Fragt man die Bremer Autorin Ursel Bäumer, wie sie zum Schreiben gekommen ist, dann sagt sie nicht: "Ich habe schon immer gerne geschrieben", wie es wohl viele Autoren sagen. Ursel Bäumer sagt lieber etwas anderes: "Ich habe schon immer gerne gelesen."
Die Frage nach einem Lieblingsautor kann sie allerdings nicht so leicht beantworten. "In den Bäumen blühen Steine" von Cees Nooteboom habe sie zuletzt berührt. Auch "Orlando" oder "Ein Zimmer für sich allein" von Virginia Woolf oder J. D. Salingers "Der Fänger im Roggen" gehören zu den Büchern, die Bäumer in irgendeiner Form geprägt haben. "Ein gutes Buch muss mir einen Blick in die Tiefe ermöglichen und mir Raum geben, mir selbst zu begegnen und in mir selbst zu lesen," beschreibt sie. "Ein gutes Buch muss mir ein Stück Welt öffnen."
Roman über Louise Bourgeois
Mit ihrem neuen Roman "Louise" versucht sie, selbst ein Stück Welt zu öffnen. Er handelt vom Leben und insbesondere von der Kindheit der französisch-US-amerikanische Künstlerin Louise Bourgeois (1911 bis 2010), die vor allem für ihre großen Spinnenfiguren bekannt ist. Mit stilistischen Mitteln, die gerade im ersten Teil des Buches fast schon einem Fiebertraum gleichen, gelingt es Bäumer, sich in die Gedankenwelt einer Frau einzuschreiben, die es in ihren jungen Jahren alles andere als leicht hatte. Schon früh half Bourgeois in der elterlichen Tapisserie-Werkstatt und kümmerte sich jahrelang aufopferungsvoll um ihre schwer kranke Mutter, während ihr Vater sich mit anderen Frauen vergnügte und sie mit allem alleinließ.
Bäumer schreibt ihr Buch aus der Sicht von Louise, als eine Art sprunghaften, inneren Monolog, der klar macht, wie sehr ihre Kindheit die Künstlerin auch später noch prägte. Der Roman sei aber kein Versuch – das ist Bäumer ganz wichtig – die Erlebnisse, die Bourgeois in ihrem jungen Leben gemacht hat, eins zu eins auf ihre Kunst zu übertragen und sie damit zu interpretieren. Vielmehr sei er eine "persönliche Annäherung an die junge Frau" Louise Bourgeois.
Ausstellung gab Anstoß
Den Anstoß für "Louise" fand Bäumer 2012 in einer Ausstellung mit Arbeiten der Künstlerin, die sie in Hamburg besuchte. "Die Ausstellung hat mich begeistert, irritiert, verstört", sagt sie. "Diese Frau und ihre Kunst haben mich nicht mehr losgelassen." Bäumer verbrachte – auch dank eines Aufenthaltsstipendiums – Zeit in Frankreich, wo sie für ihren Roman recherchierte. "Ich habe die Orte aufgesucht, an denen Bourgeois einst lebte, und es war interessant, auf ihren Spuren zu wandeln", erzählt die Autorin.
2021 erhielt sie vom Senator für Kultur das Bremer Autorenstipendium, vergangenes Jahr verbrachte sie dadurch auch mehrere Monate in Berlin. "Diese Zeit hat wesentlich dazu beigetragen, dass der Roman fertig geworden ist", so Bäumer. Ihren Roman versteht sie als "Anregung für Leute, die sich wirklich mit dem Werk und der Künstlerin auseinandersetzen wollen."
Aber wie ist Bäumer zur Autorin geworden, wenn es doch eigentlich das Lesen und nicht das Schreiben war, das lange eine Rolle in ihrem Leben spielte? Die in Münster geborene Bäumer studierte Literaturwissenschaft, Pädagogik und Philosophie in Münster, später auch noch Kulturwissenschaft in Bremen. Nach ihren Staatsexamen arbeitete sie als Gymnasiallehrerin in Bremen. Bäumer zog drei Kinder groß und fing irgendwann an, nebenbei kleinere Geschichten zu schreiben. "Das war für mich eine Art Befreiung, ein Spielraum, um das eigene Denken neu zu definieren", sagt sie.
In den frühen 2000er-Jahren entschied sie, den Lehrerjob an den Nagel zu hängen und als freie Autorin zu arbeiten. 2007 veröffentlichte sie mit "Wenn ich so denke, die Welt" ihr erstes Buch mit literarischen Porträts historischer Frauen, darunter Paula Modersohn-Becker, die Musikerin Lise Cristiani oder die Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer.
Debütroman erschien 2011
Ihr erster Roman, "Zeit der Habichte", erschien 2011 und handelt von der jungen Paula, die in der norddeutschen Provinz lebt, und die sich in den australischen Journalisten Henry verliebt, der in Paulas Heimatort auf der Suche nach seinen eigenen Wurzeln ist. Als Henry abreist, folgt sie ihm nach Australien. Dort findet sie zufällig Unterlagen, die er vor ihr versteckt hat, und die sie sehr verstören und misstrauisch machen.
Zwölf Jahre liegen zwischen Bäumers Debüt und ihrem neuen Roman. "Ich bin nicht gerade eine Vielschreiberin", sagt sie und schmunzelt. "Ich sammele viel", beschreibt sie ihr Vorgehen. "Wenn ich ein interessantes Thema habe, fahre ich meine Antennen aus und greife alles dazu auf." Erst dann starte die gezielte Recherche, und erst dann beginne sie schließlich zu schreiben. Manchmal, verrät Bäumer, kommen am Ende ganz andere Geschichten heraus als ursprünglich geplant. Und manchmal entwickeln auch die Figuren ein Eigenleben, das die Erzählung in ungeplante Richtungen lenkt.
Schüler treffen junge Autoren
Bäumer setzt sich auch seit vielen Jahren dafür ein, junge Menschen für Literatur zu begeistern. 2005 gründete sie den gemeinnützigen Verein "Workshop Literatur Bremen", in dem Schüler und Schülerinnen der Oberstufe in Lesungen und Schreibworkshops mit jungen Autoren zusammengebracht werden. Bis 2014 war sie Vorsitzende des Vereins.
Aktuell ist Bäumer unter anderem an dem Projekt "Lauschorte" beteiligt. Außerdem arbeite sie bereits an einem neuen Roman, wie sie verrät. Worum es gehen wird, bleibt noch ihr Geheimnis: "Ich schreibe noch im Dunkeln, damit sich nichts verflüchtigt, wenn ich es ins Helle ziehe."