Herr Grunenberg, in der Geschichte der Kunst sind die 200 Jahre Kunstverein und Kunsthalle Bremen, die dieses Jahr gefeiert werden, eigentlich eine eher kurze Spanne, oder?
Christoph Grunenberg: In der Geschichte von Museen ist das aber eine lange Spanne. Tatsächlich sind wir ja eines der ältesten Museen Deutschlands und sogar der Welt. Betrachtet man es so, sind 200 Jahre schon eine bedeutende Zeit. Und das feiern wir entsprechend.
Das Ausstellungs-Auftaktprogramm besteht aus Rückblicken, aber auch einem Blick in die Zukunft. Warum?
Wir wollten erst einmal bewusst auf die Gründung schauen, auf die Anfangsjahre. Was hat damals diese 34 Bürger, Kaufleute und Senatoren bewogen, den Kunstverein zu gründen, wie hat das mit der besonderen Geschichte der Stadt Bremen zu tun, warum war man da so früh? Das untersuchen wir mit "Kunst verein(t)". In Bremen emanzipierte sich das Bürgertum schon frühzeitig, und die Gründung des Kunstvereins war Ausdruck der Unabhängigkeit und des Stolzes der Stadt. Dabei geht es nicht nur darum, wie der Blick für das Schöne im Verein geschärft wurde, sondern auch um den Aufbau einer Sammlung, Werke aus Sammlungen zu retten, sie anzukaufen, sie geschenkt zu bekommen. Und dann treibt uns natürlich die Frage um, wie es weiter gehen, wie man einen Verein lebendig halten und was man gegen die Überalterung machen kann, die viele Kultureinrichtungen umtreibt. Da lassen wir mit einem kritischen Blick nach vorne schauen ...
... mit der Ausstellung "Generation*", die die jungen Kuratoren der Gruppe "New Perceptions" gestaltet haben. Das ist eine neue Erfahrung für eine Einrichtung wie die Kunsthalle, oder?
Ja. Wir geben den Jugendlichen eine Plattform, binden sie ein und hoffen, langfristig mit ihnen in Verbindung zu bleiben. Der Verein muss zusehen, dass er relevant für die nächste Generation bleibt.
Es ist ein Spagat, den Sie hinbekommen müssen: Das Stammpublikum nicht verschrecken und neue Besucher hinzugewinnen.
So ist es, wobei ich auch sagen muss: Ich bin jetzt seit fast zwölf Jahren hier und habe erlebt, dass unser Kernpublikum sehr offen für Neues ist, auch mal provoziert werden und sich mit schwierigeren Fragestellungen befassen will. Die Berührungsängste, die man dem klassischen Museumspublikum gerne unterstellt, sind bei unseren Besuchern nicht so ausgeprägt.
Liegt das auch daran, dass Sie sich seit einigen Jahren kontinuierlich Themen widmen, die auch in der aktuellen Ausstellung präsent sind: Körperbilder, Identitätsdiskussion, Dekolonisierung?
Wir befinden uns in einem Transformationsprozess, und tatsächlich macht sich das jetzt auch bemerkbar, wenn wir auf die Struktur der Besucher schauen. Das Durchschnittsalter sinkt. Das liegt sicher auch an Sonderausstellungen wie "What is Love?"; die haben sehr viele jungen Menschen angeschaut. Uns ist es wichtig, dass jüngere Menschen sich bei uns wiederfinden und sich mit den Kunstwerken und den Künstlern identifizieren können. Wir möchten sie aber nicht bevormunden, das muss authentisch sein.
Wird "New Perceptions", die Gruppe mit den jungen Kuratoren, dann zur festen Einrichtung an der Kunsthalle?
Das soll verstetigt werden und nicht nur ein Projekt über zwei Jahre bleiben, wie es das bis jetzt ist. Wir hoffen, dass die jungen Menschen dabei bleiben und neue hinzukommen. Wie genau es weitergeht, müssen wir sehen. Eine Ausstellung wie "Generation*" kann man nicht einfach wiederholen, aber wir würden Ideen und Anregungen gerne aufgreifen und wünschen uns auch kritische Diskussionen über unser Programm und andere Aktivitäten am Haus wie die Vermittlung oder die Kommunikation.
Waren Sie überrascht von der Kunst, die die Jugendlichen ausgesucht haben?
