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Sabine Doll über die Bremer Behörden Kommentar: Am eigenen Anspruch gescheitert

Warteschlangen vor dem Standesamt, gut 1000 unbearbeitete Anträge in der Elterngeldstelle – und weit über 600 fehlende Kita-Plätze. In den Bremer Behörden klemmt es gewaltig.
11.08.2016, 00:00 Uhr
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Kommentar: Am eigenen Anspruch gescheitert
Von Sabine Doll

Warteschlangen vor dem Standesamt, gut 1000 unbearbeitete Anträge in der Elterngeldstelle – und weit über 600 fehlende Kita-Plätze. In den Bremer Behörden klemmt es gewaltig.

Überall dort, wo Bürger Anträge stellen, Unterlagen einreichen oder erst einmal einen Termin bekommen müssen, um überhaupt ihre Anträge stellen zu können, heißt es: Geduld. Wenn es gut geht, sind es nur ein paar Tage, in der Regel aber inzwischen Wochen oder – wenn es ganz dick kommt – sogar Monate.

Das ist nicht nur ärgerlich. Für viele Bremer hängt an der zügigen oder vielmehr schleppenden Bearbeitung ihrer Anliegen sprichwörtlich ihre finanzielle Existenz. Wer monatelang auf eine Geburtsurkunde aus dem Standesamt wartet, hat Probleme beim Antrag auf Elterngeld. Ist das geschafft, dauert es zurzeit noch einmal bis zu vier Monate, bis das Elterngeld endlich überwiesen wird.

Und wer sein Kind in diesem Jahr für einen Kita-Platz angemeldet hat, der muss mit einer Absage aus der Behörde rechnen. Obwohl es einen Rechtsanspruch für Eltern auf einen Betreuungsplatz gibt. Hunderte Bremer Eltern befinden sich derzeit in dieser Situation, sie wissen nicht, wo sie ihre Kinder unterbringen, Arbeit und Betreuung organisieren sollen. Sie haben darauf vertraut, dass der Senat seine gesetzliche Verpflichtung wahrnimmt. Das hat er nicht getan.

Die rot-grüne Landesregierung hat aber nicht nur Eltern im Stich gelassen, die ihre Kinder bereits für einen Kita-Platz angemeldet haben. Ziel der rot-grünen Landesregierung ist es vor allem auch, jene Kinder in die Kitas zu holen, die ihren Rechtsanspruch bislang nicht geltend gemacht haben. Das trifft vor allem, wie Studien zeigen, auf Kinder aus sogenannten sozial benachteiligten Stadtteilen und aus zugewanderten Familien zu.

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Hierbei hat Bremen nach wie vor großen Nachholbedarf: Kinder aus zugewanderten Familien werden im Schnitt später im Kindergarten angemeldet als Kinder ohne Migrationshintergrund, sie sind in den Einrichtungen bis heute unterrepräsentiert – und nutzen damit die Chancen der frühkindlichen Bildung weniger. Kinder haben schlechtere Startchancen und erwerben schlechtere Schulabschlüsse, wenn sie den Kindergarten vor der Einschulung nur für ein Jahr oder gar nicht besucht haben. Das interpretieren Fachleute aus den Ergebnissen der Pisa-Studie, bei der Bremen traditionell zu den Schlusslichtern gehört.

„Je früher Kinder den Kindergarten oder eine Krabbelgruppe besuchen, desto besser sind später ihre Chancen in Schule und Beruf.“ Diesen Satz hat 2011 die damals für den Kita-Ausbau zuständige Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) gesagt. Und er soll auch heute noch gelten, so haben es SPD und Grüne 2015 in ihre Koalitionsvereinbarung geschrieben: „Für uns ist eine gute frühkindliche Bildung und Betreuung für alle Kinder ein ganz zentraler Aspekt der Kinder- und Jugendpolitik. Wir wollen die Entwicklung aller Kinder von Geburt an konsequent fördern, ihre Teilhabe und soziale Integration gewährleisten. Nur ein sozial ausgewogenes und bedarfsbezogenes Angebot ebnet den Kindern einen erfolgreichen Weg in die Zukunft.“

An seinem eigenen Anspruch ist der Senat bislang gescheitert: Und solange er nicht in der Lage ist, den seit 2013 auch für unter dreijährige Kinder geltenden Rechtsanspruch umzusetzen, wird Bremen auch weiterhin daran scheitern.

Aber: Kann es dem klammen Haushaltsnotlageland überhaupt gelingen, Kita-Plätze für alle zu schaffen? Bremen ist nicht auf sich allein gestellt. Der Bund gibt den Ländern bis 2018 mehrere hundert Millionen für den Aus- und Neubau von Kindertagesstätten, Bremen hat Anspruch auf 4,4 Millionen Euro. Die Mittel müssen nur beantragt werden. Bleiben Organisation und Planung. Rund zwei bis drei Jahre dauere es von der Idee bis zur Eröffnung einer Einrichtung, heißt es aus der Bildungsbehörde als eine Erklärung für den akuten Platzmangel. Diese Erfahrungswerte dürfte sie aber nicht erst seit der letzten Anmeldephase gewonnen haben.

Was Bremen sich definitiv nicht leisten kann: Investoren und freie Träger von Kindertagesstätten abzuweisen, die gleich mehrere hundert Plätze schaffen wollen. Vielleicht sogar in weniger als zwei bis drei Jahren. Auch in diesem Fall muss sich die Bildungsbehörde an ihrem eigenen Anspruch messen lassen, den die Senatorin selbst formuliert hat: „Wir brauchen Trägervielfalt.“

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