Kein Freimarkt ohne Schmalzkuchen. Jonny Schulze ist eine Institution in Bremen. Umso mehr wird das Geschäft diesmal auf dem Marktgelände vermisst. Das Gerücht, Jonny Schulze habe sich zur Ruhe gesetzt, macht die Runde auf der Bürgerweide und in Liebhaberzirkeln, die sein Fettgebackenes vermissen. Aber Schulze backt weiter.
Dass die Besucherinnen und Besucher dieses 985. Freimarkts auf Schulzes Süßigkeiten verzichten müssen, sei gewissermaßen Pech, sagt Michaela Schulze, um mit den Gerüchten aufzuräumen. „Unsere langjährigen Mitarbeiter aus Polen können diesmal wegen der Corona-Pandemie nicht dabei sein.“ Doppeltes Pech sogar, weil Jonny Schulze eine Absage für die Sommerwiese erhalten hatte. „Zuletzt waren wir 2019 auf dem Weihnachtsmarkt, ganz in der Nähe des Rolands“, sagt Michaela Schulze. Auf den Weihnachtsmarkt setzen sie und ihr Mann aber schon und hoffen auf ihre Leute. „Mit neuem Personal anzufangen, ist sehr schwer“, sagt Klaus Schulze.
Der 79-Jährige betreibt das Bremer Traditionsgeschäft gemeinsam mit seiner Frau Michaela in dritter Generation. In früheren Zeiten war das Café Jonny Schulze das Entree zum Freimarkt gegenüber dem Nordausgang des Hauptbahnhofs, zuletzt stand es dort, wo sich jetzt die Wilde Maus befindet. Jonny Schulze stammt aus der Kaiserzeit: 1891 gründete Hermann Schulze das Geschäft. Anfangs gab es Eis und Waffeln. Inzwischen verbinden Generationen von Freimarktbesuchern Jonny Schulze mit Schmalzkuchen.

Jonny Schulze – das Geschäft mit den Schmalzkuchen hat sich über drei Generationen und viele Jahrzehnte verwandelt. Das große Café ist inzwischen durch zwei kleinere Verkaufswagen ersetzt geworden.
Klaus Schulzes Vater, der wie der Großvater Hermann hieß, übernahm den Betrieb schon bald nach der Gründung. Mit ihm wurden die Schulzes bekannt für ihr Schmalzgebäck. Erst der vierte Jonny, Klaus und Michaelas Sohn, trägt diesen Namen auch offiziell in seiner Geburtsurkunde. Aber er wird seit Langem der erste in der Familie sein, der keine Schmalzkuchen mehr backt. Der jüngste Spross der Schulzes ist Biologe und promoviert derzeit in Hamburg, wie seine Eltern erzählen. Auch wenn er gern beim Auf- und Abbau der Conditorei, wie das Geschäft heute heißt, helfe: Übernehmen werde er den Betrieb nicht.
Bevor sein Vater ihm das Geschäft Ende der Sechzigerjahre übertrug, hatte Klaus Schulze eine Lehre zum Konditor absolviert. Die väterlichen Rezepte für Schmalzkuchen, Berliner, Victoria, Apfeltaschen, Waffeln und Sprungfedern, aber auch für Spezialitäten wie Nonnenfürzchen und Hirschhörner stammten allesamt aus dem Rheinland. Wie Michaela Schulze. „Die Schmalzkuchenbäckerei gab es aber zuerst nur hier, im Norden“, sagt der Chef. „Mit mir stirbt das aus.“

Beim Weihnachtsmarkt in der Innenstadt wollen Michaela und Jonny Schulze mit ihrer Schmalzkuchenbäckerei wieder vertreten sein.
Auf der großen Jahres-Reise, die von der Bremer Osterwiese über Düsseldorf, Düren, Vechta, Blasheim und Stuttgart und weiter zum Freimarkt führte, richtete der Konditor sein Angebot nach der Saison aus: Erdbeerkuchen und Prummetaat, wie der Pflaumenkuchen im Rheinland heißt, standen auf der Café-Karte. „Und die berühmte Schwarzwälder-Kirsch-Sahnetorte“, von der seine Frau schwärmt. „Frische Waffeln haben wir erst später mit auf die Reise genommen.“
Mit Jonnys Geburt 1992 begannen die Schulzes kürzerzutreten. „Wir wollten unseren Sohn nicht auf der Reise zur Schule schicken, wie ich selbst es erlebt hatte“, sagt Klaus Schulze. Also verlegten sie sich stärker auf sogenannte Sommerplätze. „Das hat aber auch viel Kraft gekostet. Der Stoppelmarkt in Vechta beispielsweise, der war bis drei Uhr morgens geöffnet, und sonntags ging es dann um elf wieder los.“ Hinter den Kulissen begann die Arbeit natürlich früher: „Morgens um acht beginnt das Teigmachen. Berliner-Teig braucht Wärme und Zeit – zwei Stunden.“
Auf dem Freimarkt jedenfalls stellte das Café einen Ruhepunkt im Getümmel und Getute dar. „Das Ding war Arbeit“, sagt sein Betreiber. Mindestens vier Leute seien für den Aufbau nötig gewesen, ihn mitgezählt. Zusammengepackt füllte das Geschäft drei Fahrzeuge plus extra Backwagen. Anfangs gab es rund 200 Sitzplätze, später waren es weniger. Zuletzt wurde das 16 mal 16 Meter messende Geschäft 2011 aufgebaut. „Das war schon klein“, sagt Klaus Schulze. Kurz habe der Zirkus Roncalli Interesse daran gehabt, schließlich habe er das mobile Café schon vor Jahren nach Nienburg verkauft.
Seither ist Jonny Schulze mit zwei kleineren Verkaufswagen unterwegs. „Wir waren nie darauf erpicht, etwas darzustellen“, sagt er. „Aber wenn die Kundschaft schon auf einen zukommt und einen vermisst…“