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Experten beziffern Kosten für Bremen Milliarden für den Klimaschutz

Bremen muss in den nächsten Jahren ein Milliardenpaket für Investitionen schnüren, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Die Finanzierung ist offen, denn die notwendigen Summen sind gegenwärtig nicht verfügbar.
04.09.2021, 05:00 Uhr
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Milliarden für den Klimaschutz
Von Jürgen Theiner

Das kleinste Bundesland müsste bis 2030 sechs bis sieben Milliarden Euro für Investitionen aufwenden, um dem Ziel der Klimaneutralität einen großen Schritt näher zu kommen. Das ist die Einschätzung der Berliner Denkfabrik „Agora Energiewende“. Sie berät die Enquetekommission „Klimaschutzstrategie für das Land Bremen“, die 2020 von der Bürgerschaft eingesetzt wurde. „Agora“ hat fünf Handlungsfelder umrissen, auf denen das Geld eingesetzt werden soll: Energie, Industrie, Gebäudesanierung, Verkehr und Konsum/Bildung. Im politischen Raum wird nun darüber nachgedacht, wie das Geld aufgetrieben werden kann.

In der Enquetekommission arbeiten Abgeordnete und externe Fachleute zusammen. Sie wollen bis zum Spätherbst einen konkreten Handlungskatalog vorlegen, an dem sich Bremen orientieren kann, um seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 deutlich zu verringern. Im März hatte die Kommission bereits einen Zwischenbericht vorgelegt. Nun geht es an die Konkretisierung der Maßnahmen und damit auch ums Geld.

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Aus Sicht von „Agora“ müsste Bremen den Großteil der Mittel auf die energetische Sanierung der öffentlichen Gebäude konzentrieren. Schulen und Kitas, Behördensitze, Kliniken, Hochschulen – Hunderte von Immobilien im Eigentum von Stadt und Land wären grundlegend zu modernisieren. 4,1 Milliarden Euro setzen die Fachleute für ein solches Mammutprojekt an. Weitere 365 Millionen Euro an Zuschüssen müssten fließen, um öffentliche Wohnungsunternehmen wie die Gewoba bei der Sanierung ihres Bestandes zu unterstützen. Der gesamte Gebäudesektor – also einschließlich des privaten Anteils – steht in Bremen für rund zehn Prozent der Treibhausgas-Emissionen.

Ein günstigeres Verhältnis von eingesetztem Geld und ökologischer Wirkung ergibt sich im industriellen Bereich. Als wichtigstes Ziel gilt dort eine bessere Klimabilanz der Stahlwerke, denn sie stehen für rund die Hälfte des Ausstoßes klimaschädlicher Gase in Bremen. Betreiber Arcelor-Mittal strebt an, beim Betrieb der Hochöfen schrittweise von Kohle auf Wasserstoff umzustellen. Das erfordert umfangreiche Investitionen, der Bremer Förderanteil wird von „Agora“ auf 100 Millionen Euro beziffert. Für die klimagerechte Entwicklung der Häfen veranschlagen die Experten staatliche Mittel von rund 350 Millionen Euro. Addiert man diverse weitere Posten wie den Ausbau von Fernwärmenetzen (bis zu 500 Millionen Euro) und öffentlichem Nahverkehr (275 Millionen Euro) hinzu, landet man bei den genannten sechs bis sieben Milliarden Euro für das Investitionspaket.

Das Problem: Bremens Haushalt gibt solche Summen nicht her. Das kleinste Bundesland hat jährlich gut fünf Milliarden Euro zur Verfügung, die Stadt Bremen weitere 3,5 Milliarden Euro, und jeder Cent davon ist anderweitig verplant. Also einfach Kredite aufnehmen? Das verbietet die in der Landesverfassung verankerte Schuldenbremse, die ausgeglichene Haushalte vorschreibt. Aus Sicht von „Agora“-Direktor Patrick Graichen ist die Politik deshalb gefordert, alternative Finanzierungsinstrumente zu prüfen. Die Schuldenbremse müsse in jedem Fall reformiert werden, denn: „Die grüne Null ist wichtiger als die schwarze Null.“

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Der frühere Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) argumentiert ähnlich. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Enquetekommission. „An irgendeiner Stelle müsste die Schuldenbremse ins Gras beißen“, sagt Sieling. Offen ist aus seiner Sicht, wo diese Stelle liegt – nicht notwendigerweise in Bremen, falls der Bund es auf sich nimmt, einen Großteil der nationalen Anstrengungen für den Klimaschutz zu finanzieren und damit auch  Programme auf Länderebene großzügig zu unterstützen. Sieling weist darauf hin, dass der Bund das Ziel gesamtstaatlicher Klimaneutralität kürzlich auf das Jahr 2045 vorgezogen hat. Wer ein solches Signal setze, müsse sich auch finanziell engagieren.

Bremen wird sich beim ökologischen Umbau von Wirtschaft und Infrastruktur nicht komplett auf Bundeszuschüsse verlassen können. So oder so läuft es für das kleinste Bundesland auf einen Milliardenbetrag hinaus, wenn auch gestreckt auf viele Jahre. Die Klima-Enquete verfügt deshalb über eine finanzpolitische Arbeitsgruppe, die entsprechende Vorschläge erarbeiten soll. Ihr gehört unter anderem der CDU-Haushaltspolitiker Jens Eckhoff an. Seine Partei stand bisher ohne Wenn und Aber hinter der Schuldenbremse. Der Handlungsdruck beim Klimaschutz setzt ein Fragezeichen hinter dieses Bekenntnis. Eckhoff weiß um die Konflikte, die das Thema in seiner Partei auslösen kann. „Das ist eine höchst diffizile Materie“, sagt der Finanzexperte. Zugleich hofft er auf einen parteiübergreifenden Konsens, damit die Enquete im Spätherbst ihre Arbeit abschließen kann.

Zur Person

Klima-Enquetekommission

Die Bremische Bürgerschaft hat im Januar 2020 als erstes deutsches Landesparlament eine Enquetekommission zum Klimaschutz eingesetzt, der Vorschlag kam seinerzeit von der CDU. Alle Fraktionen der Bürgerschaft sind in dem Gremium vertreten. Sie entsenden neun Abgeordnete, den Vorsitz hat der CDU-Abgeordnete Martin Michalik. Vertreten sind außerdem neun namhafte Experten aus dem Bereich des Klimaschutzes. Teilnahme- und Rederecht haben darüber hinaus 15 sogenannte ständige Gäste, die ein breites Spektrum gesellschaftlicher Gruppen vertreten, zum Beispiel die Handels-, Handwerks- und Arbeitnehmerkammern, Organisationen wie der Naturschutzbund und die Bewegung „Fridays for Future“. Mit am Tisch sitzen ferner die Senatsressorts, die einen Bezug zum Klimaschutz und den Folgen möglicher Empfehlungen der Kommission haben.

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