Sturmtief „Zoltan“ und anhaltender Regen haben die Wasserpegel im Dezember stark steigen lassen. Vier Wochen später haben sich Aller und Weser wieder in ihr Flussbett zurückgezogen. Doch die Menschen in den Überschwemmungsgebieten müssen noch immer die Folgen des Hochwassers bewältigen.

Das Hochwasser hatte das Haus von Christiane und Karl Könecke umgeben, weshalb sie es im Schlauchboot verlassen mussten.
Leben auf einer Hallig
Dank der Wümme leben Christiane und Karl Könecke eigentlich in einem idyllischen Teil von Bremen. Doch vor der Jahreswende verwandelte der Fluss ihr Haus am Erbrichterweg plötzlich in eine Hallig. Von Wasser umringt brauchten sie ein Schlauchboot, um ihr Grundstück trockenen Fußes verlassen zu können. „Wir sind geblieben, um uns um die Katzen zu kümmern. Wir wussten nicht, wohin mit ihnen“, schildert Christiane „Chrissi“ Könecke. Eine Woche improvisierte sie mit ihrem Mann einen Alltag ohne Strom und ohne Heizung.
Den Inhalt der Tiefkühltruhe konnten sie mit einem Notstromaggregat retten, zum Kochen nutzten sie die Gasflammen in einem Camper. „Die Wasserversorgung und die Kanalisation haben zum Glück funktioniert“, sagt die 51-Jährige. Für Wärme habe der Kamin im Esszimmer gesorgt, dank Petroleumlampen sei die „gute Stube“ erhalten geblieben. Um einen Keller mussten sich die Köneckes keine Sorgen machen, weil es den nicht gibt. „Der Schacht für den Heizöltank lief voll Wasser, blieb aber unbeschädigt“, berichtet Könecke.
- Schieben Sie in dem folgenden interaktiven Bild aus dem Erbrichterweg den blauen Regler am unteren Bildrand hin und her:
Im Gegensatz zu vielen anderen Anwohnern des Erbrichterwegs ist das Haus unbeschadet geblieben. Auch aus der Garage konnte das Ehepaar die Wertsachen rechtzeitig in Sicherheit bringen. „Im Garten mussten wir eine Hecke ausrupfen, um die Autos dicht vor das Haus fahren zu können“, sagt Könecke. So etwas lasse sich aber nachpflanzen und sei auch nicht sehr teuer. Anders sei es der Nachbarschaft ergangenen, zu der sich in der Krise ein besonderer Zusammenhalt entwickelt habe. Bei einer anderen Betroffenen stand das Wasser zum Beispiel 30 Zentimeter im Keller – Waschmaschine, Trockner und Kühlschrank mussten auf einen Schlag ersetzt werden.

Anstatt des blauen Wassers dominiert rund um den Hof von Carsten Schnakenberg nun der Schnee.
Bedrohliche Lage nimmt glimpfliches Ende
Eine schier endlose Wasserlandschaft, aus der nur noch ein paar Bauernhäuser emporragen – mit bedrohlichen Luftbildern war die Siedlung Timmersloh in der Hochwasserkrise in Bremen und umzu in aller Munde. Und Carsten Schnakenberg, zweiter Vizepräsident des Bremischen Landwirtschaftsverbands, entwickelte sich durch die mediale Aufmerksamkeit zum wohl bekanntesten Bauern aus Bremen. „Inzwischen ist wieder Ruhe eingekehrt“, berichtet der Landwirt knapp vier Wochen nach Beginn des Hochwassers.
Für seinen Betrieb kann der 44-Jährige eine Bilanz ziehen, die sich angesichts der dramatischen Bilder als Glück im Unglück bezeichnen lässt. Gravierende Schäden sind nicht zu beklagen. „Der Hof stand unter Wasser, aber es ist nie in die Ställe oder Wohnhäuser gekommen“, schildert der Milchbauer. Seine Kälber hatte er rechtzeitig in Sicherheit bringen können, die Kühe blieben in ihren angestammten Ställen. „Den Winter verbringen sie ohnehin dort, deshalb war es für sie keine außergewöhnliche Belastung“, erklärt Schnakenberg.
Auch das Futter, welches der Landwirt auf dem Hof unter grünen Planen linienförmig aufgehäuft hat, ist nicht verdorben. Dabei war es zeitweise komplett von Wasser umgeben. Doch die Abdeckung hat offenbar verhindert, dass zu viel Feuchtigkeit eindringt. Und auch die Kälte verhinderte, dass das Futter verfault. „Die Schäden auf den Wiesen können wir wahrscheinlich erst in vier Wochen beurteilen, sie stehen noch unter Wasser“, sagt Schnakenberg. Das Gras könne absterben, weil es nicht mehr ausreichend Sauerstoff erhalte. Wahrscheinlich müsse auf den Weideflächen im Frühjahr deshalb nachgesät werden.
So glimpflich wie bei Schnakenberg, der keine staatliche Soforthilfe in Anspruch nehmen will, ist das Hochwasser allerdings nicht überall ausgegangen. „Bei einem Kollegen hat das Wasser die gesamte Melktechnik beschädigt. Das wird ein hoher Schaden sein“, meint er. Zudem seien dort auch die Gebäude betroffen. „Insgesamt ist Timmersloh aber mit einem blauen Auge davongekommen“, so Schnakenberg.

