Man kann das Ende des Zweiten Weltkrieges im April/Mai 1945 in Bremen und Bremerhaven nicht lediglich aus der deutschen oder gar Bremer Sicht betrachten. Die Erinnerungen der Zeitzeugen, zumal nach 75 Jahren, möchten durch wiederholte Erzählungen, durch Gespräche mit anderen Beteiligten, durch Angelesenes, Filme und vieles mehr verwässert, geschönt, geglättet worden sein, jedenfalls sind sie Teil der eigenen Geschichte geworden.
„Geschichte“ wird immer rekonstruiert, die Betrachtung historischer Ereignisse, Prozesse und Sachverhalte aus vielen Perspektiven ist unerlässlich, um ein einigermaßen wahrhaftiges Bild der epochalen Ereignisse im Frühjahr 1945 zu gewinnen. Ein Blick auf die britische Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Bremen ist geradezu zwingend.
Entscheidenden Anteil an der Eroberung Bremens hatte die 52nd Lowland Division. Die zweite wichtige Division, die an der Befreiung Bremens und Bremerhavens beteiligt war, war die 51st Highland Division. Ich hatte Gelegenheit, Anfang März 2015 mit zwei Veteranen dieser Einheit, Bill Robertson und John MacKenzie, zu sprechen. Sie waren beide 18 Jahre alt, als sie als „poor bloody infantries“ freiwillig in die Armee eintraten. Für sie war das Ende des Krieges in Bremen auf alle Fälle sehr wichtig. MacKenzie fasst seine Gefühle von damals so zusammen: „Ich war erleichtert, Triumph verspürten wir nicht so sehr, eher dachten wir: Gott sei Dank, es ist vorbei.“
„Der Übergang über den Rhein bleibt im Gedächtnis“
Jedoch sind es die Kämpfe entlang der holländisch-deutschen Grenze, die die Erinnerung der Veteranen sehr viel nachhaltiger geprägt haben. Hier ging es entscheidend um den Übergang über den Rhein, der noch im September 1944 in Arnheim fatal gescheitert war und den Verlust fast der gesamten First Airborne Division bedeutet hatte. Die Schlachten setzten sich fort im Reichswald (zu dem die Briten „Reichswaldforest“ sagen), nördlich von Rees (wo den Briten der Übergang über den Rhein gelang) und in der Nähe von Kleve. Dazu Bill Robertson: „Der Übergang über den Rhein bleibt einem jeden im Gedächtnis. Das hast du geschafft. Und später in meinem Leben, wenn es Probleme gab, an der Arbeit, in der Familie, die zu der Zeit unüberwindbar schienen, dann sagte meine Frau zu mir 'You crossed the Rhine!'. Und dann konnte ich die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten.“
Die 52nd Lowland Division marschierte in der Folge bei Rheine über die Ems, über Diepholz und an Bruchhausen-Vilsen vorbei führte ihr Weg bei Hoya über die Weser, bei Verden über die Aller und über Baden, Achim, Uphusen, Mahndorf und Hastedt in das Zentrum Bremens um Überseemuseum und Bahnhof herum. Peter White, der als Lieutenant ein Platoon der Lowland Division führte, schrieb heimlich und gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten Tagebuch.
Seine Eintragungen, empfindsam, anteilnehmend und emphatisch, sind fesselnde wiewohl ans Herz gehende Dokumentationen eines „Soldier’s Struggle 1944-45“, wie es im Untertitel der Veröffentlichung seiner Tagebücher „With the Jocks“ heißt (Jocks ist der Spitzname für schottische Soldaten). „Obwohl Uphusen ein feindliches Dorf war, tat es mir im Herzen weh, Haus um Haus in Flammen aufgehen zu sehen und mitzukriegen, wie sich das Feuer in sie hineinfraß.“
Zusammentreffen mit den Deutschen
An anderer Stelle hofft White – umsonst – „dass der Krieg sich einfach totlaufen würde bevor für uns ein neuer Angriff anstünde. Am 24. April trotteten wir im Staub die Straße hoch in Richtung Mahndorf“. In einer Wohnung in Hastedt, die die Schotten requirierten, bot ein gut angezogener, beleibter und rotgesichtiger Mann mit einem kleinen Schnauzbart, der ganz offensichtlich unter einem inneren Aufruhr litt, wie er sich am besten „den Feinden“ gegenüber verhalten sollte, Wein an (wobei er sehr zitterte).
Schließlich, nachdem klar war, dass keine direkten Kampfhandlungen mehr zu erwarten waren, fanden sich zwei Schotten im Bahnhofsbunker wieder, „inmitten einem wimmelnden Haufen deutscher Zivilisten und einigen noch bewaffneten Polizisten. Das schien jedoch noch nicht genug zu sein, jeder hatte neben sich sein Gewehr... and a German Fraulein“. Während also die 52nd Lowland Division von Südosten her Bremen einnahm, näherte sich die 51st Highland Division nach dem Übergang über den Rhein über Dinklage und Vechta Delmenhorst. Dort kam es in Adelheide zu heftigen Kämpfen um den Fliegerhorst, die Kaserne und die Delme-Übergänge.
Für mich war es bewegend, mit den beiden Zeitzeugen der britischen, der Feindesseite, zu sprechen, und ich war erstaunt über ihr hohes Reflexionsniveau, das in ihren offenen und freimütigen Äußerungen zum Ausdruck kam. Beide betonten immer wieder ihren Wunsch nach Versöhnung, Frieden und ihre anti-nazistische Haltung. Bill Robertson erzählt eine anrührende Geschichte vom eigenen Überleben und welche Konsequenzen man daraus ziehen sollte: „Wir rückten nach Norden vor, entlang einer kleinen Bahnstrecke.
Wir gerieten unter Beschuss, das einzige kleine Gebäude dort war eine Art Fahrkartenbüro. Ich sprang hinein, da war ein Tresen aus dickem Eichenholz. Ich dachte, falls das Gebäude zusammenbricht, bin ich unter diesem Tresen ziemlich sicher. Als ich hochsah, entdeckte ich einige Fahrkarten im Automaten. In Lutten war das. Und ich dachte: In einem anderen Leben würde ich eine Fahrkarte nach Bremen nehmen und dies alles nicht mitmachen. Ich nahm eine Fahrkarte, steckte sie in meine Tasche – und ich habe sie heute noch. Sie erinnert mich an diesen Tag, als ich dachte: Man sollte mit dem Zug fahren und nicht so, wie wir das machen.“
Zur Person
Diethelm Knauf (67) ist Historiker und Medienpädagoge, leitete viele Jahre das Landesfilmarchiv Bremen und publiziert zur Migrations- und Regionalgeschichte.
Neuanfang nach der Diktatur
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