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Umfrage zur Bürgerschaftswahl in Bremen Kommt jetzt das Ende von Rot-Grün?

Rot-Grün lag als Regierungsmodell einst im Trend. Zehn Bundesländer wurden schon rot-grün regiert. Davon ist nicht viel geblieben. Nur in Hamburg und Bremen gibt es derzeit noch ein solches Bündnis.
02.05.2018, 06:00 Uhr
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Kommt jetzt das Ende von Rot-Grün?
Von Silke Hellwig

Für viele Jahre galt die politische Kombination von Rot und Grün so ideal wie die von Grünkohl und Pinkel, Brot und Butter oder Sonne und Mond. Dabei wurde der Allianz vor 33 Jahren, als sich SPD und Grüne erstmals in Hessen zusammentaten, nicht viel Durchhaltevermögen zugetraut. Die Neuen waren zu anders.

Joschka Fischer trat 1985 zur Vereidigung als erster grüner Minister in der Geschichte der Bundesrepublik in Turnschuhen an, Mitglieder der Fraktion strickten während der Landtagsdebatten offenbar mehrere Kilometer Schal. Thematisch waren die Grünen festgelegt, im Großen und Ganzen auf Umwelt, Frieden sowie Frieden und Umwelt.

Die "Süddeutsche Zeitung" notierte Jahre später Folgendes: "Hessens sozialdemokratischer Ministerpräsident Holger Börner ließ sich mit einer Truppe ein, die auf ihre Unberechenbarkeit stolz war. Viele Grüne wollten gar nicht mitregieren, sie fühlten sich wohl mit dem Gedanken, dass sie nicht zur Mehrheit gehörten."

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Inzwischen haben sich die Politikfelder der Parteien verändert, mittlerweile werden beziehungsweise wurden nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch zehn Bundesländer rot-grün regiert, darunter neun der elf alten und mit Sachsen-Anhalt (durch die PDS toleriert) eines der neuen Länder. Keine Erfahrungen aus eigener Anschauung haben die Bürger der Länder Bayern, Saarland, Sachsen und Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg.

Bis vor Kurzem, 2016, waren die Kabinettsposten der großen Länder Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen sowie in Rheinland-Pfalz ebenfalls unter Sozialdemokraten und Grünen aufgeteilt. Rot-Grün schien etabliert, ein für alle Mal. Inzwischen gibt es kein rot-grün regiertes Flächenland mehr, allein die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sind geblieben.

Nicht länger als zwei Wahlperioden am Stück

Das Bündnis in Bremen gehört mit einer Dauer von elf Jahren und bald drei vollendeten Legislaturperioden in Folge bislang zu den stabilsten. Knatsch zwischen den beiden Partnern gab und gibt es immer mal wieder. Aber die Sorge um den Machtverlust schweißt zusammen. Erst in jüngster Zeit, da die Wahl näher rückt, ist sich jeder Koalitionspartner selbst der Nächste, beginnen sich beide Parteien aneinander abzuarbeiten, ob mit der Reform des Polizeigesetzes oder der Legalisierung von Cannabis.

Länger als zwei Wahlperioden am Stück haben die Bündnisse andernorts nicht überstanden, nicht unbedingt aus freien Stücken. Nicht selten wurden sie vollends abgelöst, manchmal wurde nur ein Bündnispartner geschasst: In Nordrhein-Westfalen regierten anschließend CDU und FDP, in Hessen ebenfalls. Dort allerdings nur für vier Jahre, bevor Hans Eichel wieder mit den Grünen zusammenfand.

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In Berlin und Schleswig-Holstein folgte Rot-Grün eine Große Koalition. In Hamburg wurde Ole von Beust (CDU) Bürgermeister und tat sich mit FDP und der Schill-Partei zusammen. In Baden-Württemberg tauschte der grüne Landesvater Winfried Kretschmann kurzerhand die Sozial- gegen die Christdemokraten aus. Gerhard Schröder schließlich exportierte das Modell, das er von 1990 bis 1994 in Niedersachsen selbst erprobt hatte, in den Bund.

Zunächst regierte der Sozialdemokrat in Hannover noch allein mit seinen Genossen, bis er an die Spitze der Bundesregierung wechselte. Er war mit Joschka Fischer als Stellvertreter und Außenminister an seiner Seite von 1998 bis 2005 Bundeskanzler. Die Bilanz der sieben rot-grünen Jahre fällt durchwachsen aus. Es sei zwar nicht nur eine Episode gewesen, aber auch keine Epoche, fasste die "Süddeutsche" zusammen.

