Wie sehen Sie diesen aktuellen Shutdown – blieb der Politik nichts anderes übrig als diese Entscheidung?
Janina Marahrens-Hashagen: Ich denke, dass hier verantwortungsvoll gehandelt wird. Aber Deutschland hätte aus heutiger Sicht auf die momentanen Infektionszahlen sicherlich früher anfangen sollen mit entsprechenden Maßnahmen. Da kann man jedoch niemanden schuldig sprechen, auch wenn die Virologen im Sommer bereits vor dieser zweiten Welle gewarnt haben. Hinterher ist man immer schlauer.
Die Handelskammer war auch nicht immer eine Freundin des Lockdowns.
Natürlich haben wir uns als Handelskammer dafür ausgesprochen, dass die Geschäfte möglichst lange von einem Lockdown verschont bleiben. Dort gibt es hervorragende Hygienekonzepte. Künftig hielten wir es für einen guten Weg, wenn bei solchen Entscheidungen stärker die regionalen Inzidenzwerte beachtet würden. Jetzt muss die ganze Kraft in die anstehenden Impfungen gesetzt werden.
Und nun?
Der Lockdown ist da, wir müssen also schauen, dass die Finanzhilfen schnell an die Einzelhändler gehen. Da kann man nicht bis Ende Januar warten. Die Situation bei vielen Händlern ist katastrophal. Sie haben erneut von heute auf morgen kein Einkommen mehr und sitzen auf ihrer Ware. Saisonware wird nach dem Lockdown schwer zu verkaufen sein. Die Winterware ist noch im Lager und die Frühjahrsware geordert. Schlimm ist auch die Unsicherheit. Die Geschäfte wissen auch jetzt nicht, ob sie im Frühjahr normal geöffnet haben können. Wie kann man das alles ausgleichen und steuern? Die Steuerberater, über die die Anträge laufen, können die Arbeit kaum bewältigen.
Und die müssen sich jetzt auch noch um die Mehrwertsteuer kümmern.
Das stimmt. Grundsätzlich ist es ja gut, dass die Anträge über Steuerberater laufen. Ob die zeitweise Absenkung der Mehrwertsteuer viel gebracht hat, würde ich eher mit einem Fragezeichen versehen. Die erneute Umstellung wird wieder viel Arbeit machen.
Wie haben Sie als Präses die Zeit seit März erlebt?
Wir wurden ja alle vom Virus überrascht. Es gibt positive und negative Aspekte. Was positiv ist: Wir waren als Kammer noch nie so eng an unseren Kammermitgliedern dran. Denn am Ende des Tages konnten wir schnell helfen. Zum Beispiel haben wir gleich zu Beginn der Pandemie für Bremen und Bremerhaven zwei Online-Portale aufgebaut, auf denen Einzelhändler ihr trotz des Lockdowns mögliches Angebot präsentieren konnten. Diese Portale haben wir jetzt im zweiten Lockdown erneut freigeschaltet. Wir standen mit allen Branchen in Kontakt, um zu erfahren, wo wir helfen können.
Sie mussten außerdem Amtshilfe leisten.
Wir haben Mitarbeiter der Kammer freigestellt, um die Anträge auf Soforthilfe schnell bearbeiten zu können. Auf unserer Internetseite haben wir sämtliche verfügbaren Corona-Informationen für die Unternehmen ständig aktuell vorgehalten. Was mein Ehrenamt als Handelskammer-Präses betrifft: Schönwetter-Kapitäne gibt es genug. Dort dann aber durchzusteuern, und zu helfen, das empfinde ich als positiv. Dafür ist man da und tritt ein solches Amt an.
Und wie haben Sie als Unternehmerin die Zeit erlebt?
Das ist genauso arbeitsreich gewesen. Mit dem Unternehmen sind wir im Schiffsbereich unterwegs. In der Krise wurden viele Kontrakte storniert. Trotzdem gab es für uns immer etwas zu tun. Die Kurzarbeit hat unsere Firma gut über die Runden gebracht. Als Unternehmerin kann ich die Agentur für Arbeit nur loben. Wenn seit März fast 8000 Bremer Unternehmen für Teile der Beschäftigten Kurzarbeit anmelden, ist eine gewaltige Arbeit zu bewältigen. Und das hat super geklappt. Als Unternehmerinnen und Unternehmer sind wir in der Krise auch gefragt als zuverlässige Ansprechpartner für die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter. Auch dafür sollte eine Geschäftsleitung da sein. Und auch in der Handelskammer haben wir einen massiven Sparkurs eingeschlagen. Vor allem die Möglichkeiten der Digitalisierung und der Zusammenarbeit mit benachbarten Kammern haben wir genutzt, um Kosten zu senken, ohne das Leistungsportfolio zu schmälern.
Sie haben die Kammerbeiträge gesenkt?
In den vergangenen Jahren haben wir die Beiträge zweimal gesenkt. Die aktuellen Einsparungen sollen sicherstellen, dass wir trotz Einnahmeeinbrüchen derzeit auf dem abgesenkten Beitragsniveau bleiben können.
Was hat Bremens Regierung Ihrer Meinung nach richtig gemacht?
