Eher zurückhaltend agiert das Bildungsressort bislang, wenn es um den Unterricht in Halbgruppen geht. In einer gemeinsamen Erklärung mit Medizinern und Elternvertretern warnte die Behörde noch vor anderthalb Wochen vor einem massiven Rückgang der Bildungszeit durch Halbgruppenunterricht. Wer wie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Kurskorrektur forderte, biss auf Granit. Doch nun könnte Bewegung in die Diskussion kommen. Wie die Bildungsbehörde dem WESER-KURIER bestätigte, wird das Thema an diesem Dienstag in der Senatssitzung eine Rolle spielen.
Aktuell kommt Halbgruppenunterricht nur für einzelne Schulen in Betracht. Voraussetzung dafür ist ein entsprechender Antrag seitens der Schule. In einem solchen Fall werde in Absprache mit der Schulaufsicht „schulscharf entschieden werden“, sagt Annette Kemp, Sprecherin des Bildungsressorts. Eine Einzelfallentscheidung also, bei der das Infektionsgeschehen vor Ort ebenso einfließt wie etwa die Anzahl der zur Verfügung stehenden Klassenräume. Innerhalb der Schulen können auch einzelne Jahrgänge in Halbgruppen unterrichtet werden.
Eine Kehrtwende um 180 Grad ist anscheinend nicht zu erwarten. „Es wird derzeit keinen pauschalen Halbgruppen-Unterricht geben“, versichert Kemp. Das habe Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) immer betont. Gleichwohl scheint es Gesprächsbedarf zu geben. Im Ressort wisse man nicht genau, was am Dienstag entschieden werde, so Kemp. Gegenüber „Buten un Binnen“ ließ Bogedan durchblicken, sie könne sich einen verstärkten Hybrid-Unterricht vorstellen, wobei mehr Distanzunterricht eher für ältere Schülerinnen und Schüler in Frage komme.
Inzwischen rumort es an den Bremer Schulen. Vorneweg preschen das Gymnasium Hamburger Straße in der Östlichen Vorstadt und das Hermann-Böse-Gymnasium in Schwachhausen. Der erste Schritt: ein Stimmungstest unter den Eltern. Das Ergebnis der Umfrage am Gymnasium Hamburger Straße liegt dem WESER-KURIER vor. Auf die Frage, ob sie Präsenz- oder Halbgruppenunterricht bevorzugen würden, sprachen sich zwei Drittel der Eltern für Halbgruppen aus. Vorausgesetzt, dass der Halbgruppenunterricht tatsächlich eingeführt würde, plädierten zwei Drittel der Eltern für einen täglichen Wechsel und ein Drittel für einen wöchentlichen Wechsel.
Einheitliche Lösung wäre wünschenswert
Für Schulleiterin Claudia Dreyer dürfte das Elternvotum wegweisenden Charakter haben. Innerhalb einer Videokonferenz mit den Elternvertretern soll an diesem Dienstag über das weitere Vorgehen beraten werden. „Noch haben wir keinen Beschluss gefasst“, sagt sie. Zumal auch erst einmal abgewartet werden müsse, wie die Vorgaben und Kriterien der Behörde für den Unterricht in Halbgruppen lauteten. Klarheit darüber erwartet Dreyer in den nächsten Tagen.
Die Schulleiterin macht keinen Hehl daraus, dass sie bei Halbgruppen lieber keine halben Sachen machen will. In ihren Augen sollte es nicht jeder Schule überlassen bleiben, ob sie in Halbgruppen unterrichtet oder nicht. Das sei für die Elternschaft irritierend, abweichendes Vorgehen würde womöglich als ungerecht empfunden. „Ich würde mir eine einheitliche Lösung wünschen, orientiert an Niedersachsen“, sagt Dreyer. Im benachbarten Bundesland gilt: Beim Überschreiten eines Inzidenzwertes von 100 und einem Corona-Fall an der Schule muss diese Schule auf geteilte Lerngruppen im Wechselmodell umschalten. Solch klare Leitlinien erhofft sich Dreyer auch für Bremen. „Das ist die Intention meines Vorstoßes“, sagt sie. „Es wäre schön, wenn eine Richtungsänderung in Sicht wäre.“
Mehr Flexibilität fordern indessen Sona Terlohr, Vorstandsmitglied des Elternbeirats der Gesamtschule Mitte (GSM), und Carolin Wohlgemuth, Elternsprecherin an der GSM. Es sei sehr enttäuschend, dass es „nicht längst kreative Lösungen für differenzierten Kleingruppenunterricht“ gebe, heißt es in einer Reaktion auf die Gemeinsame Erklärung von Bildungsbehörde und Zentralelternbeirat (ZEB). „Worauf warten Sie noch? Wie schlecht soll denn insgesamt die Lage noch werden, bevor die Verkleinerung der Klassen endlich kommt?“
Ein interessanter Aspekt bei der Elternumfrage am Gymnasium Hamburger Straße: Je jünger die Schülerinnen und Schüler, desto schwächer das Plädoyer für den Halbgruppenunterricht. Die Eltern der fünften und sechsten Klasse stimmten mehrheitlich für Präsenzunterricht. Erst ab der siebten Klasse sprachen sich die Eltern mit klarer Mehrheit für Halbgruppen aus.
Maßnahmen jederzeit anpassbar
Unterdessen bekräftigt der Zentralelternbeirat seine skeptische Haltung gegenüber dem Halbgruppenunterricht. Er sei kein Freund dieses Modells, sagt ZEB-Vorstand Martin Stoevesandt. In Innenstadt-Gymnasien mit ihren relativ homogenen Leistungsgruppen sei der Wechsel von Distanz- und Präsenzunterricht vermutlich praktikabel. Anders stelle sich die Situation aber in Stadtteilen mit höheren Infektionszahlen dar. Bei einem hohen Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund könne der digitale Halbgruppenunterricht schnell zur Hürde werden. „Wir tun gut daran, so lange wie möglich den Präsenzunterricht aufrechtzuerhalten“, so Stoevesandt.
Momentan befinden sich die Bremer Schulen im eingeschränkten Regelbetrieb. Im sogenannten Reaktionsstufenplan der Bildungsbehörde ist das die Reaktionsstufe 1. Ein Unterricht in Halbgruppen mit Mindestabstand ist erst in der Reaktionsstufe 2 vorgesehen. Im Stufenplan heißt es ausdrücklich, in Abstimmung mit Gesundheitsamt, Bildungsbehörde und Schulleitung werde der „Eskalationsgrad mit den entsprechend zu treffenden Maßnahmen festgelegt“. Und die könnten auf Grundlage neuer Erkenntnisse jederzeit angepasst werden.
Klare Regelung in Niedersachsen
Verkleinerte Klassen empfiehlt das Robert Koch-Institut (RKI) sowohl für jüngere als auch für ältere Schüler, wenn der Inzidenzwert die 50 überschreitet. Verkleinerte Klassen können durch Teilung oder Wechselunterricht in Halbgruppen erreicht werden. Doch diese Empfehlung findet nur wenig Anklang. In Niedersachsen wechseln Schulen laut neuer Coronaverordnung ins Szenario B mit geteilten Lerngruppen im Wechselunterricht, wenn der Inzidenzwert über 100 liegt und gleichzeitig ein Corona-Fall an einer Schule zu verzeichnen ist. Auf eigene Faust wollte die Stadt Solingen in Nordrhein-Westfalen den Halbgruppenunterricht einführen. Doch die Landesregierung durchkreuzte das Vorhaben zuletzt: Per Erlass wurde die Stadt angewiesen, ihre Pläne nicht umzusetzen.