Doris und Tobias Laatz haben sich das schon oft gewünscht: Mal weg, einfach raus, mit der ganzen Familie, für einen Tag, für eine Woche. Immer wieder haben sie sich das vorgenommen. Und immer wieder kam etwas dazwischen. Meistens die Krankheit. Im Dezember wollten sie für ein paar Stunden zum Weihnachtsmarkt in die Innenstadt. Der Bus eines Pflegedienstes stand schon vor dem Haus. Am Ende fuhr er ohne sie ab. Tobias Laatz ging es plötzlich schlecht. Sein Blutdruck war so niedrig, dass er Kreislaufprobleme bekam.
Jetzt haben sie einen neuen Plan gefasst. Er ist so vage wie jeder ihrer Pläne. Doris Laatz kann nicht einfach einen Urlaub im Voraus buchen, weil sie nicht weiß, was mit ihrem Mann am nächsten Tag, in der nächsten Woche, in einem Monat ist. Darum sagt sie oft: „Vielleicht.“ Vielleicht geht es diesmal ans Wasser. Vielleicht an die Nord- oder die Ostsee. Vielleicht in den Herbstferien. Inzwischen hat sie sich nach Ferienwohnungen erkundigt, die so sind wie ihre eigene Wohnung ist: rollstuhlgerecht.
Um wegfahren zu können, muss vorher allerdings noch etwas anderes passieren. Für Doris Laatz ist auch das ein Wunsch. Eigentlich ist es ein Auftrag: Techniker müssen den Rollstuhl ihres Mannes so umbauen, dass seine Arme und sein Kopf mehr Halt finden als bisher. Mittlerweile haben sie einen neuen Anbieter, weil der alte das spezielle Zubehör nach eigenem Bekunden nicht ordern konnte. Monatelang haben sie darauf gewartet. Monatelang stand der Rollstuhl unbenutzt im Zimmer nebenan.
Zweimal hat Tobias Laatz jetzt wieder gesessen, auch wenn die Armlehnen und die Kopfstütze noch nicht so sind, wie sie sein sollten. Er übt das Sitzen. Er muss es, damit sich der Wunsch, an die Nord- oder die Ostsee zu fahren, erfüllen kann. Und auch ein anderer: einmal ins Weserstadion, um gemeinsam ein Werder-Spiel zu sehen. Nicht mit seiner Frau, sondern mit seinem Vater. Detlev Dewers sagt, dass sie früher regelmäßig beim Fußball waren. Und dass er heute davon träumt, wie das damals war.
An einiges kann sich Doris Laatz in manchen Momenten nicht mehr erinnern. Etwa daran, wie die Stimme ihres Mannes klang, als er noch sprechen konnte. Um sie noch einmal zu hören, schaut sie sich abends kurze Videos von ihm auf dem Smartphone an. Doris Laatz spricht nicht mehr von Heilung. Sie sagt, dass es das größte Glück für sie wäre, wenn alles so bleiben könnte, wie es jetzt ist. Wenn die Krankheit nicht weiter voranschreiten würde. Das wünscht sie sich jedoch nicht, so wie sie sich einen Urlaub mit der Familie an der See wünscht. Das hofft sie – „mehr als alles andere“.
Zur Sache
Das ist der letzte Teil der Serie "Das Leben eines Schwerkranken". Ein Jahr lang haben wir Tobias Laatz, seine Frau, seine Kinder, Freunde und Pfleger begleitet. Wir werden sie aber auch weiterhin besuchen und über sie schreiben. Hier geht es zum Dossier und den anderen Teilen der Serie.