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Romy Camerun im Interview "Jazz ist für mich eine Stimme für die Freiheit"

Beim 22. Stuhrer Jazzfest in dieser Woche steht auch die Sängerin Romy Camerun auf der Bühne des Rathauses. Im Interview mit dem WESER-KURIER spricht sie vorab über ihre Liebe zum Jazz und aktuelle Projekte.
03.05.2022, 18:00 Uhr
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Von Eike Wienbarg

Frau Camerun, Sie waren als Musikerin und Dozentin bereits viel unterwegs. Sie lebten in Los Angeles, arbeiteten unter anderem in den Niederlanden, in der Schweiz, in Griechenland, in Italien, in Frankreich und in Bosnien-Herzegowina. Nun leben Sie in Bremen. Was hat Sie in die Hansestadt verschlagen?

Romy Camerun: Weil Ed Kröger (Erhard „Ed“ Kröger, deutscher Jazzmusiker, Anm. d. Red.) mir auf einem Konzert im Studio auf den Höfen, das damals noch existiert hat, sagte: "Komm' nach Bremen. Bremen ist die richtige Stadt für dich." Und das stimmt seit über 20 Jahren.

Wie ist es mit dem Jazz rund um Bremen bestellt?

Die Jazz-Szene in Bremen ist natürlich kleiner als die in Köln oder Berlin, aber auch wir haben sehr gute Musiker hier in der Stadt. Im Westend in Walle, im Chamäleon im Viertel auch in der HFK selbst und an vielen anderen Orten finden interessante Dinge statt. Ich fühle mich sehr wohl in der Bremer Szene. Leider hat die Bedeutung der live gespielten Jazzmusik in den letzten Jahren abgenommen und das haben viele Clubs sehr zu spüren bekommen. Vielleicht hat uns die Corona-Zeit vor Augen geführt, dass live gespielte Musik doch etwas anderes ist, als sich das zigtausendste Video auf Youtube reinzuziehen. Wir müssen die Musik schon mit unserer Gegenwart adeln, wenn wir wollen, dass die Künstler und die Veranstalter weiter existieren.

Ihre musikalischen Wurzeln liegen im Blues. Wie kam der Wechsel zum Jazz?

Meine Wurzeln liegen, wie die vieler deutscher Mädchen, in der Klassik. Ich habe als Kind Klavierunterricht bekommen und erst später mit 16/17 habe ich Blues und auch Jazz kennen- und lieben gelernt. Das begann mit einer Band in meiner Heimatstadt Dorsten, die Madrugada hieß und auch – wie am Namen zu erkennen – lateinamerikanische Musik und auch ein bisschen Jazz im Repertoire hatte. Der Jazz ist ein weites Feld und ich brauchte ein paar Jahre, um dort hineinzuwachsen.

Was fasziniert Sie an dem Genre?

Jazz ist für mich eine Stimme für die Freiheit. Sowohl in seiner Form, die vielseitig, dehnbar oder auch ganz und gar auflösbar ist als auch in seiner politischen Dimension. Die Rolle, die schwarze Afroamerikaner und Afroamerikanerinnen für die Entwicklung dieser Musik gespielt haben, ist ja wohl unumstritten und dass der Kampf um Gleichberechtigung immer mitschwingt, ist mir wichtig.

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Welche musikalischen Vorbilder haben Sie geprägt?

Musikalische Vorbilder sind vor allem die großen amerikanischen Künstlerinnen und Künstler des vorigen Jahrhunderts. Billie Holiday, Carmen McRae, Sarah Vaughan, Betty Carter. Dann Al Jarreau, Dianne Reeves, Cassandra Wilson, Abbey Lincoln und viele Instrumentalisten. Ich liebe Bill Evans, ebenso Fred Hersch. Cannonball Adderley, Dexter Gordon, Miles Davis, Art Blakey, Wayne Shorter, Kenny Wheeler. Ich könnte sehr lange weitermachen. Diese Einflüsse spielen sicher in der Musik, die ich mache, eine Rolle.

