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Universität Bremen Wenn der Minibus autonom durch Bremen fährt

Im Technologiepark an der Universität Bremen erproben Forscher ein zukunftsträchtiges Zusammenspiel. Wie kann Mobilität mit smarter Infrastruktur, Fahrzeugen ohne Fahrer und Fernüberwachung verändert werden?
12.07.2025, 05:00 Uhr
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Von Björn Lohmann

Zahlreiche Monitore hängen an der Wand des Safety Control Centers im Technologiepark Bremen, weitere stehen auf den Schreibtischen davor. Mitja Echim blickt aufmerksam auf einen der Monitore an der Wand, der den Blick aus der Frontscheibe eines fahrenden Autos zeigt. Nicht zu sehen ist in dieser Perspektive die Person auf dem Fahrersitz. Aber die sitzt dort eh nur aus rechtlichen Gründen: Der Minibus, dessen Fahrt Echim beobachtet, rollt gerade autonom durch den Technologiepark, kommuniziert mit der näherkommenden Ampel und könnte im Notfall jederzeit vom Safety Control Center aus ferngesteuert werden.

Echim ist Industriemathematiker und Geschäftsführer des Start-ups Topas. Die Abkürzung steht für das Transferzentrum für optimierte, assistierte, hochautomatisierte sowie autonome Systeme, eine Ausgründung der Universität Bremen. An diesem Vormittag im Juni wirkt der Forscher zufrieden, denn er präsentiert, was Topas, die Uni und weitere Projektpartner in den vergangenen Jahren entwickelt haben: eine intelligent vernetzte Infrastruktur im Zusammenspiel mit einem autonomen Fahrzeug für den Personentransport.

Vom Mars auf die Erde

Begonnen hat eigentlich alles mit dem Mars. Das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeitet schon lange mit der Uni Bremen und anderen Forschungseinrichtungen zusammen, um autonome Rover zu entwickeln, die die Oberfläche des Roten Planeten oder auch der Saturnmonde erkunden sollen. 2016 dann stellte das DLR sich die Frage, ob sich die Technologie für autonome Systeme nicht auch auf der Erde nutzen ließe.

"Unsere Idee war, ein Auto zu kaufen und es so umzubauen, dass wir es autonom fahren lassen können", erinnert sich Echim. "Alle im Raum haben damals gelacht." Also kaufte das Team einen gewöhnlichen Pkw, ersetzte den Kofferraum durch Sensorik und Computer, übertrug die für den Mars-Rover entwickelten Programme darauf – und parkte 2017 auf dem Uni-Campus erstmals autonom ein.

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"Die Idee eines autonomen privaten Pkw erscheint faszinierend, aber sie ist nicht sinnvoll", findet Echim. Seiner Ansicht nach entstünde nur noch mehr Verkehr, wenn jeder etwa das eigene Kind vom autonomen Auto zum Sport fahren ließe. "Unser Ziel sind ein besserer Verkehrsfluss und weniger Verkehrstote", erläutert der Geschäftsführer. Daraus entstanden ist der Plan für ein Minibus-Shuttle. Es könnte etwa in einem Stadtteil wie Borgfeld die Menschen bequem zur ÖPNV-Haltestelle bringen. Denn die ist für viele Haushalte so weit entfernt, dass die meisten Menschen bislang lieber in den Privat-Pkw steigen.

Die Erde ist allerdings weit komplexer als der Mars. "Ein Rover muss dort zwar Felsen und Schluchten erkennen, aber es bewegt sich nichts", sagt Echim. Und stört ein Sandsturm die Sensoren, bleibt der Rover einfach stehen, bis der Sturm vorbei ist. "Ein Auto auf der Erde muss bei Tempo 50 jegliche Situation vorausschauen und verarbeiten können", betont der Forscher. Erkennen die Sensoren ein Kind und einen Ball, der in Richtung Straße rollt, sollte das Fahrzeug vorsorglich langsamer werden. Und nicht zuletzt muss das Fahrzeug damit umgehen, dass sich menschliche Fahrer keineswegs immer an die Regeln halten.

