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Premiere zum Saisonbeginn "Adams Äpfel" im Schnürschuh-Theater: Groteske mit Tiefgang und Humor

"Adams Äpfel" im Schnürschuh-Theater Bremen: Ein optimistischer Landpfarrer, drei Strafgefangene und die Frage, ob Resozialisierung wirklich möglich ist. Eine Groteske mit Tiefgang und Humor.
14.09.2024, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Hinten ein großes Holzkreuz, davor begrüßt Frau Pastor das Publikum "in meiner Gemeinde". Das Schnürschuh-Theater – eine Kapelle? Sollen wir mitsingen beim Lied "I've Gotta Get A Message To You"? Das nicht, die Töne der schweren Jungs sind schlimm genug, aber vielleicht werden auch die Besucher im Stück "Adams Äpfel" zwei Stunden lang ein bisschen resozialisiert – wie die drei Strafgefangenen, die der gnadenlos optimistische Landpfarrer Ivan bei sich aufgenommen hat.

Das Handlungsgerüst: Bereits seit Längerem geht Ivan (von Ulrike Knospe liebevoll verkörpert) der schmerbäuchige Sexualstraftäter Gunnar (Theaterchef Pascal Makowka), vormals Tennisprofi und nun vorgeblich trockener Alkoholiker, zur Hand. Ebenso der Araber Khalid ("Tatort"-erfahren: Ibrahim Benedikt), der gern wahllos herumballert und Tankstellen überfällt, seitdem eine Ölfirma Grundstück und Haus seines Vaters ergaunert hat. Neu hinzu kommt ein Furcht einflößender Schläger, der Neonazi Adam: Helge Tramsen, zugleich Regisseur des Abends, steht am Anfang nur da – baumstark, streng gescheitelt und finster blickend. Zum Einstand hängt er das Kruzifix von seiner Zimmerwand ab und ein Hitler-Porträt auf.

Damit er in seinem Leben was gebacken kriegt, lässt ihn Ivan den Apfelbaum im Garten pflegen. Aus dem bald reifen Obst könne er doch einen Kuchen backen. Ivans permanente Schönfärberei geht Adam indes ebenso schnell auf die Nerven wie dem Publikum. Sogar die Vergangenheit eines alten KZ-Schergen wird als kleiner Tiefpunkt im Leben weggepredigt. Ein wandelndes Priesterklischee. Geflissentlich übersieht Ivan, dass sich seine Schützlinge, zu denen sich noch eine ungewollt schwangere Alkoholikerin gesellt (Franziska Schubert), keineswegs auf dem Weg der Besserung befinden. Jede Figur läuft hier ziemlich neben der Spur, Sündenfälle sind vorprogrammiert.

Der Hintergrund: Die raffinierte Mischung aus absurden Wendungen und streckenweise sehr finsterem Schwarzhumor macht "Adams Äpfel" jede Sekunde zum Vergnügen. Nicht ohne Grund hat der dänische Autor und Filmregisseur Anders Thomas Jensen, auf dessen gleichnamigem Film von 2005 das Stück basiert, bereits zwei Oscars eingeheimst. Der Trick, den Figuren heftige Heimsuchungen zuzumuten, gibt der Handlung jedoch eine Tiefe, die die Groteske nie in den Klamauk abgleiten lässt. Durch Querverweise auf die Bibel erhält der Plot zusätzlich Wucht.

Der dramatische Knoten: Als Adam herausbekommt, dass Ivan als Kind vergewaltigt wurde, einen behinderten Sohn hatte, seine Frau durch Suizid verlor und an einem Gehirntumor leidet, kippt die Handlung. Während der Pastor alle Schicksalsschläge als Versuchungen Satans weglächelt, vergleicht ihn Adam mit dem biblischen Hiob, dem Gott alle Plagen auf den Hals schickte. Als Ivan zusammenbricht (später wird auch noch auf ihn geschossen), merken alle Beteiligten erst, wie wichtig seine Güte für sie war. Trotz aller Realitätsferne und Verschrobenheit: Ivan schiebt tatsächlich – Hitchcocks "Psycho" lässt grüßen – im Kinderwagen das Skelett seines toten Jungen in Kinderkleidung herum. Einer der irrwitzigsten Momente des Abends: Der kleine Zombie Christopher stiehlt den Akteuren fast die Schau.

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Die Inszenierung: Die zunächst ungewöhnlich scheinende Besetzung des Pastors mit einer Schauspielerin wirkt in solch "mütterlichen" Momenten besonders sinnig, auch wenn man sich fragt, warum die Figur nicht gleich zur Pastorin umgewidmet wurde. Ulrike Knospe steht mit Helge Tramsen jedenfalls im Zentrum des hochrangigen Darstellerquintetts – hier spielt sich in jedem Gesicht auch dann etwas ab, wenn die Kollegen dran sind. Pascal Makowka, Ibrahim Benedikt und Franziska Schubert geben überdies noch mehreren kleineren Rollen Profil.

Bei solchen Akteuren braucht man keine Riesenausstattung. Die Projektion eines Apfelbaums, das zuletzt schräg hängende Kreuz oder der Durchblick in die Küche, wo Adam seinen Mini-Kuchen aus der Mikrowelle zaubert, reichen völlig aus. Pfiffig auch Adams Bibel, die sich von selbst aufschlägt. Dazu noch "Staying Alive'" und "How Deep Is Your Love" von den Bee Gees, da fehlt bloß noch ein letzter unglaublicher Bocksprung der Handlung, um Geschichte und Aufführung zum wundersamen Ende zu führen. Aber das sollte man sich selbst ansehen.

Info

Die Komödie "Adams Äpfel" läuft im Schnürschuh-Theater Bremen wieder am 14., 15. und 28. September sowie am 19., 20., 24. und 26. Oktober. Beginn ist um 19.30 Uhr, sonntags um 18 Uhr. Tickets bei Nordwest-Ticket und unter www.schnuerschuh-theater.de
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