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Verwahrlosung der Innenstadt Handelskammer Bremen: "Schuldzuweisungen sind nicht das Ziel"

Sicherheit und Sauberkeit der Stadt - das war in der letzten Standortumfrage der Handelskammer bei den Unternehmen das Top-Thema. Jetzt lädt die Bremer Wirtschaft dazu ein, Lösungen zu erarbeiten.
10.08.2023, 18:57 Uhr
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Handelskammer Bremen:
Von Joerg Helge Wagner

Herr Fonger, die Handelskammer schlägt Alarm, was Sicherheit und Sauberkeit der Bremer Innenstadt betrifft. Was ist am schlimmsten, wo ist es am schlimmsten?

Matthias Fonger: Es gibt bestimmte Bereiche in der Innenstadt und in benachbarten Lagen, wo Sicherheit und Sauberkeit sich verschlechtert haben. Die Bemühungen am Bahnhofsplatz, die durchaus erfolgreich sind, erkennen wir auch an. Doch unsere Unternehmen haben ja auch an diese Zeitung die Rückmeldung gegeben, dass sich die Lage in anderen Stadtquartieren verschärft hat und es so nicht weitergehen kann. Deshalb wollen wir an konstruktiven Lösungen arbeiten.

Deshalb wollen Sie jetzt einen Runden Tisch einberufen. Wen will die Handelskammer unbedingt dabeihaben?

Die Problematik ist nicht mit einer Maßnahme zu lösen, sie ist schwierig und vielfältig. Deshalb brauchen wir ein gemeinsames Konzept, das nicht nur die Sicherheit betrifft, sondern auch die soziale Begleitung und Gesundheitsfragen. Dazu wollen wir von der Ressortseite Inneres, Soziales, Gesundheit und Wirtschaft einladen, möglicherweise auch Bau und Justiz. Zudem unabhängige Fachleute und natürlich auch Unternehmensvertreter und Institutionen wie beispielsweise die City-Initiative oder die Viertel-Interessengemeinschaft.

Wann soll es losgehen und wie lange soll beraten werden?

Wir planen im September ein erstes Treffen, das bereiten wir jetzt vor. Wir hoffen auf positive Begleitung durch die Ressorts, entsprechende Signale haben wir bereits aus dem Innen- und Wirtschaftsressort erhalten. Perspektivisch werden wir bestimmt zwei- bis dreimal zusammenkommen, um Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Schuldzuweisungen sind ausdrücklich nicht das Ziel.

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Die Vorschläge des Rundes Tischs würden dann wieder in den gesetzgeberischen, parlamentarischen Prozess eingespeist?

Wir hielten es für richtig, wenn daraus politische Ansätze entstünden. Wir werden aber auch fragen, was wir als Wirtschaft dazu beitragen können, die Situation zu verbessern. Denn am Ende kann es nur eine Gemeinschaftsaktion sein. Dabei können wir durchaus an die positiven Erfahrungen bei der Zusammenarbeit am Bahnhofsvorplatz anknüpfen.

Sie verweisen auf Ihre Standortumfragen. Gibt es einen Trend?

Die Thematik Sicherheit, Sauberkeit, Ordnung ist schon seit einigen Jahren in unseren Umfragen ein ganz wichtiger Faktor. In der letzten Umfrage kurz vor der Bürgerschaftswahl war von allen angesprochenen Themen hier aus Sicht der Unternehmen die Dringlichkeit am größten. Deshalb sehen wir uns als Handelskammer auch in der Pflicht, hier nun aktiv zu werden.

Gibt es schon Unternehmen, die einen Standortwechsel erwägen, weil ihnen Bremen zu kriminell und zu dreckig ist?

Uns hat noch kein Unternehmen einen Standortwechsel angedroht. Wir wollen ja auch verhindern, dass es so weit kommt. Aber im Viertel etwa ist für einige Geschäftsleute der Punkt erreicht, an dem sie sagen, jetzt könnte die Atmosphäre kippen: von kreativ und multikulturell zu bedrohlich.

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Am dringendsten sei mehr Polizeipräsenz, sagen Sie. Wo sollen die zusätzlichen Streifen herkommen?

Nach Aufforderung auch durch unsere Kammer wurde der Ordnungsdienst vor einigen Jahren geschaffen. Ich will jetzt nicht vorschnell ein Konzept skizzieren, aber die stärkere Polizeipräsenz muss sicher ein Baustein sein. Inwieweit man das durch Umverteilung oder durch zusätzliche Kräfte organisieren kann, muss am Ende der Innensenator klären.

Ein Problem ist offenbar die Verdrängung: Verdirbt man den Dealern am Bahnhof das Geschäft, wandern sie in die Wallanlagen, in die Altstadt oder ins Viertel ab. Was sollte der Senat hier tun?

Genau dafür richten wir ja den Runden Tisch ein. Denn auch als Handelskammer haben wir nicht die eine Lösung. Wir werden uns aber im Vorfeld Städte anschauen, die erfolgreich bei der Verbesserung der Problemlagen waren. Wir müssen sicher nicht für Bremen alles neu erfinden.

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Auf Ihrer Seite haben Sie mit Thorsten Lieder, dem Vorsitzenden der Bremer Gastro-Gemeinschaft, einen gestandenen Sozialdemokraten. Rathaus und Innenressort sind SPD-geführt. Warum finden Sie trotzdem kaum Gehör?

Die Initiativen, die beim Innensenator entstanden sind, will ich durchaus positiv hervorheben. Man kann also nicht sagen, dass uns gar kein Gehör geschenkt wurde. Aber in der Folge der Coronapandemie hat sich die Lage insgesamt verschärft. Deshalb wollen wir zu einer gemeinsamen Lösung einladen.

Nimmt man in Bremen zu viel Rücksicht auf Randgruppen wie Drogensüchtige, Alkoholiker und Obdachlose – zu Lasten der hier lebenden und arbeitenden Bevölkerungsmehrheit?

In Zukunft muss mit Sicherheit der Fokus wieder mehr darauf gelegt werden, dass die große Mehrheit der Bevölkerung und auch die Unternehmen die Stadt als sicher und sauber empfinden. Und das bedeutet, dass diese Bedürfnisse ein neues Gewicht bekommen müssen.

Das Gespräch führte Joerg Helge Wagner.

Zur Person

Matthias Fonger (57)

ist seit 1999 seit Hauptgeschäftsführer und I. Syndicus der Handelskammer Bremen. Er hat Volkswirtschaftslehre und Jura in Münster studiert, anschließend arbeitete er an der Uni Münster und beim DIHT (Deutscher Industrie- und Handelstag) in Bonn und Brüssel.

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