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Zum "Jahr der Stimme" Jazzsängerin Romy Camerun: Singen stärkt das Selbstbewusstsein

Die Stimme ist zum Instrument des Jahres 2025 gekürt worden. Die Bremer Jazzsängerin Romy Camerun sieht das auch als Signal: ein Neuanfang für Chöre nach Corona. Und noch etwas anderes ist ihr wichtig.
01.02.2025, 05:00 Uhr
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Von Sebastian Loskant

Frau Camerun, die 16 Landesmusikräte haben die Stimme zum Instrument des Jahres 2025 gekürt. Welcher Gedanke schoss Ihnen durch den Kopf, als Sie das hörten?

Romy Camerun: Weil ich viel mit dem Auto unterwegs bin, habe ich die Nachricht im Deutschlandfunk gehört und mich sehr gefreut. Ein Chorleiter, der in der Sendung interviewt wurde, erinnerte daran, dass gemeinsames Singen in der Corona-Zeit wegen der Abstandsregeln nicht möglich war und viele Chöre nicht wieder auferstanden sind. Unter diesem Aspekt bedeutet das „Jahr der Stimme“ auch einen Neuanfang.

Wie haben Sie als Jazzsängerin Ihre Stimme entdeckt?

Durch die Klosterschule St. Ursula in Dorsten, das liegt am nördlichen Rand des Ruhrgebiets. An dieser Schule gab in der Unter- wie der Oberstufe hervorragende Chöre. Ich spielte schon, seit ich fünf Jahre alt war, Klavier und habe dann gemerkt, wie viel Spaß mir das Singen macht. Als ich 17 Jahre alt war, wurde ich gefragt, ob ich nicht Blues singen wolle, das könne ich doch sicher – eine Art positiver Diskriminierung. Das war der Anfang, in der sehr guten Band Madrugada. Ich fühle mich der Schule bis heute verbunden und bin kürzlich noch mit der Dorstener Bigband aufgetreten.

Was ist für Sie am Singen so besonders?

Das ist, vom klassischen Kunstgesang vielleicht abgesehen, eine maximal emotionale Sache. Man kann ja nicht singen und gleichzeitig weinen oder lachen, das heißt für mich: Alle drei Emotionen hängen eng miteinander zusammen.

Braucht man für den Jazzgesang eine andere Technik als im klassischen Gesang?

Da kann ich nur für mich sprechen. Ich singe immer mit meiner Naturstimme, so wie man ein Volkslied anstimmt. Den Unterschied zwischen Kopf- und Brustregister gibt es bei mir nicht. Ich habe mal zwei Jahre Schulmusik in Münster studiert und bei einem Bassbariton die klassische Gesangstechnik kennengelernt, aber vieles hat mich eher verwirrt. Man kann nicht mit einer Kunststimme Jazz singen. Andererseits habe ich als Dozentin an der Musikhochschule Hannover, wo alle Studenten im Fach Jazzgesang auch die klassische Technik erlernen müssen, gemerkt, dass sie bewusster mit ihrer Stimme umgehen, das hat also gefruchtet. Eine Grundlage ist immer gut.

Was würden Sie einem Heavy-Metal-Sänger raten, damit seine Stimme lange hält?

Die Stimme ist als Teil des Körpers verletzlich und nicht ersetzbar, wenn sie einmal geschädigt ist. Deshalb gilt für Sprecher und Sänger aller Arten: Passt auf, wenn ihr heiser werdet! Es gibt heute die tollsten Angebote, die einem in bestimmten Nischen weiterhelfen können, etwa das Estill Voice Training, bei dem man auch Röcheln und Schreien übt.

Der menschliche Sprechapparat ist wie ein Muskel, der trainiert werden will. Wie trainieren Sie?

