Bremen-Fonds bereitgestellt werden.
Ob man das tatsächlich als Beitrag zur Linderung der Corona-Folgen verkaufen kann? CDU-Haushälter Jens Eckhoff hat da so seine Zweifel. Nach einem Zwischenzeugnis gefragt, wägt Eckhoff seine Worte. „Man kann mit ihm offen kommunizieren“, findet Eckhoff. Einerseits. Andererseits sei Strehl „nicht unbedingt jemand, den man mit konkreten Projekten in Verbindung bringt“. Auch nach einem Jahr im Amt gebe es wenig, woran sich eine Beurteilung festmachen lasse.
Arno Gottschalk, der in Finanzfragen für die SPD-Bürgerschaftsfraktion spricht, ist mit Strehl „sehr, sehr zufrieden“. Der grüne Ressortchef sei fair, vorbildlich im Umgang und ein unprätentiöser Typ. Gottschalk ist auch überzeugt, dass Strehl noch ein politische Handschrift entwickeln wird. Geeignete Aufgabenfelder gebe es genug, etwa Struktur und Controlling der städtischen Betriebe. „Das sind Dinge, die er mittelfristig in Angriff nehmen könnte“, sagt Gottschalk.
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