Bei der Bremer SPD hat die Neuorientierung nach der verlorenen Bürgerschaftswahl erste personelle Konsequenzen. Wenn sich die künftige Parlamentsfraktion voraussichtlich am 24. Juni konstituiert, wird es zu einer Kampfabstimmung um den Vorsitz kommen. Der frühere SPD-Landesvorsitzende Andreas Bovenschulte, der zurzeit noch Bürgermeister in Weyhe ist und auf einem sicheren Listenplatz für die Bürgerschaft kandidiert hat, wird bei der Wahl der Fraktionsspitze gegen Amtsinhaber Björn Tschöpe antreten, bestätigte Bovenschulte Recherchen des WESER-KURIER.
„Ich habe Björn Tschöpe in einem Vier-Augen-Gespräch von meiner Absicht unterrichtet“, sagte Bovenschulte auf Anfrage. Der Ausgang der Kampfabstimmung gilt als offen, obwohl Tschöpe bei seiner letzten Wiederwahl ohne Gegenkandidaten nur ein mäßiges Ergebnis erzielen konnte. Sowohl Tschöpe als auch Bovenschulte sind politische Alpha-Tiere, niemand bestreitet ihre rhetorische Gabe und Fähigkeit zur Führung. Parteiintern gehören sie allerdings zu unterschiedlichen Flügeln. Während der 51-jährige Amtsinhaber dem – inzwischen ziemlich geschrumpften – traditionellen Lager zugerechnet wird, gilt Bovenschulte (53) als Mann der Linken.
Der scheidende Weyher Bürgermeister ist ein Vertreter der einflussreichen Viertel-SPD, also des von akademischem Milieu und öffentlichem Dienst geprägten Ortsvereins Altstadt-Mitte. Bovenschulte war für den Fall eines desaströsen SPD-Ergebnisses bei der Bürgerschaftswahl immer auch als möglicher Nachfolger für Bürgermeister Carsten Sieling im Gespräch, sofern die Sozialdemokraten das Rathaus behaupten könnten.
Schlecht war das Ergebnis in jedem Fall, die SPD kam am vergangenen Sonntag erstmals hinter der CDU ins Ziel. Doch Sieling macht bisher keine Anstalten, persönliche Konsequenzen aus der 24,8-Prozent-Schlappe zu ziehen. Bovenschultes Ambitionen auf eine Position mit Gestaltungsmacht können deshalb einstweilen nur auf das Amt des Fraktionsvorsitzenden zielen.
Der parteiinterne Proporz spricht gegen Bovenschulte
Gegen Bovenschulte als Fraktionschef spricht der parteiinterne Proporz. Der Einfluss von Altstadt-Mitte wird jetzt schon in manchen anderen SPD-Gliederungen als überbordend angesehen, inhaltlich wie personell. Auch die Landesvorsitzende Sascha Aulepp entstammt der Viertel-SPD. Befürworter Bovenschultes würden allerdings ins Feld führen, dass er wesentlich besser mit den Grünen „kann“ als Björn Tschöpe. Dessen frostiges Verhältnis zu Grünen-Fraktionschefin Maike Schaefer war in den vergangenen Jahren Ursache oder Verstärker für manche Spannungen innerhalb des rot-grünen Bündnisses.
In einer Situation, in der die SPD um die Grünen als Partner in einer möglichen künftigen rot-rot-grünen Koalition buhlt, wäre ein Votum für Bovenschulte auch ein Signal. Der bisherige Weyher Bürgermeister kann bei der bevorstehenden Kampfkandidatur auch auf sein tendenziell gutes Personenstimmenergebnis bei der Bürgerschaftswahl verweisen. Sie war zwar am Dienstagabend noch nicht komplett ausgezählt, doch mit Stand 18.46 Uhr hatte Bovenschulte 2575 Stimmen auf sich vereinigt, Björn Tschöpe lediglich 808.
Unterdessen ist an der SPD-Basis noch kein Meinungstrend auszumachen, wie mit der historischen Wahlniederlage umzugehen ist. Am späten Montagabend hatten sich knapp 100 Funktionsträger im Neustädter Veranstaltungszentrum „Kwadrat“ zusammengefunden, um hinter verschlossenen Türen über mögliche Konsequenzen zu diskutieren. Übereinstimmend war hinterher von Teilnehmern zu hören, niemand habe die Schuld für das Debakel bei Carsten Sieling abgeladen oder gar dessen Rücktritt verlangt. Beklagt wurde, dass es seit Jahren nicht gelinge, die Bemühungen der SPD um den sozialen Zusammenhalt des Zwei-Städte-Staates in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Die Partei sei auch nur noch unzureichend in den Quartieren präsent, ganz anders als die Linke, der das mit deutlich geringeren Ressourcen besser gelinge. Die große Mehrheit der SPD-Funktionäre befürwortete aber dem Vernehmen nach ein Festhalten an der Macht im Rathaus. Einzig der scheidende Abgeordnete Andreas Kottisch stellte demnach einen Verzicht auf die Regierungsmacht zur Debatte, falls die SPD bei den jetzt anstehenden Sondierungen mit Grünen und Linken allzu viele Kröten schlucken müsste.