Der Ärger Bremer Eltern, die keinen Kita-Platz bekommen haben, wächst. Ende vergangener Woche musste die Senatorin für Bildung und Kinder, Claudia Bogedan (SPD), einräumen, dass zum Start des Kindergartenjahres 660 Plätze fehlen. Der Protest richtet sich nicht mehr nur gegen die zuständige Senatorin, betroffene Eltern fordern Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) zum Handeln auf.
„Die Defizite im Ausbau der Kindertagesstätten nehmen seit vielen Jahren nicht ab. Die rot-grüne Regierungskoalition verstrickt sich von Jahr zu Jahr immer tiefer in Ausreden und Fehlplanungen“, schreibt die Zentral-Eltern-Vertretung der Tageseinrichtungen für Kinder in Bremen am Montag in einem offenen Brief an Bogedan und Sieling.
„Frau Senatorin Anja Stahmann sowie Frau Senatorin Claudia Bogedan machen Versprechungen, die sie nicht ohne Weiteres halten können. Das Regierungsoberhaupt Herr Bürgermeister Carsten Sieling schaut zu, wie die Bremer frühkindliche Bildung den Bach runter geht und will dieses mit Sparmaßnahmen auch noch fördern“, heißt es in dem Schreiben.
Qualitätsverlust in der Betreuung und Überlastung des Personals
Andreas Seele, Vorstandssprecher der Zentral-Eltern-Vertretung wirft dem Senat vor, man habe darauf gebaut, dass nur wenige Eltern auf ihren Rechtsanspruch auf frühkindliche Bildung beharrten. Um eine große Klagewelle der Eltern abzuwenden, plane man nun eine schleichende Erhöhung der Gruppenstärken in den Einrichtungen und verkaufe dies als Übergangslösung.
„Die Folgen sind ein Qualitätsverlust in der Kindertagesbetreuung und eine extreme Überlastung des Fachpersonals. Aber das wird einfach ignoriert“, kritisiert Seele. Die Zentral-Eltern-Vertretung fordert Sieling auf, den Ausbau von Kita-Plätzen zur Chefsache zu machen und eine Task Force einzurichten – „damit Bauvorhaben aller Träger der Stadtgemeinde beschleunigt werden“.
Um die Kita-Krise zu bewältigen, hatte Bogedan am Donnerstag mehrere Notmaßnahmen angekündigt: Unter anderem sollen Container aufgestellt werden, die aber erst in mehreren Monaten zur Verfügung stehen würden. Gemeindesäle in kirchlichen Einrichtungen sollen genutzt, Horte an Grundschulen verlegt und notfalls auch Betreuungsgruppen vergrößert werden.
Erhöhte Geburtenzahl als Ursache
"Vollgepfropfte Kindergärten mit über 200 Kindern oder mehr dürfen keine Zukunft haben", heißt es in dem offenen Brief. Fehlplanungen der Behörde dürften nicht auf dem Rücken der Kinder und des Fachpersonals ausgetragen werden. Erklärungen der Senatorin wie „Das haben wir nicht erwartet“ oder „Der Ansturm vieler Zuwanderer“ seien Ausreden für die Fehlplanungen.
Bogedan hatte den Mangel an Kita-Plätzen unter anderem mit der hohen Zuwanderung von Flüchtlingen erklärt, zudem habe sich die Zahl der Geburten überraschend schnell erhöht. Noch Anfang 2015 sei diese Entwicklung nicht absehbar gewesen, hatte die Senatorin betont.
Die Zentral-Eltern-Vertretung bekommt laut Seele täglich mehrere Anrufe von Eltern, die ohne Kita-Platz für ihre Kinder dastehen. Sie fühlten sich vom Senat und der Bildungsbehörde im Stich gelassen, viele wollen den Rechtsanspruch einklagen.
Furcht um Arbeitsplätze bei Eltern
„Die Reaktionen reichen von erbost bis verzweifelt. Manche fürchten um ihren Arbeitsplatz, weil sie nicht wissen, wo sie ihre Kinder unterbringen können“, schildert Seele.
Ein betroffenes Elternpaar sind Ruth und Michael S., die ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. Im Januar haben sie ihren Sohn für einen Platz in einer Kindertagesstätte angemeldet. Neben einer Wunsch-Kita haben sie zwei Alternativen angegeben. „Anfang Mai haben wir die Absage für die Wunsch-Kita erhalten.
Mit dem Hinweis, dass unsere Unterlagen weitergeleitet wurden“, berichtet Michael S. Die Eltern vertrauten darauf, dass die Alternativ-Wünsche damit geprüft würden. Anfang Juni sei ein weiteres Schreiben gekommen, mit der Nachfrage, ob der Kita-Platz noch benötigt werde. In diesem Fall sollten die Unterlagen ausgefüllt zurückgeschickt werden.
Wütende Reaktionen auf lange Wartezeiten
„Diese Nachfrage haben wir als extrem frech empfunden. Für uns sprach daraus die unverschämte Hoffnung der Behörde, dass sich mit dem langen Warten das Problem vielleicht erledigt hat“, schimpft der Bremer. Die Eltern schickten die Unterlagen erneut zurück – eine Antwort beziehungsweise eine Zusage haben sie laut Michael S. bis heute nicht bekommen.
Ruth und Michael S. fühlen sich im Stich gelassen. „Wir haben auf den Rechtsanspruch vertraut“, sagt der Vater. Das große Problem: Anfang Oktober endet die Elternzeit von Ruth S., ihr Chef erwartet sie zurück an ihrem Arbeitsplatz. Michael S. arbeitet außerhalb von Bremen, Großeltern als Übergangs-Betreuung seien keine Option.
Wohin also mit dem Sohn? Die Eltern hoffen jetzt auf die Kulanz des Arbeitgebers, die Elternzeit eventuell noch verlängern zu können. Ruth und Michael S. erwägen, den Rechtsanspruch einzuklagen.
Vorwürfe von falschen Prioritäten im Senat
„Wir sind verärgert, enttäuscht und entsetzt“, sagt Michael S. „Wir arbeiten seit über 20 Jahren, zahlen unsere Steuern in Bremen, und wenn man dafür auch noch basierend auf einem Rechtsanspruch etwas zurückbekommen möchte, ist das nicht möglich.“ Das Haushaltsnotlageland Bremen müsse alles unternehmen, um Steuerzahler im Land zu halten, Berufspendler gebe es genug, die keinen Cent Einkommenssteuer in Bremen zahlten.
Michael S. wirft dem Senat vor, falsche Prioritäten bei Projekten zu setzen, für die Geld ausgegeben werde: „Der x-te Umbau des Stern in Schwachhausen ist ein Beispiel dafür, das ist absoluter Schwachsinn. Dass sich diese rot-grüne Landesregierung einen sozialen Schwerpunkt gibt, lässt sich nicht erkennen.“
Wie Seele von der Zentral-Eltern-Vertretung vermutet auch Michael S., dass mehr als 660 Kita-Plätze fehlen. Und er befürchtet: „Wenn jetzt so viele Kita-Plätze fehlen, wird in zwei bis drei Jahren der Bedarf an Kindergarten- und Grundschulplätzen ebenfalls drastisch steigen.“