Herr Bovenschulte, an diesem Sonnabend kürt die SPD ihren Spitzenkandidaten für die Bürgerschaftswahl 2023. Das wird vermutlich ein ziemlicher Durchmarsch für Sie, denn die Partei liegt Ihnen zu Füßen.
Andreas Bovenschulte: Da unterschätzen Sie den Eigensinn der Bremer SPD. Meine Partei hat noch nie jemandem zu Füßen gelegen. Trotzdem hoffe ich natürlich auf ein gutes Ergebnis.
Obwohl der von Ihnen geführte Senat außer einem guten Pandemie-Management nicht viel vorzuweisen hat. Die Bildungsdaten sind schlecht wie eh und je, Tausende Kita-Plätze fehlen, wichtige Innenstadtprojekte liegen auf Eis. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Dann mache ich mal eine Gegenrechnung auf: Bremen und Bremerhaven sind bislang relativ gut durch die schwerste Krise der Nachkriegszeit gekommen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten hat Anfang des Jahres einen historischen Höchststand erreicht - trotz Corona. Wir haben große Fortschritte beim Wohnungsbau und bei der Stadtentwicklung gemacht, zum Beispiel im Tabakquartier. Wir haben Polizei und Ordnungsdienst ausgebaut und mit zahlreichen Programmen den sozialen Zusammenhalt gestärkt. Die Liste ließe sich fortsetzen. Und wenn Sie die Bildungspolitik ansprechen: Hier haben wir massiv investiert. Vor einigen Jahren lagen unsere Ausgaben pro Schüler noch deutlich unter dem Bundesdurchschnitt, jetzt deutlich darüber. Wir stellen zusätzliche Lehrkräfte ein, bauen neue Schulen und treiben die Digitalisierung voran.
Es gibt aber trotzdem keine messbare, aufholende Entwicklung bei den Leistungen der Schüler, und nur darum kann es doch gehen. Bei den anderen Stadtstaaten sieht das anders aus.
Bis solche Anstrengungen sich in messbaren Ergebnissen niederschlagen, dauert es eine gewisse Zeit. Auch wenn ich mir natürlich wünschen würde, dass das schneller geht. Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Ausgangslage ist bei uns schwieriger als in Berlin. Und schwieriger als in Hamburg sowieso. Wir haben deutlich mehr Schüler, bei denen die drei Faktoren Armut, bildungsfernes Elternhaus und andere Muttersprache als Deutsch zusammenkommen.
Thema Innenstadt: Da gab es vor den Sommerferien einen doppelten Schlag ins Kontor. Das City-Umbauprojekt von Kurt Zech rund um das Parkhaus Mitte scheiterte, ebenso der Teilumzug der Uni an den Brill. Sie stehen bei der Innenstadtentwicklung mit leeren Händen da.
Die Besucherzahlen in der Innenstadt sprechen eine andere Sprache. Die waren in den letzten Monaten deutlich höher als vor der Pandemie. Gleiches gilt für die Auslastungsquote unserer Hotels. So schlecht kann es um die Attraktivität unserer Innenstadt also nicht bestellt sein. Wobei ich die strukturellen Probleme natürlich nicht schönreden will, aber die haben fast alle Städte.
Wobei die genannten Projekte ja gerade Abhilfe schaffen sollten. Sie kommen aber nicht zustande.
Ich plädiere dafür, nicht immer alles nur schlecht zu reden, sondern auch das Positive zu sehen. Zum Beispiel die erfolgreiche Belebung des Domshofs. Oder das Balge-Quartier, ein 100-Millionen-Euro-Projekt mit Johann-Jacobs-Haus, Essighaus und künftig einem Stadtmusikanten- und Literaturhaus. Was Christian Jacobs da entwickelt, das hat viel Ausstrahlung. Das zeigt: Bremen hat etwas zu bieten, Bremen ist attraktiv. Und was den Teilumzug der Uni in die Innenstadt angeht: Sicher wäre das ehemalige Sparkassen-Gelände ein guter Standort. Aber wenn man dort nicht zum Zuge kommt, weil der Vermieter Preisvorstellungen hat, die jenseits von Gut und Böse sind, dann muss man sich eben anderswo umgucken. Ich bin nach wie vor zuversichtlich, dass wir einen zweiten Uni-Campus in die City kriegen.
Und das Parkhaus Mitte?
Das werden wir jetzt zügig angehen. Besser wäre es natürlich gewesen, das Parkhaus gemeinsam mit dem Kaufhof-Gebäude zu entwickeln. Aber leider ist es Kurt Zech nicht gelungen das Kaufhof-Gebäude zu erwerben, damit war der ursprüngliche Plan hinfällig.
