Das "Dorf mit Straßenbahn": Wenn Bremerinnen und Bremer dieses durchaus bekannte Bild verwenden, um die Stadt zu beschreiben, dann schwingt meistens ein fast zärtlicher Unterton in ihren Worten mit. Man trifft sich, man kennt sich, läuft sich immer wieder über den Weg – das ist für viele Hansestädter ein Pluspunkt. Diesen Schluss jedenfalls lassen etliche der Gespräche zu, die wir im Zuge unserer Sommertour durch die Bremer Stadtteile bisher geführt haben. Wie sehen die Bremer ihre Wohnquartiere, was schätzen sie an ihrem Viertel – und was nicht? Das will der WESER-KURIER beim Stadtteil-Check wissen. Noch bis zum 18. September besteht Gelegenheit, an der groß angelegten Online-Umfrage unter www.stadtteil-check.de teilzunehmen, die Antworten auf die Frage geben soll, wie es um die Lebensqualität an der Weser bestellt ist.
Familiärer Charakter
Es ist offenbar unter anderem der familiäre Charakter, der Bremen für seine Bewohner attraktiv macht. Die Findorfferin Corinna Schwantje fasst es so zusammen: Obgleich urban, habe sich ihr Stadtteil seinen dörflichen Charakter bewahrt. Und die Findorffer seien „zugänglich, bodenständig und offenherzig.“ Das unterstützt August Kötter, ebenfalls aus dem Bremer Westen: Er lebe in Findorff wegen der guten Nachbarschaft. „In unserer Straße ist es richtig familiär. Man unterstützt sich in guten wie in schlechten Zeiten gegenseitig. Das tut der Seele gut.“ Regina Stelljes erlebt Ähnliches in Woltmershausen: „Eine Struktur wie im Dorf, wo man sich kennt. Man muss aber auch etwas dafür tun, dass das so bleibt.“
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Vom dörflichen Charme einmal abgesehen gibt es weitere Schnittmengen bei der Beurteilung der Quartiere. „Das Grün ist ein großer Pluspunkt hier“, hebt zum Beispiel die Huchtingerin Martina Lisiack hervor. Helga und Heinz-Erich Kröger sind seit 53 Jahren Kattenturmer – und "schätzen das viele Grün" im Quartier genauso wie die engen Kontakte zu Nachbarn und Freunden dort. Für Petra Scholz ist der Waller Grünzug ein Pfund auf der Habenseite in Sachen Lebensqualität, und wer die Vegesacker danach fragt, was sie am Stadtteil mögen, bekommt prompt die Antwort: "Den Stadtgarten und die Nähe zur Weser". Vera Bach, die seit 40 Jahren in Rablinghausen lebt, mag ebenfalls die Nähe zum Wasser: „Wir sind fast direkt an der Weser. Und schnell im Grünen.“ In einer Großstadt sei das ein großer Vorteil.

Rolf Ameskamp nahm sich beim Einkaufen auf dem Domshof Zeit, die 24 Fragen der Umfrage direkt vor Ort zu beantworten. Eine Teilnahme ist bis zum 18. September auch online unter www.stadtteil-check.de möglich.
Kurze Wege
Überhaupt die kurzen Wege. Für Lothar Oeljeschläger ein Grund, vor zwei Jahren in die Neustadt zu ziehen. Hier sei alles nah beieinander – "und hinten raus noch grün“. Für Ronald Gotthelf aus der Alten Neustadt ist das Quartier wie gemacht auch für Menschen, die keinen Führerschein haben: „Hier kann ich alles mit dem Rad erledigen“. Oder mit Bus und Bahn. Dem öffentlichen Personennahverkehr und den Anbindungen in ihrem Stadtteil gaben bisher viele unserer Gesprächspartner gute Noten. Mit Ausnahme von Huchting vielleicht, dort kippt der Tonfall bei der Erwähnung des Wortes "Straßenbahn" schnell ins Ärgerliche. Die Verlängerung der Linien 1 und 8 stößt im Bremer Süden nach wie vor auf sehr geteilte Akzeptanz, die vielen Baustellen im Quartier nerven die Anlieger.
Genervt sind etliche Bremerinnen und Bremer überdies von Müll und Dreck. An bisher keiner Station der WESER-KURIER-Stadtteiltour wurde die Kritik an mangelnder Sauberkeit ausgelassen. „Es ist so schade, wie rücksichtslos manche Menschen mit ihrem Abfall umgehen und ihn einfach in die Gegend werfen“, sagt etwa Ute Richter aus Huchting. Die Vegesackerin Ursula Kaars meint ebenfalls, beim Thema Sauberkeit sei noch viel Luft nach oben. Ralf Kraska unterstreicht das: "In den 1980er-Jahren ist Vegesack sehr schön geworden", aber jetzt verdrecke der Stadtteil immer mehr.
Dorle Schwanke, die seit Langem im Ostertor wohnt, findet Bremen "ganz toll, bis auf die Verschmutzung und die Kriminalität". Letzteres führt auch bei Stefan Heimers, der mit seiner Frau vor vier Jahren von Hamburg nach Bremen gezogen ist, zu Abstrichen bei der sonst mit "gut" bewerteten Lebensqualität. Wie man mit der Drogenproblematik umgehe, sei fatal für eine Stadt wie Bremen. Die Dreistigkeit und Selbstverständlichkeit, mit der hier Drogen gedealt werden würden, das kenne er aus Hamburg nicht. Eine glatte "Zehn", also die höchstmögliche Punktzahl, vergibt Heimers indes für die kulturelle Vielfalt in seinem Quartier. Diese Meinung teilt er mit Bremens Altbürgermeister Henning Scherf, der sich am Sonnabend ebenfalls Zeit nimmt, seinen Stadtteil Mitte einem kritischen Check zu unterziehen. Was die Hansestadt für ihn ausmacht? "Bremen ist eine Großstadt, hat aber ein kleinstädtisches Milieu, das ist einfach eine reizvolle Mischung."