Der Angeklagte sieht es nicht ein, bis zuletzt nicht. Er hat Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet, hat nach ihnen geschlagen, getreten und versucht, sie zu bespucken. Er hat die Beamten vulgär beschimpft und einem von ihnen in den kleinen Finger gebissen. Und das sind keine Behauptungen, sondern Tatsachen. Bestens dokumentiert durch Aufnahmen aus einer Bodycam der Polizei. Trotzdem findet der 22-Jährige nicht, dass er etwas falsch gemacht hat. „Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin“, sagt er zu Beginn der Verhandlung vor dem Amtsgericht. Und ist am Ende fassungslos, als er verurteilt wird. „Was Ihr hier mit Menschen macht ...“
In der Nacht zum 1. Mai 2018 wurde die Polizei wegen einer Schlägerei zur Discomeile gerufen. Während dieses Einsatzes wollten die Beamten auch den 22-Jährigen kontrollieren. Was dann passierte, brachte den jungen Mann jetzt vors Amtsgericht – tätlicher Widerstand in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung.
„Ich war besoffen, dann bin ich ein anderer Mensch“, räumt der Angeklagte vor Gericht ein. Aber er habe niemanden angespuckt oder gebissen. „Ehrlich nicht. So etwas mache ich nicht.“ Und er habe die Polizisten auch nicht als Hurensöhne beschimpft oder gesagt, dass er ihre Frauen für einen Euro verkaufen würde. Ein Missverständnis. Er habe lediglich erklären wollen, dass in seiner Heimat, dem Irak, jesidische Frauen für einen Euro verkauft würden.
Geschehen mit Bodycam festgehalten
An dieser Stelle unterbricht der Richter den Mann. Müßig, weiter darüber zu diskutieren, wer was getan und gesagt hat. Die Polizei hat das gesamte Geschehen mithilfe einer Bodycam festgehalten. Eine halbe Stunde Filmmaterial, Bild und Ton, von der Discomeile bis zur Polizeiwache Stephanitor. „Und das schauen wir uns jetzt mal alle gemeinsam an.“
Die Aufnahme beginnt vor dem Stubu bei der Kontrolle des 22-Jährigen. Der schreit und wehrt sich gegen die Polizisten, wird schließlich in Handschellen in einen Gruppenwagen verfrachtet. Dafür sind immer mindestens zwei Polizisten notwendig, manchmal auch drei. Eine vierte Beamtin steht etwas von der Gruppe entfernt, sie trägt die kleine Videokamera an ihrer Weste.
Im Fahrzeug versucht der junge Mann, die Polizisten zu treten, und spuckt nach ihnen. Daraufhin wird ihm eine Spuckschutzhaube aufgesetzt. Kurz scheint es, als würde er sich beruhigen, doch dann brüllt er wieder los. So geht es die gesamte Fahrt über weiter. Der 22-Jährige schimpft und tobt, beruhigt sich kurz, nur um sich dann wieder gegen die Haltegriffe der Polizei aufzubäumen und an seinen Fesseln zu zerren.
Trotz Beruhigungsversuchen - Polizist wird verletzt
Auf der Wache scheint ihm dann die Puste auszugehen. Er sinkt auf einer Bank zusammen. Die Beamten sprechen beruhigend auf den Mann ein, nehmen ihm sogar die Handschellen ab. Doch dann geht das Ganze von vorne los. Unvermittelt reißt er einen Zettel von der Wand und will ihn in den Mund stecken. Beim Versuch, dies zu verhindern, wird ein Beamter in den kleinen Finger gebissen. Weil der Polizist Handschuhe trägt, bleibt es bei einer schwachen Hautrötung. Körperverletzung ist es trotzdem. In der Arrestzelle sind drei Polizisten notwendig, um den Angeklagten ruhig zu halten. Handschellen allein reichen nicht mehr, er wird auf einem Bett gefesselt. Auch zu seinem eigenen Schutz.
