Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Bautagebuch Gartenstadt Werdersee: Teil 3 Klimaschutz an der Wand

In unserem Bautagebuch zur Gartenstadt Werdersee berichten wir in einer Artikelreihe über den Baufortschritt des Großprojektes. Heute geht es um die Nachhaltigkeit des Neubaugebietes.
02.11.2019, 14:27 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Klimaschutz an der Wand
Von Karin Mörtel

Beton statt grüne Wiese, das ist normalerweise ein Graus für Umweltschützer. Dennoch erhält die Gartenstadt Werdersee als eines der größten aktuellen Bremer Bauprojekte mittlerweile viel Lob für seine Nachhaltigkeit. Alle paar Wochen watet ein weiteres Filmteam durch den Matsch auf der Baustelle neben dem Huckelrieder Friedhof, um zu dokumentieren, wie die Bauherren dies anstellen. Bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine werbewirksame Pionierarbeit fürs Baugewerbe. Und die Erkenntnis, dass Klimaschutz auch finanzielle Vorteile bringen kann.

Ein gelber Bagger hebt Schaufel um Schaufel rötlichen Lehm aus dem Boden hinterm Deich am Werdersee und kippt ihn auf den bereitstehenden Laster zum Abtransport. In dicken Schichten liegt das schluffige Material fast flächendeckend unter dem schmalen Streifen Oberboden im Neubaugebiet. Für Häuser ist der Lehm kein tragfähiger Untergrund und muss deshalb seit Monaten weggefahren werden – und das in riesigen Mengen. „Die teure Entsorgung hat mir beim Baustart noch ganz schön Kopfzerbrechen bereitet“, sagt Uwe Schierloh. Doch ein Zufall hat für den Geschäftsführer der Projektgesellschaft Gartenstadt Werdersee (PGW) das Ärgernis in einen Glücksfall verwandelt.

Zwei Eimer sind ein Anfang

Es war der Lieferant für die Fassaden-Klinkersteine, der über Schwierigkeiten klagte, wegen des Baubooms an genug Ton heranzukommen. „Da habe ich aus Spaß gesagt, er kann sich gleich zwei Eimer voll mitnehmen“, schildert Schierloh den Moment, der die gewohnten Abläufe auf der Baustelle auf den Kopf gestellt hat. Denn im Labor der Firma Wienerberger stellte sich schnell heraus, dass der Auelehm aus Huckelriede hervorragend dafür geeignet ist, sowohl Dachziegel als auch Klinkersteine herzustellen. Seither sind schon 2000 Lasterladungen Lehm von der Baustelle zur Ziegelbrennerei nach Hude gefahren worden. Dort liegt er aufgetürmt zu riesigen Haufen. Die gleiche Menge soll noch folgen.

So war der Ziegel-Hersteller sein Rohstoffproblem und die üblichen Renaturierungskosten los – „und wir mussten den Lehm nicht teuer auf einer Deponie entsorgen“, schildert Schierloh den Vorteil für beide Seiten. In einer Baufachzeitschrift ist diese konsequente Wiederverwertung des Bodens bereits als Vorbild für andere Bauherren abgedruckt.

Lesen Sie auch

Lehmhaltiger Boden, der nicht in Ziegel gebrannt werden kann, landet außerdem beim Deichverband als Baumaterial für anstehende Deicherhöhungen. Unterm Strich endeten daher bisher nur exakt zwei Lasterladungen Material aus dem Untergrund ungenutzt auf der Deponie. Und dabei handelte es sich um belasteten Boden, über den im Vorfeld des Bauvorhabens in der Neustadt bereits heftig gestritten wurde.

Belasteter Untergrund gesichert

Von „Sondermülldeponie“ hatten die schärfsten Kritiker der Gartenstadt Werdersee vor drei Jahren noch gesprochen. Das war zwar eher eine emotionale statt fachlich korrekte Aussage, doch das Grundproblem ist unbestritten: In einer ehemaligen Tongrube neben dem künftigen Eingangsboulevard zum Wohngebiet hatten vor Baubeginn Bodenproben umweltschädliche Stoffe im Untergrund offenbart. Denn in den 1960er- und 1970er-Jahren war dort Bauschutt und weiterer Müll abgeladen worden.

Lesen Sie auch

Da die beteiligten Fachleute aufgrund von Messungen festgestellt hatten, dass das Grundwasser nicht in Gefahr ist, entschied sich die Stadt für eine Sicherung der Altlasten nach oben. Sie ließ die Fläche durch ein Gewebe als Grabeschutz und zusätzlich mit einem Meter frischer Erde abdecken. Dadurch sind die kritischen Stoffe zwar nicht verschwunden; aber rein rechtlich wäre dieser westliche Bereich der Gartenstadt Werdersee, wo demnächst ein Park entsteht, ab sofort sogar als Kinderspielfläche nutzbar.

