Sein Ruf eilt Chilly Gonzales voraus: Der kanadische Pianist ist bekannt für seine schrillen Auftritte, in denen er sich nicht zwischen klassischer Musik und einer modernen Aufführung festlegen will. So wundert es nicht, dass das Konzert am Mittwoch in dem Großen Saal der Glocke ausverkauft ist. Gonzales versteht seine Rolle als Entertainer. Dabei spielt er mit Gegensätzen: Ausgebildet in klassischer Musik und Jazz, sitzt er in seiner Schlabberhose und schwarz-weißen Adiletten am Steinway. Noch hängt sein Markenzeichen, ein Morgenmantel, am Kleiderständer neben dem Klavier.
Mit einem lauten Bravoruf eröffnet Chilly Gonzales seinen Auftritt. Er will die Zuschauer zu Reaktionen animieren. Von einigen Plätzen tönt ein lautes Bravo zurück. Auch wenn die Menschen zu Beginn noch verhalten reagieren und erst zum Ende des Konzertes vollends auftauen. Spätestens bei der dritten Zugabe stehen beinahe alle Personen im Saal und wippen mit.
Zwischen Jazz und Rap
Der 51-jährige Musiker lässt Wortwitze einfließen, indem er während seiner Liedtexte Gestapo auf Gazpacho reimt. Die Texte sind gewitzt, auch wenn bei manchen Reimen nicht der Inhalt, sondern der Humor im Vordergrund steht. Sein Rap ist mittelmäßig, je schneller er singt, desto leiser wird er. Trotzdem kommen Lieder wie "Never Stop" gut an. Das Publikum lacht laut.
Die Setliste ist ganz im Zeichen des Jazz improvisiert. Die Musiker auf der Bühne fühlen mit und die Leidenschaft kommt beim Zuhörer an. Der Violinist, Yannik Hiwat, spielt zwischenzeitlich so engagiert, dass ihm beim Lied "Advantage Points" der Bogen aus der Hand fliegt. Die Musik entwickelt sich, sie driftet ab, wird düster, dann fröhlich. Sobald Hiwat Keyboard spielt, klingt sie fast futuristisch.
Kurz bevor Gonzales in sein Pianosolo startet, zieht er sich den Satinmantel an. Ein Zeichen: Jetzt liegt der Fokus auf ihm. Alle Lichter sind auf ihn gerichtet, während Gonzales im Rhythmus der Musik versinkt. Mit zerzaustem Haar spielt er am Klavier und wirkt wie vom Wahnsinn getrieben. Das Solo dauert lange, zwischendurch wirkt es langwierig, doch der Pianist holt die Menge mit Passion schnell zurück. Als das Licht angeht, wollen die Streicher ansetzen, doch Gonzales spielt vertieft weiter.
Bis zum Ende legt er sich nicht fest: Ist er Pop-Sänger oder Rapper? Konzentriert er sich auf Klassik? Ist er Entertainer? Klar ist: Sein Stil ist seine Show, die er zu einem einzigen Kunstwerk erhebt.
Abrechnung an Spotify und Wagner
Gleichzeitig bezieht Gonzales mit "F*ck Wagner" politisch Stellung. Die Nummer tauchte bereits mehrfach bei seinen Konzerten auf, ist in ihrer Aktualität jedoch kaum zu übertreffen. Er kritisiert Richard Wagner als Antisemiten, will Straßen mit seinem Namen umändern. Er bezeichnet ihn als "low quality human being" (Menschen von geringer Qualität) und vergleicht ihn mit Kanye West – gute Musiker, schlechte Menschen.
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Gonzales' große Stärke liegt im Entertainen. Die Wortwitze kommen beim Publikum an. Auch wenn er manchmal nicht ins Detail geht. Beispielsweise erzählt er nebulös von seinem neuen Album, was ein "deutsches Jahr" einläuten soll. Was er damit meint, lässt er offen. Deutsche Lieder singt er an dem Abend jedenfalls nicht.
Auch mit Spotify rechnet er ab. Der sogenannten neoklassischen Musik auf dem Streamingdienst fehle die Tiefe – dem zu Ehren komponierte er das "Neoclassical Massacre". Er beschreibt sie als Musik ohne Spannung, als Musik ohne Charakter. Kritik, die man an seinem Konzert nicht üben kann. Charakter haben Gonzales und seine Musik zu Genüge.