Ja, wobei ich von Anfang an involviert war. Klar geworden ist: Da gibt es andere Sichtweisen und Themen. Aber auch, dass andere Kanäle zur Informationsfindung genutzt werden. Die Jugendlichen sind mit Künstlern und Werken auf uns zugekommen, auf die wir wahrscheinlich nie gestoßen wären. Wir schauen uns Ausstellung und Messen an und lesen Kunstmagazine, während die jungen Kuratorinnen und Kuratoren sehr viel im Internet unterwegs sind und Werke in Betracht ziehen, die wir beispielsweise zunächst zu illustrativ finden. Reportagefotografie beispielsweise und Zeichnungen, die von Comics beeinflusst wurden. Einiges ist in der Ausstellung zu sehen und verleiht ihr daher einen ganz eigenen, frischen Charakter. Und klar, man überdenkt dann seinen eigenen Ansatz und seine Gewohnheiten. Wir haben viel voneinander gelernt.
Was haben die Jugendlichen von Ihnen gelernt?
Wie aufwendig es ist, eine Ausstellung zu stemmen, welche Strukturen dahinter stecken und der beträchtliche finanzielle Aufwand. Die ursprüngliche Liste der Kunstlerlinnen und Künstler und der Werke war beispielsweise ziemlich lang, das hätten wir rein vom Platz her schon nicht unterbringen können. Und wir hätten nicht alle Leihgaben bekommen. Da musste dann ausgewählt werden – auch das war ein Lernprozess.
Mehr junge Menschen als Besucher und Vereinsmitglieder zu gewinnen ist die eine Aufgabe. Die andere: In einer immer diverser werdenden Gesellschaft mehr Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. Das scheint für alle Kultureinrichtungen ein sehr dickes Brett zu sein, das gebohrt werden muss.
Allerdings. Da sind wir auch schon dran, beispielsweise mit dem 360-Grad-Programm, das diesen Ansatz fördert. Aber auch das ist eine Langzeitaufgabe. Da geht es nicht nur darum, Schwellen abzubauen, sondern auch, ein tatsächlich relevantes Programm für Menschen zu gestalten, die aus anderen Kulturkreisen kommen. Aber auch: Wie können Künstler mit Migrationshintergrund ausstellen und relevante Themen bearbeiten? Wir wissen aus Befragungen von Besuchern übrigens: Der Durchschnitt ist gar nicht so schlecht bei uns mit 17 Prozent an Menschen mit Migrationshintergrund, die Ausstellungen anschauen. Trotzdem reflektiert das nicht ansatzweise die demografische Zusammensetzung einer Stadt wie Bremen.
Ihre große Jubiläumsausstellung mit den "Geburtstagsgästen" beginnt im Oktober. Warum so spät?
Weil das näher am exakten Jubiläumstag, dem 14. November, dran ist. Und dann ist der Herbst auch unser traditioneller Spot für die Großausstellungen, und die Schau präsentiert ja eine ganze Reihe hochkarätiger Gemälde, wie der Untertitel verspricht: Von Monet bis van Gogh.
Was schätzen Sie, wie präsentiert sich die Kunsthalle Bremen in 200 Jahren? Wird es dann noch Kunsthallen geben?
Ich denke schon. Die Museen sind ja schon häufiger totgesagt worden. In den 200 Jahren ihres Bestehens hat die Kunsthalle ja schon einiges mitgemacht – Kriege, Besetzungen, Verluste, Zerstörungen, Um- und Anbauten. Ich glaube, auch in 200 Jahren wird das Erlebnis, vor einem Kunstwerk zu stehen und es auf sich wirken zu lassen, immer noch relevant sein, trotz aller Möglichkeiten der technischen Reproduzierbarkeit. Da spielt die Aura eines Werks hinein, aber auch das Museum als sozialer, kommunikativer Ort. Der Besuch an sich wird sich durch die Möglichkeiten, die das Digitale bietet, sicher weiter wandeln. Nicht nur, dass man mehr Kunstwerke zur Verfügung stellen kann, zum Beispiel durch den Online-Katalog. Auch den Kontakt mit den Besuchern erleichtert das. Und damit ihre Bindung an das Haus und den Verein.
Das Gespräch führte Iris Hetscher.