Impfen, was das Zeug hält – so wollen es Bund und Länder. Doch wieder einmal hakt es: Die Hausärzte in Bremen und Niedersachsen beklagen sich, dass sie nicht genügend Impfstoff bekommen. Ohne Vorwarnung sei die Lieferung des besonders begehrten Biontech-Vakzins deutlich reduziert worden. In den Praxen herrsche Chaos, viele Impftermine könnten in dieser Woche nicht eingehalten werden. Die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KVHB) kritisierte am Montag in einem Schreiben an ihre Bundesvereinigung, dass das Engagement der niedergelassenen Ärzte konterkariert werde. Schuld sei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der den Biontech-Engpass herbeigeführt habe und zusätzlich durch schlechte Kommunikation Verwirrung stifte.
Die Situation ist paradox: Erstmals gab es in der vergangenen Woche in Deutschland wieder mehr als 100.000 Erstimpfungen an einem Tag, teilte Spahn mit. Auch die Auffrischimpfungen würden von der Bevölkerung gut angenommen. In den Praxen zum Beispiel der niedersächsischen Haus- und Fachärzte sei mehr geimpft als je zuvor, teilte die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen mit. "Mit einem Wochenergebnis von mehr als 289.000 Impfungen, davon fast 234.000 Booster-Impfungen, haben die Ärzte großes Engagement bewiesen." Hans-Michael Mühlenfeld kann diesen Trend bestätigen: "Die Nachfrage ist merklich gestiegen", sagt der Vorsitzende des Bremer Hausärzteverbands. Umso ärgerlicher und eben paradox, meint er, dass nun am Angebot geschraubt wird, und zwar nach unten.
Von 40 bestellten Ampullen mit je sechs Dosen Biontech habe er lediglich 14 als Lieferung bestätigt bekommen. Vom zweiten möglichen Impfmittel, dem Vakzin Moderna, werde er zum Ausgleich keine einzige Ampulle mehr erhalten. "Die Folge ist, dass ich in dieser Woche Termine absagen muss", so der Mediziner. Auf Spahn ist er nicht gut zu sprechen: "Das ist ein kommunikativer Overkill, eine Unverschämtheit."
Der Gesundheitsminister hatte sich widersprüchlich geäußert. Zunächst hieß es, Biontech werde vom Bund nur noch begrenzt geliefert, weil wegen des Haltbarkeitsdatums eine Zeit lang Moderna den Vorzug erhalten solle. Dann erklärte Spahn, dass er Biontech keineswegs zurückhalte, sondern wegen der immens gestiegenen Nachfrage einfach nicht genügend zur Verfügung habe. Nach Auskunft der Bremer Apothekerkammer gibt es nur noch die Hälfte der vorherigen Menge Biontech. "Den Grund kenne ich nicht", sagt Kammer-Geschäftsführerin Isabel Justus.
Impfstoff sei genügend vorhanden, betont Spahn. Nur gilt das offenbar zurzeit nicht für Biontech. Dass stattdessen in Zukunft mehr Moderna verimpft wird, sei medizinisch kein Problem, betont Bernhard Rochell, Vorstandsvorsitzender der KVHB: "Das ist ein guter Impfstoff." Mühlenfeld schätzt es genauso ein. Bei einem Wechsel vom verabredeten Biontech zu Moderna müsse aber erst einmal wieder mit den Patienten geredet werden, und das koste wertvolle Zeit, sagt der Hausarzt. Außerdem sei Biontech in den kleinen Praxen wegen der Portionierung besser einsetzbar als Moderna, das bevorzugt in größeren Einheiten wie den Impfzentren verwendet werden sollte.
Bei Ärzten, die Erwachsene behandeln, dürfte sich die Situation in der kommenden Woche ein wenig entspannen. Dann nämlich, wenn als Reaktion auf den Engpass bei Biontech mehr Moderna geordert wurde. Anders sieht es aus Sicht des KVHB bei den Kinder- und Jugendärzten aus. "Bei Kindern ab zwölf Jahren und Jugendlichen darf ausschließlich Biontech verwendet werden", erklärt KVHB-Chef Rochell. Eine Lieferung von Moderna an pädiatrische Praxen sei deshalb sinnlos. Sollte die Ständige Impfkommission im Dezember auch die Impfung aller Fünf- bis Zwölfjährigen empfehlen, werde dies die pädiatrischen Praxen vor enorme Herausforderungen stellen. Daher müssten Kinder- und Jugendarztpraxen jetzt möglichst ohne Begrenzung mit Biontech beliefert werden, um bei den Impfungen schnell voranzukommen.
In Bremens öffentlichen Impfstellen, zu denen ab Ende dieser Woche das neue Zentrum im ehemaligen Sparkassengebäude am Brill gehört, wird es beim Impfstoff nach Einschätzung der Gesundheitsbehörde keinen Engpass geben: "Wir haben genügend, um die Nachfrage zu befriedigen", versichert Ressortsprecher Lukas Fuhrmann. Zwar sei zuletzt ebenfalls weniger Biontech geliefert worden als zuvor, es sei aber noch ausreichend vorhanden. "Wir haben einen kleinen Vorrat angelegt", so Fuhrmann. Mit Stand von Montag sind das bei Biontech 2689 Ampullen, die 16.134 Impfdosen ergeben. Bei Moderna sind es 690 Ampullen, bei Johnson und Johnson 1708.