Die Corona-Pandemie hat in den vergangenen zwei Jahren für viele ausgefallene Konzerte gesorgt. Wie haben Sie diese Zeit erlebt und überstanden?

Das war und ist für uns alle eine herausfordernde Zeit. Klar ist auch bei mir vieles weggebrochen und das war schwierig. Gute Freunde und auch mein Bruder waren sehr hilfsbereit und das war toll. Auch die – und ich hätte nie gedacht, das mal zu sagen – unbürokratischen Hilfen des Landes Bremen waren wertvoll. In meinem Falle kommt dazu, dass ich sowohl an der Folkwang Hochschule für Künste als auch an der HFK in Bremen einen Lehrauftrag im Fach Jazzgesang habe, also auch im Lockdown online unterrichten konnte.

Sie wirken derzeit auch an der Aufführung der „Dreigroschenoper“ von Bertolt Brecht und Kurt Weill am Bremer Theater mit. Welche Aufgabe übernehmen Sie genau?

In der aktuellen Inszenierung der "Dreigroschenoper" am Goethe-Theater sitze ich am Klavier und am Harmonium – ein faszinierendes Instrument, denn man muss ihm per Fußpedal Luft zutreten. Außerdem war ich auch für die Einstudierung der Lieder mit den Schauspielerinnen und Schauspielern zuständig, die aber meine Hilfe kaum benötigen, denn alle singen ganz toll.

Die Lieder von Weill und Brecht sind legendär. Was macht auch heute noch die Faszination dieser Musik aus?

Die "Dreigroschenoper" war schon immer, seit ich sie mal in einer Schulaufführung als Jugendliche gehört und gesehen habe, eine meiner Lieblingsmusiken. Die Lieder, die Harmonien, der Rhythmus, die großartigen Texte von Brecht – absolut zeitlos. "Denn wovon lebt der Mensch? Indem er gründlich vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.“ Aktueller geht es wohl nicht. Und Kurt Weill ist ja nach der Emigration in die USA anders als Brecht wirklich angekommen in der Szene und ein erfolgreicher Musicalautor geworden. Stücke wie „My Ship“ oder „September Song“ sind Teil des American Songbooks und damit auch Teil des Jazzrepertoires.

Sie geben Ihre Erfahrungen als Dozentin an den Nachwuchs weiter. Was reizt Sie daran?

Mit jungen Musikerinnen und Musikern zu arbeiten, ist einfach ein Glück. Nicht in jeder einzelnen Minute, aber im Großen und Ganzen. Etwas weitergeben zu dürfen, das mich vollkommen überzeugt und ausfüllt, ist ein Privileg. Zu sehen, wie manchmal der Funke überspringt und Studierende ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten entwickeln, ihre eigenen musikalischen Wege suchen und auch finden, macht mich immer wieder froh.

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Big Band, kleine musikalische Begleitung oder solo: Womit fühlen Sie sich wohler und warum?

Ich fühle mich in allen denkbaren Jazz-Besetzungen wohl. In der Big Band ist meine Funktion halt eine andere als im Duo oder Trio. Da gibt es mehr Freiheiten mal links oder rechts herumzufahren. Bei der Wahl der Besetzung mag ja auch der finanzielle Rahmen ab und zu eine Rolle spielen.

Zum Stuhrer Jazzfest kommen Sie im Trio mit Marcello Albrecht und Oliver Spanuth. Was wollen Sie dem Stuhrer Publikum präsentieren?

Mit Oliver Spanuth und Marcello Albrecht arbeite ich seit einiger Zeit im Trio zusammen. Wir sind als Besetzung noch jung, experimentieren mit groovigen und jazzigen Farben. Es macht uns richtig viel Spaß. Wir werden in Stuhr Stücke von Nina Simone bis Chick Corea und auch etwas Eigenes spielen. Aber im Grunde sind alle Stücke jetzt in der Bearbeitung durch uns schon sehr durch uns drei geprägt.

Das Stuhrer Jazzfest will auch dem Musiknachwuchs eine Chance geben. Welche Tipps würden Sie Nachwuchsmusikern geben?