Ich habe es sehr geschätzt, dass Bürgermeister Bovenschulte schnell eine Runde für die wichtigen Player in unserem Bundesland einberufen hat. Diesen engen Austausch kann ich nur positiv bewerten. Außerdem haben wir eine Wirtschaftssenatorin, die sich pragmatisch und sehr engagiert für die Unternehmen stark macht. Darüber sind wir sehr froh.
Was ist denn vor lauter Corona an Themen auf der Strecke geblieben?
Da ist zweifellos das sehr wichtige Thema Gewerbegebiete. Wir brauchen Industrie- und Gewerbeflächen, die vorgehalten werden müssen. Jeder Quadratmeter ist hier gefragt, weil Gewerbeflächen im Land Bremen ein nicht vermehrbarer Faktor sind. Wir brauchen auch weiterhin Logistikgewerbeflächen, damit unsere Lieferketten aufrecht erhalten bleiben und wir nach der Krise wieder durchstarten können.
Mit den Corona-Hilfen ist es ja wohl deutschlandweit einmalig gewesen, dass die Handelskammer Mitarbeiter abgeordnet hatte, die beim Bearbeiten der Anträge helfen.
Wir haben gesagt, dass Soforthilfen bei den Unternehmern auch sofort ankommen müssen. Das darf nicht an personellen Engpässen scheitern. Da sich auch bei uns als Handelskammer die Aufgaben durch die Pandemie verändert haben – beispielsweise konnten keine Aus- und Weiterbildungsprüfungen abgenommen werden – konnten wir diese Mitarbeiter-Kapazitäten sinnvoll für die Antragsbearbeitung zur Verfügung stellen. Die Not schweißt zusammen. Das hat man auch bei den Unternehmen untereinander gesehen. Jeder hat jedem so gut es ging geholfen.
Der Bremen-Fonds ermöglicht mehr Spielraum für Projekte, die unter einer normalen Haushaltsdisziplin nicht möglich gewesen wären. Inwiefern geht da jetzt Geld an Projekte, die der Senat nicht eh irgendwann hätte angehen müssen?
Wir haben von Anfang an dafür plädiert, dass sich der Bremen-Fonds auf der Grundlage eines Gesamtkonzepts auf die akute Krisenbewältigung sowie auf die Stärkung der Wirtschaft und auf standortstärkende Investitionen konzentrieren muss. Und wir werden im Interesse aller aufpassen, dass da keine Aktionen mit dazu gepackt werden, die nicht reingehören. Es geht ja auch darum, die Bremer Innenstadt gut zu entwickeln und als Oberzentrum zu stärken. Dazu braucht es ein umfassendes Konzept. Mit dem Bremen-Fonds haben wir hierfür eine einmalige Chance, die nicht durch Partikularinteressen vertan werden darf.
Wenn dieser Shutdown bis März weitergeht, ist es fraglich, ob die Bundesregierung das so lang finanziell ausgleichen will.
Sie gibt jetzt viel Geld aus, was sie auch muss. Natürlich muss das auch irgendwie bezahlt werden. Langfristig wird es sicherlich auf eine Steuererhöhung hinauslaufen. Dagegen wurde die Senkung der Mehrwertsteuer über die vergangenen sechs Monate doch kaum wahrgenommen.
Was erhoffen Sie sich für das Jahr 2021?
Am liebsten wäre es mir, wenn wir ein großes Impfzentrum realisieren, in dem bis März alle durchgeimpft sind, damit wir danach wieder normal arbeiten, leben und reisen können. Das ist natürlich nur ein schwieriger Wunsch. Ich finde auf jeden Fall klasse, dass sich für das Impfzentrum bei uns auch so viele Unternehmen engagieren. Wir als Handelskammer unterstützen dies ebenfalls aktiv.
Was hören Sie von den Unternehmen, wenn es um Ausbildungsplätze im Jahr 2021 geht?
Natürlich war der Ausbildungsmarkt unter Corona nicht leicht. Aber wir hatten in diesem Jahr nach wie vor mehr Ausbildungsplätze als Bewerber. Ich sehe schon jetzt, dass die Hotelbranche weniger junge Leute ausbilden wird, wenn sich die Branche nicht wieder schnell beleben kann. In meinem Unternehmen werden wir die gleiche Zahl an Ausbildungsplätzen anbieten wie sonst auch. Und ich weiß von vielen anderen Unternehmen, die das ebenfalls so machen. Wir brauchen schließlich unsere Fachkräfte. Durch die Pandemie haben im Vergleich zu anderen Jahren die Ausbildungsverfahren vielfach später begonnen. Aber wir haben das insgesamt flexibel und im Interesse der jungen Leute gut hinbekommen.
Das Gespräch führte F. Schwiegershausen.
Janina Marahrens-Hashagen ist im vergangenen Jahr als erste Frau an die Spitze der Bremer Handelskammer gewählt worden. Die Wirtschaftswissenschaftlerin führt das Familienunternehmen Marahrens Group, das auf die Produktion von Schildern vor allem für den Schiffsbereich spezialisiert ist.
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In der nächsten Folge von „Das Ausnahme-Jahr“ spricht Finanzsenator Dietmar Strehl (Grüne) über schwierige Haushaltsberatungen, kurzfristige Entscheidungen und Notfalleinsätze in Behörden.