Ich bin ein schlechtes Beispiel, ich mache nicht schon morgens Atemübungen mit Schlauch oder singe Mi-mi-mi. Zum Glück hatte ich selten Probleme mit Heiserkeit, da hilft mir meine lange Erfahrung. Aktuell allerdings probe ich für das Schauspiel "Nora oder Wie man das Herrenhaus kompostiert" am Theater Erlangen – sieben Stunden mit viel Sprechtext in extrem trockener Luft auf der Probebühne sind auch für mich ungewohnt, und ich muss zusehen, wie ich meine stimmliche Balance behalte.

Sind körperliche Bewegung und Sport hilfreich für die Stimme?

Absolut. Bewegen, bewegen, bewegen. Am besten draußen in der frischen Luft. Da lassen Belastung und Verkrampfungen schnell nach.

Wie überstehen Sie den Winter stimmlich?

Mein Körper hat sich offenbar auf die Phasen eingestellt, in denen ich viel zu tun habe, und meldet sich nur krank, wenn ich frei habe. Vor Weihnachten etwa lag ich mit einer Grippe flach, aber als es mit den Auftritten am 25. Dezember wieder losging, war ich wieder auf dem Damm.

War Ihre Stimme schon mal überlastet?

Zum Glück musste ich noch nie ein Konzert absagen, aber es gab schon Zustände, die nicht schön waren und bei denen ich mich retten musste. Im Jazz braucht man ja zum Glück nicht jeden Ton immer gleich zu singen, sondern kann, wenn es in der Höhe kratzt, nach unten ausweichen. Auch ein geringer Tonumfang, im Fachjargon Range, kann so wirkungsvoll sein, dass niemand etwas vermisst. Denken Sie an Billie Holiday, die hatte eine sehr kleine Range, aber was für einen Ausdruck.

Singen Sie immer mit Mikrofon?

Ja, ich setze die Stimme dann anders ein. Ich empfinde das Mikrofon als zusätzliches Instrument, das es mir ermöglicht, leise tiefe Töne zu singen, die man sonst gar nicht hören würde.

Apropos leise, hat eine laute Stimme mit Selbstbewusstsein zu tun?

Da spielt viel Psychologie mit. Wer durchsetzungsfähig wirken möchte, wird lauter auftreten. Was hat man sich anfangs über Angela Merkel lustig gemacht: Es war ohnehin ungewohnt, eine Frau als Bundeskanzlerin sprechen zu hören, und dann sprach sie auch noch flach und ein wenig durch die Nase. Aber ich finde eher laute Männer nervig. Für Bahnreisen habe ich mir neue Kopfhörer angeschafft. Wenn sich ein paar Sitze weiter vier Herren unterhalten, kann ich mich auf kein Buch konzentrieren und bleibe immer bei ein und demselben Satz hängen.

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Andere Menschen trauen sich nicht, zu singen oder auch nur laut zu sprechen – was raten Sie Ihnen?

Singt in einem Chor mit! Das macht etwas mit dem Selbstbewusstsein, das ist eine tolle Erfahrung, das wird jeder bestätigen. Das beeinflusst auch die Sprechstimme und nützt, wenn man vor Publikum reden muss. Gerade auch Frauen kann es helfen, nicht in einer unnatürlichen Ich-bin-harmlos-Stimmlage zu sprechen. Beim Singen kann man sich nicht verstellen. Wenn Menschen zusammen singen, sagen sie oft: An dieser Stelle hatte ich Gänsehaut, und dem Publikum geht es genauso. Da ist man gerührt wie Apfelmus.

Das Gespräch führte Sebastian Loskant.

Info

Romy Camerun tritt in Bremen am 14. Februar im Sendesaal mit der Nordwest-Bigband auf. Es gibt nur noch Restkarten an der Abendkasse.

Zur Person

Romy Camerun (60)

ist als Jazzsängerin und Pianistin viel gefragt. Sie lebt in Bremen und unterrichtet an den Musikhochschulen in Hannover und Essen. Mit Stars wie Ed Kröger und Clark Terry hat sie CDs eingespielt.

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