Weil er sagt, dass er sich umbringen wird, bringt die Polizei ihn schließlich ins Klinikum Bremen-Ost. Dort hat er sich dann aber tatsächlich weitgehend beruhigt. „Keine akute Eigengefährdung“, lautet die Einschätzung der Ärzte. Der Mann kann nach Hause gehen.
Im Gerichtssaal steht der Angeklagte vorne am Richtertisch, betrachtet auf einem Laptop die Filmaufnahmen der Polizei. Er sieht dieselben Bilder wie Staatsanwältin und Richter. Aber tut er das wirklich? Die Polizisten seien Schuld, sagt er. Die hätten ihn geschlagen und durch ihr Verhalten erst aggressiv gemacht. „Das ist doch nicht normal. Die sollen die Leute beschützen, aber doch nicht so was machen mit den Menschen.“
Vorbildliches Verhalten der Beamten
Das Verhalten der Beamten sei geradezu vorbildlich, hält der Richter dagegen, als die Bodycam-Aufnahme beendet ist. Aber wie damals die Polizei dringt auch er nicht zum Angeklagten durch. Der sieht sich als das eigentliche Opfer und versteht weiterhin nicht, warum er vor Gericht steht.
Am Ende wird er zu 100 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt, zu zahlen in monatlichen Raten von 60 Euro. Die Strafe liegt an der Untergrenze dessen, was überhaupt möglich war für das Gericht. Aber auch das versteht der Mann nicht. „2000 Euro? Woher soll ich das nehmen?“, fragt er wütend. Und schiebt trotzig hinterher: „Das zahle ich nicht.“ Als der Richter ihm erklärt, dass er dann ersatzweise für 100 Tage ins Gefängnis muss, lenkt er ein. „Gut. Ich zahle“, sagt er. Dann zeigt er mit dem Finger auf Richter und Staatsanwältin. „Aber Gott wird das später mit euch klären.“
Weitere Informationen
Widerstand und gewalttätige Attacken gegen Polizeibeamte, wie jetzt Gegenstand einer Verhandlung am Amtsgericht, sind in Bremen kein Einzelfall. „Unsere Kollegen sehen sich zunehmend mit tätlichen Übergriffen konfrontiert, die zum Teil auch in ihrer Intensität schwerer werden“, erklärt hierzu Jana Schmidt aus der Pressestelle der Polizei. Die größte Verletzungsgefahr bestehe im Streifendienst. Ein wichtiges Thema seien hierbei in den letzten Jahren auch sogenannte Tumultlagen geworden, bei denen sich Menschen auf der Straße gegen die Polizei solidarisieren. Selbst bei Einsätzen wie Unfallaufnahmen oder Verkehrskontrollen kommt es vermehrt zu derartigen Situationen. „Da steht den Einsatzkräften plötzlich ein aggressiver, gewaltsuchender Mob gegenüber“, sagt Schmidt.
Seit 2012 definiert und erfasst die Innenbehörde das Phänomen „Gewalt gegen Polizeibeamte“. 360 Vorfälle standen seinerzeit zu Buche. 2013 waren es 367, ein Jahr später 353. Die 400er-Marke wurde mit 418 Fällen erstmals 2015 überschritten, 2016 sank die Zahl allerdings wieder auf 329. Im vergangenen Jahr waren es 402. Die Zahl für 2018 wird noch zusammengestellt. Laut Polizei zeichnet sich keine Steigerung gegenüber 2017 ab.
Um gegen die Attacken dieser Art gewappnet zu sein, schult die Polizei Bremen ihre Mitarbeiter, berichtet Schmidt. „Wir haben ein breites Spektrum an Fortbildungsangeboten, auch interkulturelle.“ Zudem würden die Kollegen bereits in der Ausbildung und später auch in der Fortbildung mit systemischen Einsatztrainings auf derartige Situationen vorbereitet.
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