Seinen Namen und sein Alter nennt der Zeuge. Und ja, er wohne in Bremen, bestätigt er am Montagmorgen die entsprechende Frage des Vorsitzenden Richters. „Aber ich will meine Adresse hier lieber nicht sagen“, erklärt der 50-Jährige dann. Offensichtlich hat der Mann Angst. Und nachvollziehbar ist das. Denn es sind seine ausführlichen und detailreichen Aussagen bei der Polizei, auf der die Anklage gegen fünf Männer aus Bremen fußt. Und es geht in diesem Prozess um Geiselnahme, Todesdrohungen und schwere Körperverletzung.
Das Nächste, was der Zeuge sagt, wird einer der Verteidiger später als „Schlüsselmoment dieser Verhandlung“ bezeichnen, und auch das ist nachvollziehbar. Der Mann macht von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Das steht ihm zu, denn wegen Ermittlungen, die im Zusammenhang zu diesem Verfahren stehen – es geht um einen Raubüberfall und illegales Glücksspiel –, könnte er sich eventuell selbst belasten.
Anklage bricht Hauptbelastungszeuge weg
Damit jedoch bricht der Anklage ihr Hauptbelastungszeuge weg, was Auswirkungen haben dürfte auf die ohnehin schon schwierige Beweisführung in diesem Prozess. Aber das ist nicht das Problem des Zeugen. Den entlässt der Vorsitzende Richter nach nur vier Minuten aus dem Zeugenstand, wünscht ihm „noch einen schönen Tag“ und wendet sich dann der Riege von Anwälten zu, die bereits mit den Hufen scharrt.
Rückblende: Im April 2016 soll sich in Huchting eine Geiselnahme zugetragen haben. Das Opfer war der heute 50-jährige Zeuge. Den hätten die fünf Angeklagten mehrere Tage lang festgehalten und misshandelt, sagt die Staatsanwaltschaft. Von brutalen Schlägen ist die Rede, von Demütigungen und sogar von einer Scheinhinrichtung: Die Täter hätten dem Mann angekündigt, ihn umzubringen, dann habe er sich mit verbundenen Augen niederknien müssen und jemand habe ihm eine Pistole an den Kopf gehalten.
Hintergrund dieses Szenarios soll ein Raubüberfall auf eine Teestube in Kirchhuchting fünf Tage zuvor gewesen sein. In dem Lokal sei illegal um hohe Geldsummen gespielt worden, heißt es. Die Angeklagten sollen versucht haben, aus dem Entführungsopfer Informationen über die Hintermänner dieses Überfalls herauszuprügeln.
Auch der heute 50-Jährige ist kein unbeschriebenes Blatt. Im Februar dieses Jahres wurde er an der Grenze zu Österreich mit Kokain erwischt und dafür im Juni zu 18 Monaten Gefängnis wegen Drogenhandels verurteilt. Weil der 50-Jährige selbst drogenabhängig ist und sich zu einer Therapie bereit erklärte, erhielt er jedoch einen Haftaufschub. Verläuft die Therapie erfolgreich, wird die Gefängnisstrafe auf Bewährung ausgesetzt.
Das Landgericht in Bremen beschäftigte sich vor diesem Hintergrund ausführlich mit der Frage, ob und unter welchen Umständen der 50-Jährige als Zeuge im Prozess gegen die fünf Angeklagten zur Verfügung steht. Unter anderem wurde während dessen Untersuchungshaft in Österreich eigens ein Kripo-Beamter aus Bremen nach Wien geschickt, um dort zu klären, ob der Mann überhaupt aussagen wolle. Dazu soll er mehr als bereit gewesen sein ‒ „100.000-prozentig“, zitiert ihn der Vorsitzende Richter.
„Nach Rücksprache mit seiner Familie“
Keine zwei Monate später die Kehrtwende. „Nach Rücksprache mit seiner Familie“ will er nun doch nicht aussagen. Dass diese Begründung genannt wird, könnte durchaus als Hinweis auf seine Situation gedeutet werden. Bei seinen früheren Aussagen gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft hatte er erzählt, dass ihm die Täter, bevor sie ihn letztlich doch laufen ließen, massiv gedroht hätten: Gehst du zur Polizei, bringen wir dich um und vergewaltigen deine Tochter.
Einer der Verteidiger sieht das Problem woanders. Er stellt den Wert der Aussagen des vermeintlichen Opfers generell infrage. Das Verhalten des kokainabhängigen Zeugen sei sprunghaft und widersprüchlich.
Vor allem aber nutzt die Riege der Verteidiger am Montag das Schweigen des so wichtigen Zeugen, um die Aufhebung der Untersuchungshaft für ihre Mandanten zu beantragen. Dadurch, dass die Aussage des Hauptbelastungszeugen wegfalle, ergebe sich eine völlig neue Sachlage. Denn allein wegen dessen Aussagen säßen die Angeklagten seit neun Monaten in U-Haft. Und der dringende Tatverdacht gegen die fünf Männer habe sich in der bislang dreimonatigen Verhandlung ohnehin nicht erhärtet.
Gericht setzt den Prozess auch ohne Hauptbelastungszeugen fort
Über die Anträge auf Aufhebung der U-Haft berät das Gericht bis zum nächsten Verhandlungstag am 3. September. Dass das Gericht den Prozess auch ohne den Hauptbelastungszeugen durchziehen will, machte der Vorsitzende Richter Thorsten Prange aber schon am Montag klar. Der dringende Tatverdacht habe auch bisher auf der Aktenlage gefußt, von daher habe sich nichts geändert. „Wir sind verpflichtet, zu klären, was an dieser Geschichte dran ist“, betont Prange und kündigt einen „Gang über die Dörfer“ an. Soll heißen, das Gericht wird als nächstes alle Ermittlungs- und Vernehmungsbeamten befragen, gegenüber denen der 50-jährige Zeuge Angaben über seine Entführung gemacht hatte.