Sie wünscht sich mehr Menschlichkeit, sagt Meike Modersitzki zu den Anwesenden in dem Tagungsraum des Intercity-Hotels. Dass man Personen wie ihr nicht direkt aus dem Weg geht. "Manchmal will ich nur nach der Uhrzeit fragen, die Leute drehen sich aber sofort weg, weil sie denken, ich schnorre oder möchte ihnen sonst etwas Böses", erzählt sie. Seit 40 Jahren ist die 52-Jährige nach eigenen Angaben abhängig von Betäubungsmitteln, hat jahrelang auf der Straße gelebt. Den Bremer Hauptbahnhof und alles, was dazu gehört, kenne sie in- und auswendig.
Immer wieder steht Modersitzki an diesem Abend auf und meldet sich zu Wort oder ruft dazwischen, wenn ihr Redebeiträge auf dem Podium nicht gefallen. Die Bremerin will, dass man die betroffenen Drogenerkrankten mehr einbezieht und mit- anstatt über sie spricht. Wie sehr die Problematiken am Hauptbahnhof nach wie vor die Menschen in der Stadt bewegen und wie man sich an verschiedenen Auffassungen dazu reiben kann, wird am Donnerstagabend deutlich. Die CDU-Fraktion hat zu einer Diskussionsrunde geladen, der Veranstaltungsort liegt mit dem Intercity-Hotel im Grunde mitten im Epizentrum.
Kirche am Bahnhof muss Zugang schließen
Vermutlich ist das ein Grund dafür, warum die Polizei nach Angaben der CDU zu einem Sicherheitsdienst geraten hat. Direkt einschreiten muss dieser am Abend zwar nicht, laut wird es trotzdem ein ums andere Mal. Knapp 100 Menschen sind gekommen, um sich die Diskussion der Podiumsteilnehmer anzuhören, aber eben auch selbst über ihre Erfahrungen zu sprechen. Neben Betroffenen aus der Szene wie Meike Modersitzki sind Vertreter aus Politik, der Drogenhilfe oder Anwohner vor Ort.
Auf dem Podium sitzt unter anderem Steffen Kahl, Pastor der an den Bahnhof angrenzenden Kreuzgemeinde. Regelmäßig verirrten sich Drogenkranke in der Vergangenheit auf das Grundstück, konsumieren dort, randalieren oder erleichtern sich. "Das hat dazu geführt, dass wir vor Kurzem unser Hauptzugangstor verschließen mussten - und das als Kirche", kritisiert er.
Auch Fritz Rößler, Vertreter des Anrainervereins "Attraktiver Bremer Bahnhof", kämpft seit Monaten für eine Verbesserung der Situation vor Ort. Der Verein setzt sich vor allem für eine Aufwertung des Platzes vor dem Übersee-Museum ein. Die erhöhte Polizeipräsenz in den vergangenen Wochen und gezielte Einsätze gegen Dealer haben laut Rößler zu ersten Erfolgen geführt. "Die Polizei leistet dort gute Arbeit", sagt er.
CDU: über erneutes Alkoholverbot nachdenken
Das allein reicht jedoch nicht, findet Marco Lübke, selbst Polizist und innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. "Die Frage ist, wie lange man einen derartigen Kontrolldruck aufrechterhalten kann und will", sagt er. "Immer wieder gibt es Großaktionen des Innensenators, bei denen er proklamiert, richtig durchzugreifen. Das ist sein Dauer-Slogan geworden." Lübke fordert stattdessen mehr Einsatz der anderen Behörden. "Alle Ressorts müssen bei der Sache an einem Strang ziehen." Auch ein Alkohol- und Drogenkonsumverbot müsse man erneut in Erwägung ziehen.
Hoffnung setzen bisher viele der Akteure auf die Einrichtung eines festen Drogenkonsumraums, der bis 2024 in der Friedrich-Rauers-Straße entstehen soll. Bis dahin bietet die gemeinnützige Comeback GmbH ein provisorisches Angebot aus Containern, in dem Menschen auch beraten werden sollen. Außerdem planen die Ressorts derzeit eine Ausweichfläche zum Aufenthalt - mehr als ein paar Bänke waren dort bis zuletzt jedoch nicht hergerichtet (wir berichteten).
Drogenkonsumraum zu weit weg?
Dass Verbote und Vertreibung für Verbesserung am Bahnhof sorgen können, glaubt Lea Albrecht, die den provisorischen Drogenkonsumraum leitet, indes nicht. Sie fordert, die Betroffenen mehr in die Diskussion einzubinden und den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. "Sind zwei Bänke wirklich auf Augenhöhe?", fragt sie in Anspielung auf die Ausweichfläche.
In der Diskussion ist zudem immer wieder, ob die Friedrich-Rauers-Straße nicht zu weit weg vom Bahnhof liegt, immerhin rund ein Kilometer. Gerade für Cracksüchtige, die einen enormen Konsumdruck verspüren, ist diese Distanz häufig zu weit. Das bestätigt auch Meike Modersitzki. "Viele aus der Szene schaffen das einfach nicht."
Vertreter aus Bremen seien unlängst in Hamburg gewesen. Dort gebe es einen Konsumraum mit Beratungsstelle am Bahnhof. "Dicht dran, aber eben etwas getrennt von Bahnhof und ZOB. Mit dem Konzept hat man dort gute Erfahrung gemacht", sagt Derk Dreyer, Leiter der Abteilung Mitte-Süd bei der Bremer Polizei.
Mutter kritisiert Art der Drogenhilfe
Ein Aspekt, der bisher in der Diskussion um die Drogenproblematik am Hauptbahnhof relativ wenig diskutiert wird, ist die Art und Weise der Drogenhilfe. Eine Frau bewegt die Anwesenden besonders: Ihr Sohn sei selbst seit Jahren drogenabhängig und obdachlos. "Anstatt den Fokus mehr darauf zu setzen, wie man die Leute von der Straße bekommt, habe ich den Eindruck, der Konsum wird in Bremen zu stark unterstützt", sagt sie und kritisiert damit auch die Arbeit des provisorischen Drogenkonsumraums, in dem Abhängige sauberes Drogenbesteck erhalten. "Damit kann mein Sohn mittlerweile einen eigenen Laden aufmachen", sagt sie.
Ein weiterer Kritikpunkt der Mutter: Wer etwa nach einem Entzug auf Überbrückungssubstitution angewiesen ist, erhält diese im Tivoli-Hochhaus unweit des Bahnhofes. "Und muss damit komplett durch die Szene durch, von der man eigentlich Abstand gewinnen will. Das passt für mich nicht zusammen", sagt sie.