Zwei Phasen für den Aufschwung von Rot-Grün

Von sehr vielen Vorhaben sei aus vielen nichts geworden, unter anderem, weil die Mehrheit im Bundesrat über die Jahre verloren ging und Rot-Grün im Länderparlament gebremst wurde. Mit der "Agenda 2010" leitete das Kabinett Schröder Sozialreformen in die Wege, für die ihn europäische Nachbarn zwar bis heute bewundern, Rote und Grüne samt Wähler jedoch bis heute verachten. Fischer fiel wegen fortschreitender "Fischerisierung" der Partei, also wegen seines unverhohlenen Machtstrebens, und des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan bei Grünen und -Wähler in Ungnade.

Experten halten fest, dass es zwei Phasen für den Aufschwung von Rot-Grün gab. Die Erste begann in den 1980er-Jahren und gipfelte im rot-grünen Kabinett im Bundeskanzleramt. Die zweite Welle begann etwa 2010 und wird auch als Antwort auf Angela Merkels bürgerliche Koalition von 2009 bis 2013 gesehen. Die Katastrophe von Fukushima im März 2011 führte überdies zu einer Grünen-Wahl-Welle, die inzwischen abgeebbt ist.

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Und in Bremen? An der Weser gab es eine weitere Ursache für den rot-grünen Erfolg – die Vorgängerregierung. Dem Bündnis unter Jens Böhrnsen (2007 bis 2015) und Carsten Sieling (seither) gingen zwölf Jahre Große Koalition voraus. Was zunächst ein Zugeständnis an die starken bürgerlichen Kräfte der Stadt gewesen sein mag und als eine Art Zwischenschritt gedacht, gewann eine gewisse Eigendynamik und führte zu bundesweiter Aufmerksamkeit.

Der Kopf der Großen Koalition, Henning Scherf, hatte schnell Gefallen an der politischen Romanze mit der CDU gefunden, der "Spiegel" zollte 1999 so Beifall: "Er ist dabei, das Land aus der Dauerkrise zu führen, erfolgreich und populär (...) Vorbei die Zeit, als das Land ausschließlich mit Skandal-, Krisen- und Pleitemeldungen Schlagzeilen machte." Die Philosophie der Regierenden, ob rot oder schwarz: Ein möglichst großes und damit starkes Bündnis sollte Bremens enorme Probleme schultern.

In einem Boot

Der damalige SPD-Landesvorsitzende Detlev Albers sah das anders und mit ihm andere Genossen. SPD-Ortsvereine kündigten Widerstand an, wenn Scherf die Große Koalition weiter bewerbe. Die Grünen hatten sich in der Opposition emsig an der Großen Koalition abgearbeitet und den Finger auf die Wunden gelegt, insbesondere, was die Finanzierung der Vorzeigeprojekte betraf. Doch erst als Scherf ging, war mit Böhrnsen der Weg für Rot-Grün frei.

Gestern standen die scharfen Kritiker den Kritisierten noch gegenüber, jetzt fielen sie sich in die Arme und saßen fortan in einem Boot. Indes war es die SPD, die sich lange schon zuvor sozusagen in Großkoalitionäre und Rot-Grüne aufgespalten hatte. Nun heißt das bekannte Regierungsmodell nicht von ungefähr Rot-Grün, nicht etwa Grün-Rot.

Die Roten sind es bislang, denen die Grünen die Regierungsmehrheiten beschaffen, nicht umgekehrt, auch unter Aufgabe politischer Inhalte. Der Züricher "Tages-Anzeiger" zitiert den Politologen Jürgen Falter: "'Die Grünen mussten erkennen, dass die SPD nicht wirklich eine ökologische Partei ist.' Arbeitsplätze bei VW oder im Kohle­abbau seien ihr immer wichtiger als die CO2-Bilanz.

Aus Sicht der SPD wiederum seien die Grünen eine ,Luxuspartei', gewählt von privilegierten Beamten und Lehrern, denen die soziale Frage weniger bedeutsam sei als die Rechte noch der unscheinbarsten Minderheit oder Kreatur." Nicht nur inhaltlich, auch rechnerisch ist es für Rot-Grün schwierig geworden. Die großen Parteien werden kleiner, brauchen also größere Partner. Die Liberalen und die Linken bekommen als mögliche Mehrheitsbeschaffer größeres Gewicht.

Rot-Grün könnte über kurz oder lang zu einem politischen Konstrukt mit einem gewissen rot-grünen Anteil schrumpfen, ob in einer Ampel oder einer rot-rot-grünen Regierung. In Thüringen ist mit Bodo Ramelow ein Linker Ministerpräsident, der mit seinen Roten gemeinsam mit Rot-Grün regiert. SPD und Grüne erhielten bei der jüngsten Wahl weniger als 20 Prozent der Stimmen – zusammen.

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