Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Digitales Gesundheitswesen Elektronische Krankschreibung mit Hürden

Bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen ruckelt es noch. In Bremen können zum Beispiel viele Ärzte bereits elektronische Arztbriefe verschicken, aber die Kliniken im Land können sie noch nicht empfangen.
26.07.2022, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Elektronische Krankschreibung mit Hürden
Von Timo Thalmann

Kein "gelber Schein" mehr vom Arzt: Seit 1. Juli ist die Krankschreibung für Arbeitnehmer offiziell eine papierlose Angelegenheit. Alle niedergelassenen Ärzte melden die sogenannte "elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung" (eAU) direkt an die Krankenkasse. Und von dort erhält auch der Arbeitgeber die Mitteilung über den Ausfall seines Angestellten. So die Theorie.

Praktisch sieht das momentan aber noch anders aus: Während die Ärzte die eAU seit rund drei Wochen ausgeben, sind Krankenkassen und Arbeitgeber erst ab 1. Januar 2023 in der Pflicht, die Daten der Krankschreibung auszutauschen. Deshalb gibt es bis dahin parallel zur Datenübermittlung an die Kassen weiterhin Papier für den Patienten, um es beim Arbeitgeber einzureichen. Es ist nur nicht mehr der gelbe Schein, sondern ein bedrucktes DIN-A4-Blatt. Unter anderem durch solche unterschiedliche Fristen für die Beteiligten sowie andere praktische Probleme der Umsetzung ruckelt es noch an vielen Stellen bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Lesen Sie auch

Müssen alle Ärzte seit 1. Juli die elektronische Krankschreibung ausstellen?

Theoretisch ja, denn das System basiert auf einem einheitlichen Standard, der jetzt seit bereits rund zwei Jahren eingeführt ist. Er nennt sich "Kim". Das Kürzel steht für "Kommunikation in der Medizin" und bildet die Grundlage für zahlreiche digitale Anwendungen. Die wichtigste Funktion von Kim ist eine sichere und im Alltag zugleich einfach zu nutzende Verschlüsselung, um sensible medizinische Informationen nach allen Vorgaben des Datenschutzes digital zu übermitteln.

Nur auf der Basis von Kim dürfen daher Laborbefunde, Krankschreibungen, Arztberichte oder Abrechnungsdaten elektronisch verschickt werden. Trotz des fast zweijährigen Vorlaufs nutzen aber noch nicht alle Arztpraxen die eAU. Nach einer Auswertung der AOK Bremen/Bremerhaven lag der Anteil der digitalen Variante in den ersten zwei Wochen im Juli aber immerhin bei rund 67 Prozent der Krankschreibungen. Das wertet die Kasse als großen Fortschritt. "Im Juni waren es noch 20 Prozent" sagt Sprecher Jörg Hons. So hohe Werte direkt nach dem Stichtag habe man nicht erwartet.

Haben manche Arztpraxen die Einführung des neuen Standards einfach verpasst?  

Es gibt bei der Umsetzung viele praktische Hürden, zum Beispiel müssen Service-Techniker des jeweiligen Dienstleisters in jeder Arztpraxis Teile der Informationstechnik erneuern. Sogenannte Konnektoren – eine Art Internet-Router – sollen den Datenschutz sicherstellen. "Das ist häufig wahrscheinlich eine Frage der Logistik, wie die Anbieter das schaffen", vermutet Hons. Falls eine Arztpraxis bei der Umstellung auf die elektronische Krankschreibung noch hinterherhinkt, gibt es zwei bedruckte DIN-A4 Seiten für den Patienten, die er wie zuvor an Krankenkasse und Arbeitgeber weiterreichen muss. Allerdings: Bis Jahresende muss die Umstellung endgültig erfolgt sein, sonst drohen den Ärzten Sanktionen.

Wie ist der Stand bei weiteren Anwendungen, etwa digitalen Arztbriefen?

Ein Hausarzt, der seine Befunde in Form eines digitalen Arztbriefes ("eArztbrief") beispielsweise einem Facharzt übermitteln will, ist verpflichtet, dies sicher verschlüsselt zu tun. Und weil durch die eAU die Praxen die Technik nun haben, sieht die Kassenärztliche Vereinigung in Bremen sie wiederum in der Pflicht, Arztbriefe künftig digital zu versenden. Streng formal betrachtet gibt es aber keine Vorgaben zur verbindlichen Nutzung von Kim beim eArztbrief. Das Problem: Nicht alle potenziellen Adressaten haben bereits Kim-Anwendungen, um die verschlüsselten E-Mails auch zu empfangen. "Ich musste neulich für eine Patientin den Arztbrief ganz traditionell im Briefumschlag an das Krankenhaus schicken", berichtet etwa Hans Michael Mühlenfeld, Sprecher des Bremer Hausärzteverbandes. Alle anderen Übermittlungsformen vom Fax bis zur E-Mail hätten gegen den Datenschutz verstoßen. Eine eher missliche Situation, findet der Hausarzt.

Lesen Sie auch

Sind Krankenhäuser nicht auf den neuen Standard verpflichtet?

Laut der Gematik GmbH, die unter anderem den Kim-Standard verwaltet und sämtliche Soft- und Hardware dafür zertifiziert, sind Kim-Anwendungen in den Kliniken im Gegensatz zu den Arztpraxen noch nicht so weit fortgeschritten. Anders als für die niedergelassenen Ärzte gibt es auch keine Fristsetzung für die Krankenhäuser. In Bremen nutzt derzeit keine Klinik das System. Der kommunale Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) ist laut Sprecher Rolf Schlüter kurz davor, eine Lösung auszuschreiben. "Wir kalkulieren damit, irgendwann ab Herbst auf diesem Weg medizinische Daten mit Dritten austauschen zu können."

Wie ist der Stand es bei anderen medizinischen Anbietern?

Bei einigen Akteuren, die im Bereich Medizin und Pflege unterwegs sind, ist eine Umsetzung momentan im Rahmen eines Pilotprojektes möglich. Das gilt in Bremen zum Beispiel für Pflegedienste und -heime, Hebammen und Physio-Therapeuten. Sie können beim elektronischen Gesundheitsberuferegister ihren digitalen Heilberufeausweise beantragen. Diese Chipkarte mit Pin signiert, ver- und entschlüsselt die Daten und ist damit die Eintrittskarte für alle Kim-Anwendungen. Für Hebammen und Physiotherapeuten gibt es ähnlich wie bei den Ärzten Zuschüsse durch die Krankenkasse für die die Kosten der notwendige Hard- und Software. In der Pflege übernimmt das die Pflegekasse.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)