Frau Sommer, in Bremen beginnen kommende Woche zwei Drogenprozesse. Zur Anklage führten verschlüsselte Chats, die die Polizei hacken konnte. Nun wird darüber gestritten, ob diese Chats vor Gericht überhaupt verwertet werden können. Können Sie das erklären?
Imke Sommer: Über diesen Fall weiß ich nichts, daher kann ich nur allgemein etwas zur Beweiswürdigung durch die unabhängigen Richterinnen und Richter sagen. Beispielsweise in den Dashcamfällen, in denen mitlaufende Kfz-Kameras alle Verkehrsteilnehmer permanent aufnehmen, kommt das Beweismittel unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Regelungen zustande. Hier obliegt es den Gerichten, diesen Umstand zu werten und zu entscheiden, ob und wie der Beweis herangezogen wird.
Datenschutz könnte also schwerer wiegen als die Überführung von Schwerverbrechern?
Dass es in bestimmten Fällen Beweisverwertungsverbote gibt, ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip. Dabei geht es in den meisten Fällen nicht um die informationelle Selbstbestimmung, also den Datenschutz, sondern um andere Grundrechte wie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das Grundrecht auf das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis oder die Pressefreiheit. Der Gesetzgeber und im jeweiligen Einzelfall die unabhängigen Richterinnen und Richter müssen entscheiden, ob das Grundrecht oder das Strafinteresse des Staates vorrangig sind, ob also der Beweis als „Frucht des vergifteten Baumes“ verwendet oder nicht verwendet werden darf.
Gibt es Erfahrungswerte, wie diese Entscheidungen ausfallen?
In Fällen wie durch Folter erpressten Aussagen ist das eindeutig. Und wenn wochenlange Beschattung und heimliche Videoüberwachung das Ziel hätten, zu beweisen, dass ich manchmal bei Rot über die Ampel gehe, spräche ebenfalls alles für ein Beweisverwertungsverbot. In den meisten Fällen haben es die Richterinnen und Richter bei der Entscheidung aber viel schwerer. Der Eindruck, dass Datenschutz immer gewinnt, ist übrigens falsch: Die mit Hilfe von rechtswidrigen Dashcams erstatteten Aufnahmen werden von Gerichten häufig trotzdem als Beweise hinzugezogen. Das schützt dann aber nicht vor dem datenschutzrechtlichen Bußgeld.
Bei dem Fahndungserfolg der Polizei geht es um europaweite Straftaten. Wissen Sie, ob unsere Nachbarn ähnliche datenschutzrechtliche Probleme haben?
Die Regelungen zu Beweisverwertungsverboten unterscheiden sich in Europa. Wie damit in grenzüberschreitenden Fällen umgegangen werden muss, wird ebenfalls von den Gerichten entschieden. Das letzte Wort haben dann im Streitfall letztlich gegebenenfalls der Europäische Gerichtshof beziehungsweise der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Das Gespräch führte Ralf Michel.
Imke Sommer (56) ist promovierte Volljuristin und seit 2009 Bremens Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit.