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Ein Leben mit ALS Die schwierigsten zwölf Monate überhaupt

ALS-Patient Tobias Laatz feiert seinen Geburtstag und blickt mit seiner Frau auf das letzte Jahr zurück. Für die beiden waren die vergangenen zwölf Monate die vielleicht schwierigste Zeit überhaupt.
18.08.2018, 20:01 Uhr
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Die schwierigsten zwölf Monate überhaupt
Von Christian Weth

Tobias und Doris Laatz wissen, dass man sich viel leichter an Schlechtes erinnert als an Gutes. Darum haben sie sich Zeit genommen – und sich erst beraten, dann Stichwörter gemacht. Jeder für sich. Sie auf dem Notizblock, er auf dem Sprachcomputer. Was sie aufgeschrieben haben, liest sich ähnlich: Die vergangenen zwölf Monate, meinen beide, waren schwierige Monate. Vielleicht die schwierigsten überhaupt.

Es hat Momente gegeben, die sie nicht vergessen wollen. Und Augenblicke, die sie nicht vergessen können. Die einen, schreibt Tobias Laatz, waren „s-o s-c-h-ö-n“, die anderen „s-o s-c-h-l-i-m-m“. Und von allen schönen Momenten war für sie ihre Hochzeit im September der schönste. Beide brauchen sich keine Fotos anzuschauen, sie haben die Bilder im Kopf: Sie fährt in einer weißen Kutsche vor. Er sagt der Standesbeamtin das eine Wort, so gut er es ohne Technik kann – Ja. Beide sitzen am Abend im Rollstuhl und eröffnen den Tanz.

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„R-i-c-h-t-i-g s-c-h-l-i-m-m“ war die Lungenentzündung im Januar: Sein Zustand ist kritisch. Die behandelnde Ärztin sagt, dass Tobias Laatz an einem Scheideweg steht. Will er länger leben, braucht er einen Luftröhrenschnitt. Und ab sofort ein Team von Intensivpflegern, das ihn zu Hause betreut, am Tag und in der Nacht. Als Tobias Laatz aus der Klinik kommt, ist die Familie nicht mehr allein in der Wohnung – und nicht mehr so, wie sie vorher war.

Tobias Laatz schreibt, dass es „w-e-h-t-u-t“, wenn er an Leonie denkt. Der Vater will seine älteste Tochter „s-c-h-ü-t-z-e-n“: Sie soll nicht jeden Tag sehen, was die Krankheit mit ihm macht. Die Viertklässlerin wohnt deshalb jetzt bei seinem Bruder. Leonie ist die einzige in der Familie, die seit Längerem psychologische Hilfe bekommt. Für Doris Laatz ist der Tag des Abschieds einer der traurigsten in den vergangenen Monaten. Sie ist es, die dem Mädchen erklärt, dass ihr Umzug kurz bevorsteht.

"Ich dachte, alles schaffen und alles aushalten zu können"

Vieles hat sich verändert. Und vieles schneller, als Tobias und Doris Laatz erwartet hatten. Im September konnte er seinen Rollstuhl noch selbst mit dem Joystick steuern, jetzt kann er das nicht mehr. Im März schaffte er es noch ohne Technik zu atmen, jetzt schafft er das nicht mehr. Im Juli gelang es ihm noch langsam den Kopf nach links und rechts zu bewegen, jetzt gelingt ihm das nicht mehr. Tobias Laatz schreibt, dass ihm das Angst macht. Seine Frau sagt es.

Es gab eine Zeit, in der hatte sich Doris Laatz unendlich stark gefühlt. „Ich dachte, alles schaffen und alles aushalten zu können.“ Sie hat falsch gedacht. Die Stärke verließ sie. Auf einmal schien alles falsch, was vorher richtig war. Das Pflegen ihres Mannes und das Betreuen der Kinder, das weiß sie jetzt, hatte sie an ihre Grenzen gebracht. Seither gehen Doris und Tobias Laatz anders miteinander um, vor allem offener. Sie sagt ihm jetzt, wann sie für Stunden eine Auszeit braucht.

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Und Stefanie Bittner achtet darauf, dass Doris Laatz sie nimmt. Die Intensivpflegerin wacht, wenn man so will, über beide. Bittner gehört zu einem neuen Team von Fachkräften, nachdem das alte gekündigt hatte. Doris Laatz suchte täglich nach Ersatz. Trotzdem fand sie ihn erst nach Monaten. Immer wieder gab es Zusagen und immer wieder Absagen. Seit Juli ist Bittner da. Bald soll mehr Personal kommen. Und solange es fehlt, ist Doris Laatz die zweite Hälfte des Teams.

Sie führen ein Leben, dass viele nicht führen würden. Das hören Tobias und Doris Laatz oft. Für beide ist das normal, weil die Leute, die das sagen, gesund sind – und sich darum nicht vorstellen können, dass es eine Wahl gar nicht gibt, wenn man schwer krank wird. Dass man jede Therapie und Chance nutzt, weil man am Leben hängt. An den Kindern. Dem Partner. Doris Laatz hat kürzlich entschieden, dass ihr Mann nicht in ein Hospiz kommt. Sie will ihn bis zuletzt zu Hause pflegen.

Zur Sache

Das ist der letzte Teil der Serie "Das Leben eines Schwerkranken". Ein Jahr lang haben wir Tobias Laatz, seine Frau, seine Kinder, Freunde und Pfleger begleitet. Wir werden sie aber auch weiterhin besuchen und über sie schreiben.

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