Eigentlich sollte es sein Urlaub sein, der letzte als Blumenthaler Ortsamtsleiter. Doch am Ende hat Peter Nowack die meiste Zeit gemacht, was er im Dienst auch häufig machte. Er telefonierte: mit Unternehmern, der Kassenärztlichen Vereinigung, mit Fluggesellschaften, Behörden – und half auf diese Weise dabei, dass Bremen medizinische Schutzmasken und Schutzanzüge zur Behandlung von Corona-Patienten bekam. So viele, dass die Fracht einen Wert von mehreren Millionen Euro hat. Und dass das Flugzeug, mit dem sie gebracht wurde, zu den größten Maschinen weltweit gehört.
Seit Anfang April ist Nowack zu Hause – und fast genauso lange hat ihn das Projekt beschäftigt, das am Wochenende auf dem Airport zu Ende ging. Es gibt Bilder, die Nowack mit neongelber Warnweste zeigen, wie er neben dem Frachtflugzeug steht und das Ausladen von eingeschweißten Paletten verfolgt. Wie er mit Frauen und Männern spricht, die von den Behörden sind, mit denen er zuvor immer wieder telefoniert hat. Und wie er den Lastwagen hinterherschaut, die die Fracht wegbringen: 4000 Kartons mit 750.000 Gesichtsmasken und 250.000 Einweganzügen für Ärzte und Pflegekräfte in Bremer Kliniken.
Wie lange die reichen werden, darüber kann Nowack nur spekulieren. Bei den Masken geht er bestenfalls von Wochen aus, bei den Schutzanzügen von Monaten – vielleicht. Was der Ortsamtsleiter nach eigenem Bekunden dagegen sicher weiß, ist etwas anderes: Dass die Stadt noch öfter auf die gleiche Weise medizinische Schutzkleidung bekommen kann, wie es sie jetzt bekommen hat. Nowack spricht von einem großen Netzwerk und davon, dass alle aus diesem Netzwerk erklärt haben, einen Transport wie diesen zu wiederholen, sollte Bremen das wollen. Die Helfer, meint er, stehen quasi bereit.
Zu ihnen zählt Nowack sowohl Bremer Geschäftsleute als auch chinesische. Manche bezeichnet er als Logistiker oder Produzenten andere als Bekannte oder Freunde. Erich Thomanek gehört zu den Freunden. Anfang April erzählte er Nowack, was der Ortsamtsleiter kaum fassen konnte. Der Chef einer Consultingfirma wollte helfen, die bundesweiten Engpässe bei medizinischer Schutzkleidung kleiner werden zu lassen, wurde aber von einem Berliner Ministerium ans nächste verwiesen: vom Gesundheits- zur Wirtschaftsbehörde, von der Wirtschaftsbehörde zum Verteidigungsressort... bis Thomanek aufgab.
Projekt mit Risiko
Und Nowack nicht nur zum Gesprächs-, sondern Verhandlungspartner wurde. Der Ortsamtsleiter sagt, dass sein Freund familiäre Beziehungen nach China hat, wo die meisten Masken hergestellt werden. Dass dessen Projekte immer durchdachte Projekte sind. Und dass der sein Geld längst gemacht hat und es ihm deshalb nicht um Profit geht. Das hat Nowack auch Bremer Behördenvertretern erzählt, dem Stab von Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard und dem von Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt (beide Linke) zum Beispiel. Später sprach er auch mit Entscheidern des Finanzressorts und der Senatskanzlei.
Im Grunde, meint Nowack, machte er nur, was er auch als Ortsamtsleiter gemacht hat: Leute zusammenzubringen, um Projekte zu realisieren. Auch solche mit Risiko wie dieses. Nowack sagt, dass mehrere Länder und Städte versucht haben, Schutzkleidung für Klinken zu bekommen – und manche dabei gescheitert sind. Mal war die Ware weg, kurz nachdem die vereinbarte Summe überwiesen wurde. Mal kamen Masken an, die nicht zu gebrauchen waren. Auch Bremen hatte Bedenken. Deshalb ließ sich die Stadt nicht nur Videos von der Produktion schicken, sondern sie auch vor Ort kontrollieren.
Laut Nowack wurde noch mehr überprüft. Ihm zufolge ließen die chinesischen Familienmitglieder seines Freundes die Schutzkleidung sozusagen nicht mehr aus den Augen. Auch beim Transport von der Fabrik nahe Hongkong zum Flughafen von Schanghai waren sie dabei. Der Ortsamtsleiter sagt, dass erst nach dieser Zusage der Senat der Bestellung von Gesichtsmasken und Einweganzüge für Klinikkräfte zugestimmt hat. 6,5 Millionen Euro wurden vom Finanzressort für das medizinische Equipment bereitgestellt. Die Summe wird aus dem Fonds für Corona-Sonderausgaben bezahlt.
Nach Angaben von Lukas Fuhrmann ist der Bedarf an Masken für Ärzte und Pflegepersonal groß, aber der an Schutzkitteln noch größer. Der Sprecher von Gesundheitssenatorin Bernhard sagt, dass sich vor allem bei ihnen ein Engpass abgezeichnet hat – und dass der Nachschub somit zur rechten Zeit angekommen ist. Für Nowack ist er noch etwas anderes, nämlich gerade noch rechtzeitig aus Schanghai rausgekommen. Ihm zufolge ist der Flughafen der Millionenmetropole einen Tag nach dem Start des Großraumflugzeugs für weitere Maschinen mit Maskenfracht gesperrt worden.
Dass überhaupt ein Flugzeug für das Bremer Projekt gechartert werden konnte, war lange unklar. Nowack sagt, dass die meisten Airlines entweder keine Maschine mehr frei hatten oder so viel Geld verlangten, dass die Fracht kaum zu bezahlen gewesen wäre. Nach seiner Rechnung sollte der Flug einer Boeing 747 von Schanghai nach Bremen im Februar 400.000 Euro kosten – einen Monat später das Vierfache. Zumindest bei den meisten Fluggesellschaften. Nur bei Qatar Airways nicht, zu dem ein Bremer Unternehmen einen Kontakt herstellte, das die Logistik der Masken und Kittel übernommen hatte.
Das Problem dabei: Die Airline hatte nur ein Flugzeug parat, das noch größer als eine 747 ist – eine Boing 777, von der man laut Nowack nicht wusste, ob sie in Bremen überhaupt landen kann. Dass sie es am Ende konnte, hat nach seinen Worten auch mit dem Einsatz der Fluggesellschaft zu tun: Sie ließ die Piloten, die zuvor kein einziges Mal den Hans-Koschnick-Airport angeflogen waren, vorsorglich am Simulator üben. Nowack sagt, dass die Crew offenbar viel geübt hat: Sie brauchte die gesamte Landebahn nicht.