Ein Kind ohne Partner zu erziehen, ist für viele Menschen sowieso schon eine Herausforderung. Doch oft geht damit noch mehr einher: Die verzweifelte Suche nach der passenden Kinderbetreuung oder bezahlbarem Wohnraum, nach Arbeitgebern, die einen nicht stigmatisieren, oder der Kampf um Unterhaltszahlungen. Eine neue Studie der Bremer Arbeitnehmerkammer, die am Freitag vorgestellt wurde, macht jetzt deutlich: Für die Alleinerziehenden bedeutet ihr Alltag oft permanenter Stress.
1300 Alleinerziehende befragt
Zahlenmäßig seien Alleinerziehende schon lange keine Randgruppe mehr. Im Gegenteil: In Bremen ist fast jede dritte Familie mit einem minderjährigen Kind alleinerziehend – Tendenz steigend. Bundesweit ist es jedes fünfte Kind. Etwa die Hälfte der rund 18 000 Alleinerziehenden im Land Bremen ist zudem auf Arbeitslosengeld II angewiesen oder muss aufstocken.
Für den Bericht hat die Arbeitnehmerkammer gemeinsam mit dem Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen und den Jobcentern in Bremen und Bremerhaven 1300 Alleinerziehende befragt. In Fragebögen konnten die Betroffenen angeben, wie es ihnen geht und was sie am meisten belastet. "Die Probleme Alleinerziehender sind inzwischen Thema des politischen Diskurses. Wir wollten die Alleinerziehenden aber selbst zu Wort kommen lassen, um herauszufinden, welche Unterstützung sie benötigen", sagte Ingo Schierenbeck, Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen.
69 Prozent in Bremen - 54 Prozent bundesweit
Und der Mitteilungsbedarf der Befragten war groß: Viele der Fragebögen seien komplett vollgeschrieben gewesen. Einige der Antworten sind in dem Bericht der Arbeitnehmerkammer abgedruckt. So schreibt eine Mutter: "Ich bin alleinerziehend, habe drei Kinder groß gezogen, 51 Jahre alt und immer am Rande des Burnouts. Ich war immer berufstätig und heute fragt man das erste Mal, wie es mir geht. Danke!"
In Bremen haben es Alleinerziehende besonders schwer, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Mit einer Quote von 61 Prozent erwerbstätiger Alleinerziehender ist Bremen bundesweit deutliches Schlusslicht. Auch bei den Hilfequoten ist das Bundesland trauriger Spitzenreiter: Etwa 54 Prozent der Alleinerziehenden sind auf Grundsicherungsleistungen angewiesen. Bei Alleinerziehenden mit mehr als einem Kind sind es sogar mehr als 80 Prozent. Grund dafür sei vor allem die fehlende berufliche Qualifikation. "Politisch alarmierend ist der hohe Anteil von arbeitslosen Alleinerziehenden, die keinen Berufsabschluss haben", so Schierenbeck. In Bremen trifft das auf 69 Prozent zu – bundesweit sind es nur 54 Prozent.
Gefühl der Diskriminierung
Dieses Ergebnis beunruhigt auch Esther Schröder, Referentin für Gleichstellungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer, die den Bericht verfasst hat. "Das ist seit Jahren ein viel zu hoher Wert, denn selbst wer ohne abgeschlossene Ausbildung Arbeit findet, verdient in der Regel schlechter oder nicht ausreichend", sagte sie. Nach Auffassung der Arbeitnehmerkammer braucht Bremen deshalb eine Berufsbildungsoffensive, die Alleinerziehende stärker in den Fokus nimmt und alternative Ausbildungsmodelle schafft. So würden sich besonders junge Alleinerziehende mehr Ausbildungen in Teilzeit wünschen. Aktuell sei der Anteil dieser Angebote mit 0,8 Prozent unter neuen Ausbildungsverträgen verschwindend gering.
Ein weiterer Befund der Befragung: Viele Alleinerziehende fühlen sich sowohl bei Bewerbungsverfahren als auch im Berufsleben diskriminiert. "Es gibt immer noch Arbeitgeber, die im Vorstellungsgespräch danach fragen, wie man sein Kind unterbringt. Das ist unzulässig", sagte Schröder. In diesem Zusammenhang sei es wichtig, auch den Kita-Ausbau weiter zu stärken. Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg würden sich dabei deutlich besser organisieren, so die Arbeitnehmerkammer.
Förderung sei vernachlässigt worden
Auch der knappe bezahlbare Wohnraum in Bremen sei für viele Alleinerziehende ein Thema. Erschwerend komme für mehr als 71 Prozent hinzu, dass sie keine oder nicht ausreichend Unterhalt vom getrennt lebenden Elternteil erhalten. "Das macht deutlich, unter welchem finanziellen Druck die Alleinerziehenden stehen", so Schröder. Nur 44 Prozent derjenigen, die kein Geld vom Ex-Partner bekommen, beziehen den sogenannten Unterhaltsvorschuss vom Staat. Eltern bräuchten mehr Unterstützung, um die Angebote auch auszuschöpfen.
Die Ergebnisse der Studie sollen nun auch in den politischen Diskurs einfließen. Konkret geht es unter anderem um zusätzliche Kinderbetreuungsangebote und Qualifizierungsmaßnahmen speziell für Alleinerziehende. Diese Förderung sei in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden, so die Arbeitnehmerkammer. Zwar tauche die Gruppe mehrfach in den formulierten Zielen des Koalitionsvertrages auf, "doch welche konkreten Schritt erforderlich sind, um dieses politische Ziel umzusetzen, ist aktuell nicht ganz klar", sagte Ingo Schierenbeck.
Konkret fordert die Arbeitnehmerkammer den Senat dazu auf, die Ergebnisse der Befragung in den entsprechenden Deputationen zu behandeln. "Es ist wichtig, dass dazu behördenübergreifend gearbeitet wird", sagte Schröder. Die Arbeitnehmerkammer denkt dabei an Experten-Netzwerke, die zu den verschiedenen Themenbereichen arbeiten könnten.
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