Gehen Sie ihrer Leidenschaft nach! Oder um es mit Goethe zu sagen: "Träume keine kleinen Träume, denn sie haben keine Kraft, die Herzen der Menschen zu bewegen."

Das Interview führte Eike Wienbarg.

Zur Person

Romy Camerun

ist 1964 geboren und wuchs in Dorsten (Westfalen) auf. 1994 erschien ihre erste CD „Bridges“. Camerun lebt in Bremen und unterrichtet unter anderem an der Folkwang Hochschule für Künste in Essen und an der Hochschule für Künste (HFK) in Bremen.

Zur Sache

Jazzfest in Stuhr

Von Donnerstag, 5. Mai, bis Sonntag, 8. Mai, findet in Stuhr das 22. Jazzfest statt. An den vier Tagen sind zahlreiche Konzerte im Rathaus der Gemeinde an der Blockener Straße 6 geplant, die der Musikalische Leiter Jens Schöwing organisiert hat.

Den Auftakt macht am Donnerstag, 5. Mai, ab 19 Uhr ein Forumskonzert der Kreismusikschule der Landkreises Diepholz. Schülerinnen und Schüler sowie Ensembles der Kreismusikschule stellen dann bei freiem Eintritt ihre Arbeit vor.

Am Freitag, 6. Mai, ab 20 Uhr steht dann Romy Camerun im Trio mit Marcello Albrecht und Oliver Spanuth auf der Bühne. Als zweite Band treten Blue Note Bach, bestehend aus Jens Schöwing (Klavier), Matthias Entrup (Vibrafon), Christian Frank (Kontrabass) und Marc Prietzel (Schlagzeug) auf. Das Quartett spielt Bearbeitungen und Improvisationen nach Kompositionen von Johann Sebastian Bach und möchte einen modernen europäischen Jazz, der sich von den Broadway- und Hollywood-Filmmusikthemen des amerikanischen Jazz emanzipiert hat, präsentieren. Die Band stellt auch Stücke der aktuellen CD „Psalm“ vor, die neben Eigenkompositionen Werke von Martin Luther und Psalmen des Genfer Psalters enthält.

Am Festival-Sonnabend, 7. Mai, ab 20 Uhr steht zunächst das Duo Golden Green, bestehend aus der lettischen Sängerin Krist?ne C?rule und dem deutschen Bassisten Michael Bohn, auf der Bühne. Die beiden kreieren mit "Musik zwischen Singer-Songwriter und Jazz auf sehr persönliche Art eine intime Atmosphäre, die aber niemals aufgesetzt wirkt", heißt es von den Organisatoren. Kennengelernt haben sich die beiden beim Studium an der Sibelius-Akademie in Helsinki. Zweite Gruppe am Abend ist das Marcus Schinkel Trio mit Marcus Schinkel (Klavier, Synthesizer), Wim de Vries (Schlagzeug) und Fritz Roppel (Bass). Für die drei Musiker ist Ludwig van Beethoven der Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Jazz, Klassik und Rock mit einem "innovativen Sound zwischen Konzertflügel und Synthesizer" machen die Gruppe aus, so die Organisatoren.

Karten für die beiden Abende gibt es in allen Verkaufsstellen von Nordwest-Ticket, zum Beispiel in der Geschäftsstelle des WESER-KURIER an der Bassumer Straße 6a in Brinkum, telefonisch unter 04 21 / 36 36 36 oder im Internet unter www.nordwest-ticket.de. Reservierungen für die Abendkasse werden per E-Mail an kultur@stuhr.de entgegengenommen. Der Eintritt beläuft sich auf jeweils 18 Euro, ermäßigt 15 Euro.

Den Abschluss des Stuhrer Jazzfest bildet am Sonntag, 8. Mai, ab 11 Uhr die traditionelle Abschluss-Matinee mit dem Ensemble Mo'Jazz & Horns. Unterstützt wird es dabei von Lehrkräften und Musikschülerinnen und -schülern der Kreismusikschule des Landkreises Diepholz. Der Eintritt ist frei.

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