Jeden Dezember warte ich auf den einen Moment, an dem es sich endlich nach Weihnachtszeit anfühlt. Der gnädig ausblendet, dass das 0421-Land gerade mal wieder nur graue, weitgehend lichtlose Tage bereithält, garniert mit einer Luftfeuchte, die schon an Sprühregen erinnert. Diesen Augenblick, in dem sich der Schalter in meinem Kopf auf Weihnachten umlegt, kann ich nicht beeinflussen. So etwas wie die Beleuchtung der Obernstraße – ein wenig brennt sie nun ja doch – hat damit nichts zu tun. Mein Weihnachtsmoment bestimmt selbst, wann seine Zeit gekommen ist.
Es gab schon Jahre, in denen es ihm Mitte Dezember reichte, dass ich eine Milchtüte aus dem Kühlschrank holte, auf der als Haltbarkeitsdatum der 24.12. aufgedruckt war. Er hat mich aber auch schon bis zum Vormittag des Heiligabends warten lassen, als ich durch – echt! – Schneegestöber aus der studentischen Diaspora zurück nach Bremen fuhr und im Autoradio dazu Chris Rea „Driving home for Christmas“ sang. Mehr an Kitsch ging nicht. Aber das Gefühl war da.
Dieses Jahr traf es mich vergangenen Mittwoch. Ich ging – durch leichten Sprühregen, na klar – nach einem Abendtermin in der Dunkelheit nach Hause. Dass in den Stunden zuvor nicht unerhebliche Mengen Glühwein, vom Pastor einer Kirchengemeinde aus mehreren Sorten wagemutig zusammengemischt, ausgeschenkt worden waren, war hilfreich, aber nicht maßgeblich. Auslöser des Weihnachtsgefühls 2024 war vielmehr der Liederzettel, den ich dort für den Freiluftgottesdienst an Heiligabend vorab bekommen hatte. So gluckerten mir auf dem Heimweg nicht nur zwei (womöglich waren es auch drei) Becher Rotwein-Zuckerpansche im Bauch herum, sondern im Kopf auch unentwegt Zeilen wie die aus der Engel helle Lieder. Als Kirchensteuerzahler ahnen Sie es: Gloria in excelsis Deo. Da war sie, meine Weihnachtslaune 2024.
Sofern Sie für sich noch danach suchen, empfehle ich als finalen Booster das Rudelsingen der Weihnachtshilfe unserer geschätzten Qualitätszeitung zusammen mit dem Ensemble und Chor des Theater Bremen an diesem Wochenende auf dem Goetheplatz: Sonnabend, 16 Uhr. Und sollten Sie mich dort in der Menge ausmachen, sehen Sie es mir bitte nach, dass ich nur den Mund bewege und liebreizende Stimmgewalt lieber allen anderen Bremer Menschen überlasse.
Denn: Beim benoteten Vorsingen im Musikunterricht der Grundschule habe ich zwar immer die Bestnote abgestaubt, aber das war vor dem Gamechanger namens Stimmbruch. Und mit dem „Jäger aus Kurpfalz“, dessen Text sich damals unauslöschlich in mein Hirn eingebrannt hat, lässt sich heute eh nur noch verlieren. Schließlich schießt der Jäger beim Ritt durch den grünen Wald das Wild daher. Schießen! Auf Tiere! Und wer so etwas singt, schreckt bestimmt auch nicht davor zurück, auf dem Weihnachtsmarkt einen Lumumba zu ordern. Durch solcherlei politische Unkorrektheit gefährde ich doch nicht meine Weihnachtslaune! Jetzt, da sie zum dritten Advent bei mir im 0421-Land angekommen ist.
Tagebucheintrag: Einmal in Laune, will ich Sonntag los, um den Tannenbaum zu schlagen. Ist das eigentlich okay? Oder auch eher ein Lumumba-Moment? Hilfe!