Jede autonome Steuerung – ob auf dem Mars oder im irdischen Straßenverkehr, auf dem Boden oder in der Luft – folgt dem gleichen Schema: Die Echtzeit-Informationen der Sensoren werden mit vorhandenen Daten wie etwa Kartenmaterial mit Ampeln oder Spurverläufen kombiniert. Dann plant das Fahrzeug den nächsten Schritt: Nach jeder Zehntelsekunde errechnet die Software einen neuen Plan, wie sich das Fahrzeug in den nächsten zehn Sekunden bewegen wird und welche Lenk- und Beschleunigungswerte dafür erforderlich sind. Zusätzlich prüft das System fünfzigmal pro Sekunde, ob die Bewegung wie geplant verläuft.

Lange Zeit lag der Fokus beim autonomen Fahren darauf, dass Fahrzeuge alle Entscheidungen im Straßenverkehr selbst treffen können sollen. "Aber inzwischen gehen die Hersteller davon aus, dass ein autonomes Fahrzeug nicht jede Situation lösen kann", sagt Echim. Die Lösung soll ein Kontrollzentrum sein, in dem Menschen in außergewöhnlichen Situationen aus der Ferne eingreifen können. So entstand das Safety Control Center im Technologiepark.

Doch all die Daten von Radar, Lidar, Kameras, Ultraschall und Beschleunigungssensoren sind viel zu groß, um sie per Mobilfunk zu verschicken. Dazu müssen sie zunächst sinnvoll reduziert und komprimiert werden. Dann werden sie im Kontrollzentrum mit minimaler Verzögerung verarbeitet. 50 Millisekunden dauert das derzeit. "Wäre die Verzögerung größer, könnte man nicht rechtzeitig steuern und müsste langsamer fahren", erklärt Echim.

Bremens erste smarte Ampeln

Apropos langsamer fahren: Im Technologiepark stehen auch Bremens erste fünf Ampeln, die ihren Zustand funken. So weiß das Auto schon in einiger Entfernung, welche Phase die Ampel gerade zeigt und wie lange sie noch dauert. Dadurch kann das Fahrzeug vorausschauend das Tempo anpassen. Den Ampelfunk kann übrigens grundsätzlich jedes Fahrzeug empfangen, dessen Hersteller den Austausch zwischen Auto und Infrastruktur unterstützt.

Das alles wirft nicht zuletzt Fragen nach der Cybersicherheit auf, denn der Datenaustausch erfolgt im offenen 5G-Netz. "Die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Kontrollzentrum ist verschlüsselt", betont Echim. Im Kontrollzentrum ist streng gesichert, wer Zugriff auf die Fernsteuerung hat. Und auch Ampelsignale lassen sich nicht einfach so fälschen: "Wir gleichen ab, ob eine Ampel wirklich dort steht, woher das Signal kommt, und auch die Ampelphase wird durch die Kameras überprüft", erläutert der Experte. Passt etwas nicht zusammen, gibt das Auto eine Warnung an den Fahrer, der eingreifen kann.

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Weil das Team mit aktuell drei Fahrzeugen und drei Sicherheitsfahrern nur begrenzt die Software in der Praxis trainieren kann, lernen die Algorithmen auch in Fahrsimulationen. Doch wann ist ein autonomes Fahrzeug sicher genug? "Ich glaube, dass letztlich der Vergleich betrachtet werden wird, ob ein autonomes Fahrzeug im Mittel sicherer ist als ein menschlicher Fahrer", sagt Echim. "Und das ist bei den autonomen Taxis von Waymo in den USA heute schon so."

Info

Die Alphabet-Tochter Waymo betreibt im Westen der USA bereits eine Flotte autonom fahrender Taxis und führt allein in Los Angeles täglich etwa 5000 Fahrten mit Fahrgästen durch. Die Fahrzeuge können sogar Verkehrsregeln brechen, etwa um trotz durchgezogener Mittellinie einen Wagen der Müllabfuhr zu überholen, wenn kein Gegenverkehr kommt. Allerdings überwachen bei Waymo pro Fahrzeug zwei Personen aus der Ferne die Abläufe und können jederzeit eingreifen. „Wir müssen dahin, dass eine Person 10 oder besser 100 Fahrzeuge überwachen kann“, findet Mitja Echim. Das ist einer der Gründe, trotz der Fortschritts von Waymo ein eigenes System in Deutschland zu entwickeln. Vor allem aber möchte der Forscher ein so wichtiges Thema nicht komplett einem US-Konzern überlassen. „Autonome Systeme, ob fahrend, schwimmend oder fliegend, werden unsere Welt mitgestalten“, sagt Echim. „Das muss sicher und nicht in der Hand weniger Unternehmen betrieben werden.“
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