Dann reden wir über ein Innenstadt-Projekt, das komplett dem Einfluss der Stadt unterliegt, aber trotzdem nicht vorankommt: die Neuordnung des Verkehrsknotens Domsheide. 2018 hatte Bürgermeister Carsten Sieling das Vorhaben zur Chefsache erklärt. Sachstand vier Jahre später: Eine Machbarkeitsstudie zur Verlegung der Straßenbahn in die Martinistraße wird vorbereitet. Das ist doch blamabel.
Überhaupt nicht. Bevor wir mehr als 30 Millionen Euro für den Neubau der Straßenbahn-Haltestelle an der Domsheide ausgeben, müssen wir doch prüfen, ob die Straßenbahn weiter durch die Obernstraße oder in Zukunft besser durch die Martinistraße fahren soll. Das ist in den vergangenen 20 Jahren zwar immer mal wieder diskutiert, aber nie systematisch untersucht worden. Bevor wir uns da entscheiden müssen wir ganz genau wissen, was ist technisch machbar und was können wir uns leisten, was ist aus verkehrlicher Sicht gut und was hilft der Innenstadt. Wichtiger noch als eine schnelle ist da eine richtige Entscheidung, dafür geht es um zu viel Geld.
Schauen wir auf den Landesparteitag. Die Delegierten erwarten von Ihnen eine richtungweisende Rede, eine Vision, mit der man in den Wahlkampf ziehen kann. Was haben Sie vor, wenn Sie im Mai 2023 wieder einen Regierungsauftrag erhalten?
Es gibt zwei ganz zentrale Punkte. Kurzfristig müssen wir unser Land durch Energiekrise und Inflation steuern. Das ist nach Corona die nächste riesige Herausforderung. Es drohen schwere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen und da ist der Senat gefordert, alles zu tun, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu bewahren und niemanden allein zu lassen. Mittel- und langfristig geht es vor allem auch um die Frage: Wie gelingt es uns, eine produktive, wettbewerbsfähige und gleichzeitig klimaverträgliche Wirtschaft in Bremen zu entwickeln. Das ist die Basis für unseren Wohlstand, für gute Arbeit, gute Löhne und soziale Sicherheit. Bremen hat da ein riesiges Potenzial. Wir haben viele hoch innovative Betriebe, viele versteckte Weltmarktführer. Und wir haben einen sehr gut aufgestellten Wissenschaftsbereich, in den sich übrigens auch die Jacobs University mit ihrem neuen Investor einfügt.
Ein Glücksfall für Bremen?
Von Glück würde ich nicht reden. Der Investor weiß, was er an der Uni hat. Und Bremen weiß, was es an dem Investor hat. Ich glaube, wir haben tatsächlich die Chance, die Technologie-Metropole des Nordens zu werden. Denn wir haben in Bremen ganz viel zu bieten: Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Robotik, Leichtbau und 3D-Druck, dazu die Wasserstoffprojekte und vieles mehr. Auch die Jacobs University trägt ihren Teil dazu bei. Das alles müssen wir noch stärker nach außen tragen, auch um genügend Fachkräfte nach Bremen zu holen. Da müssen wir noch selbstbewusster auftreten und, zugespitzt formuliert, auch mal einen auf dicke Hose machen. Aber natürlich geht es nicht nur um Wirtschaft und Arbeit: Ich möchte auch eine Stadt, die sich durch sozialen Zusammenhalt in den Quartieren auszeichnet. Und ich möchte eine sichere und saubere Stadt. Das ist auch das, was die Menschen sich wünschen.
... und rund um den Hauptbahnhof nicht bekommen.
Da gibt es in der Tat große Probleme, aber die gehen wir an. Der Senat hat ein Zehn-Punkte-Programm beschlossen, das umgesetzt wird. Aber ich gebe zu, dass da dicke Bretter zu bohren sind.
Streben Sie nach der Wahl eine Fortsetzung des jetzigen Regierungsbündnisses an, oder darf es künftig auch gern ein Koalitionspartner weniger sein? Und wenn ja: welcher?
Die gegenwärtige Koalition leistet gute Arbeit. Natürlich rumpelt es auch mal wie in jeder guten Beziehung, aber am Ende hat sich das Bündnis aus SPD, Grünen und Linken als stets handlungsfähig erwiesen. Wie es nach dem Mai nächsten Jahres weitergeht, entscheiden die Wählerinnen und Wähler. Mein Ziel ist klar: die SPD soll wieder stärkste politische Kraft werden.
Trauen Sie sich, dieses Ziel konkret zu beziffern? 2019 erreichte die SPD 24,9 Prozent, in Umfragen lag sie zuletzt bei 30 Prozent.
Wir wollen deutlich stärker werden als beim letzten Mal.