Inge Wellbrock in ihrem Garten, der direkt an der Wörpe liegt.
„Ich will mein Zuhause behalten“
Das komplette Souterrain stand einen halben Meter unter Wasser, kaputte Holztüren, eine überflutete Küche, beschädigte Möbel und defekte Haushaltsgeräte – einen Monat ist das Hochwasser im Haus von Inge Wellbrock in Lilienthal mittlerweile her.
Die 85-Jährige hat auch vier Wochen nach der angespannten Lage noch mit dem Erlebten zu tun. Täglich sieht sie in ihrem Untergeschoss die leer geräumten Zimmer und das Chaos aus gerettetem Kleinkram auf den Tischen. Auch die braune Linie an allen Wänden erinnert an das Unglück. Noch immer weiß Inge Wellbrock nicht, ob ihre Versicherung für den Schaden aufkommt. Eine Police für Schäden aus Überschwemmungen hat sie nicht. Sie wohnt direkt an der Wörpe, in einem gefährdeten Gebiet. „Da ist es nicht einfach, eine Elementarversicherung zu bekommen“, sagt die Rentnerin.
Alles, was das Hochwasser in ihrem Haus zerstörte, landete auf dem Sperrmüll. Es sei unangenehm gewesen, die entsorgten Sachen an der Straße zu sehen, erzählt die Lilienthalerin. Sie habe an allem gehangen. „Mein Mann und ich haben ja alles nach und nach angeschafft.“ Jetzt wolle sie das Untergeschoss wieder herrichten und renovieren lassen, es künftig aber nicht mehr als Gästewohnung nutzen. Solche Entscheidungen zu treffen, falle ihr allerdings im Alter zunehmend schwerer. „Vor 20 Jahren wäre es einfacher gewesen, mit dieser Situation umzugehen.“ Ohne die Hilfe ihres Sohnes und ihres Enkels hätte sie es jetzt nicht geschafft.
Wäre es vielleicht jetzt sogar der richtige Zeitpunkt, aus dem großen Haus in eine kleinere Wohnung zu ziehen? Auch diese Überlegungen hätten im Raum gestanden. Doch in diesem Punkt ist sich Inge Wellbrock sicher. „Ich will mein Zuhause behalten, hier fühle ich mich wohl.“ Das habe sie besonders gemerkt, als sie nach der Evakuierung, nach der Nacht in der Turnhallen-Notunterkunft und den Tagen im Hotel, wieder nach Haus durfte. „Da habe ich vor Erleichterung geweint.“ Das Schönste sei gewesen, wieder in ihrem eigenen Bett liegen zu können.
Auch wenn Hochwasser-Ereignisse immer wieder vorkommen könnten, Angst davor habe sie nicht, betont die Lilienthalerin. Sie glaube, dass die Menschen im Lilienthaler Rathaus aus den Ereignissen gelernt hätten, wie man sich künftig schützen könne. Das Leid brachte für sie persönlich auch etwas Gutes: Während der Unterbringung im Hotel habe sie sich mit vielen anderen Evakuierten aus dem Ort unterhalten, die sie bis dahin nur vom Sehen kannte. „Da konnte ich einige näher kennenlernen.“

Das Wasser hat sich zurückgezogen, es liegen aber noch Sandsäcke vor dem Haus von Bernd Moje im Verdener Fischerviertel.
Verdener Familie dankt Helfern
Bernd Moje (66) aus Verden kann das von sich behaupten, was viele nicht von sich behaupten können: Er kennt den Kanzler persönlich. Im Gegensatz zu Olaf Scholz (SPD) bei seinem Besuch in Verden ist Moje aber nicht in Trekkingschuhen und Jeans, sondern in Wathose und Gummistiefeln durch das Hochwasser im Fischerviertel gestapft. Mehr noch, gemeinsam mit seinem Sohn Christian, der das betroffene Haus an der Kleinen Fischerstraße bewohnt, hat er sogar Kamerateams mit dem Schlauchboot durch die Fluten gelotst.
Rund vier Wochen nach dem Hochwasser werden allmählich die Schäden sichtbar, die das Hochwasser bei Familie Moje angerichtet hat. Und die beschränken sich momentan glücklicherweise auf die Tapeten im Erdgeschoss, die sich aufgrund der Feuchtigkeit von den Wänden lösen, und den Anstrich im Keller, der teils 35 Zentimeter hoch unter Wasser gestanden hat.
Im Gegensatz zu ihren Nachbarn, bei denen die Häuser unterspült wurden, ist Familie Moje noch glimpflich davongekommen. Die höhere Lage ihres Hauses und dessen massive Bauweise hätten vermutlich Schlimmeres verhindert, meinen die Mojes. Neben den Feuchtigkeitsschäden an den Wänden plagen die Familie derzeit noch Probleme mit der Ver- und Entsorgung, hohe Stromkosten durch die im Dauerbetrieb gelaufenen Pumpen sowie die derzeit wegen der Straßensperrung noch nicht wieder voll funktionierende Müllabfuhr.
„Ich will jetzt versuchen, beim Landkreis Hochwasser-Hilfen zu beantragen“, erzählt der 66-jährige Eigentümer des weit über hundert Jahre alten Hauses. Neben Olaf Scholz hat Bernd Moje beim Termin in Verden auch Worte mit Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gewechselt: „Er hat mir bei seinem Besuch am Silvestertag versichert, dass wir uns keine Sorgen machen müssen und das Land Hilfen bereitstellen wird“, erinnert sich Moje.
Große Hoffnung setzen die Bewohner des Fischerviertels auch in ein avisiertes Gespräch mit der Stadt zum Thema Hochwasserschutz. Ein Gutes hat die Hochwasser-Katastrophe aber für Familie Moje gehabt: Das Naturereignis habe gezeigt, auf wen im Notfall wirklich Verlass sei, nämlich auf die Einsatzkräfte und ehrenamtlichen Helfer.