An einer kritischen Stelle nahe der Habenhauser Landstraße, die für eine spätere Bebauung ausgehoben werden musste, trat hauptsächlich grober Schutt zutage sowie zwei Lasterladungen mit Abfall, die vorsichtshalber auf der Deponie entsorgt wurden. An dieser Stelle gilt das Grundstück laut Umweltbehörde nun offiziell als saniert.

„Dass wir dieses damalige Negativ-Image noch komplett ins Gegenteil drehen können, hätte ich nicht gedacht“, sagt Schierloh. Er weiß aber mittlerweile, welche Anziehungskraft die Idee auf potenzielle Käufer hat, dass an ihrem Haus auch Ton verbaut ist, der erst kurz zuvor quasi vom eigenen Grundstück geborgen wurde. „Ressourcenschonender geht es kaum, das passt wunderbar in die heutige Zeit“, sagt Schierloh.

Der Weg zur Klimaschutzsiedlung

Für den Geschäftsführer ist der eigene Ton an der Fassade aber nur eine Zugabe der ohnehin nachhaltig geplanten Bauweise der Häuser. Für das Gesamtpaket aus umweltverträglichen Rohstoffen, energiesparender Bauweise und lokaler Energieerzeugung über mehrere Blockheizkraftwerke im neuen Quartier haben die PGW und die teilstädtische Wohnungsbaugesellschaft Gewoba im Frühsommer für die ersten beiden Bauabschnitte bereits das Gütesiegel „Klimaschutzsiedlung“ erhalten. Damit weisen die Bauherren nach, dass sie im Gegensatz zu Gebäuden, die nach gesetzlichem Mindeststandard gebaut werden, die Treibhausgas-Emissionen in der Gartenstadt Werdersee etwa zur Hälfte verringern. Es ist die zweite Siedlung dieser Art in Bremen, die die gemeinnützige Klimaschutzagentur Energiekonsens ausgezeichnet hat.

Das erste Blockheizkraftwerk steht übrigens schon in zwei Containern bereit für seinen Einsatz. Sobald die ersten Bewohner gegen Ende des Jahres ihre Reihenhäuser beziehen, können sie Wärme und Strom direkt aus dem lokalen Versorgungsnetz beziehen. „Das hat außerdem den Vorteil, dass durch die kurzen Leitungswege so gut wie keine Energie verloren geht“, sagt Stefan Fölsch. Er ist Geschäftsführer der Firma Gewoba Energie, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Gewoba, die die quartierseigene Energieversorgung in der Gartenstadt Werdersee sicherstellt. Schon bald soll die provisorisch aufgebaute Anlage in das erste Mietshaus der Gewoba an der Habenhauser Landstraße umziehen. Weitere Blockheizkraftwerke werden über das Neubaugebiet verteilt in weitere Gewoba-Häuser eingebaut.

Lesen Sie auch

Einige der künftigen Wohnblöcke bekommen noch Fotovoltaik-Anlagen auf ihre Gründächer gesetzt. Und die Bewohner des Wohngebietes können in Carports und Tiefgaragen bei Bedarf Anschlüsse für ihre Elektroautos nutzen. Schierloh: „Mit all diesen Schritten wollen wir es schaffen, dass am Ende der Bauarbeiten die komplette Gartenstadt Werdersee als Klimaschutzsiedlung gilt.“

Info

Zur Sache

Artikelreihe zum Neubaugebiet Gartenstadt Werdersee

Bis zum Jahr 2024 will die Projektgesellschaft Gartenstadt Werdersee (PGW) gemeinsam mit der Wohnungsbaugesellschaft Gewoba ein neues Wohnquartier am linken Weserufer errichten. 260 Reihen- und Doppelhäuser sowie etwa 250 Mietwohnungen werden gebaut. In unserer Artikelreihe „Bautagebuch Gartenstadt Werdersee“ begleiten wir fortlaufend diese Entwicklung. Jeder Teil der Reihe nimmt einen besonderen Aspekt des Großprojektes in den Blick: von der Erschließung über die Vermarktung bis hin zum Abschluss der Arbeiten. Dabei sprechen wir beispielsweise mit Verkäufern, Bauleitern, Grünplanern und lassen auch Kritiker des Bauvorhabens zu Wort kommen. Im Winter wird in unserem vierten Teil zu lesen sein, warum sich Bremer für einen Hauskauf im Neubaugebiet entschieden haben.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)