Immer wieder erstaunlich, wie unterschiedlich der Steinway in der Glocke klingen kann. Am Abend zuvor hatte Jan Lisiecki in seinem "Preludes"-Programm von Chopinschen Bizarrerien bis in die Schumann-Zugabe (Romanze op. 28/2) eine warme romantische Grundfärbung aufgelegt. Am Freitag nun schlug – bei der Deutschen Kammerphilharmonie – Martin Helmchen einen kristallinen, mozartnahen Ton an. Auch er gab Robert Schumann zu: "Vogel als Prophet" aus den "Waldszenen" erscholl in einer Klarheit, die – weit entfernt vom pittoresken Salonstück – einem scheuen gefiederten Sänger nachlauschte, der immer leise wurde und seine dritte Strophe nicht vollendete. Hinreißend!
Dieser offene Blick auf die Strukturen der Musik lohnte sich erst recht bei Ludwig van Beethovens 2. Klavierkonzert B-Dur op. 19. Helmchen, der sich neuerdings einen Vollbart stehen lässt (seine Agentur sollte mal die jungenhaften Künstlerfotos anpassen), agierte mit einer Souveränität und Eleganz, die das frühe Werk völlig frisch wirken ließen. Mal meldete sich die linke Hand akzentuiert zu Wort, mal trat sie ganz hinter den Diskant zurück. Das punktierte Motiv im Hauptsatz, auch eine Art Vogelruf, wurde bei jeder Wiederholung neu abgetönt – bis in den langsamen Satz, wo es ebenfalls auftaucht. Das schlichte Solo dort, Note für Note ausgestaltet, führte die Musik in die totale Ruhe, und das sprunghafte Rondo-Thema kam mal nicht rumpelig, sondern sehr geschmeidig daher. Es war eine Lust zuzuhören.
Daran hatte die Beethoven-trainierte Kammerphilharmonie mit prägnanter Pizzikato-Begleitung und punktgenauen Dynamikwechseln einen stattlichen Anteil. Ihr stand – ein Bremen-Debüt – die Dirigentin Anja Bihlmaier vor, die im ersten Satz für Gewitterleuchten und auch sonst für Spannung sorgte. Mit ihrem freundlich-bestimmten Auftreten (im schicken türkisfarbenen Hosenanzug) gewann die 46-jährige Chefin des Den Haager Residenzorchesters, die in Kassel lebt, schnell alle Sympathien.
Mit keckernder Flöte
Schon zu Beginn hatte sie in Igor Strawinskys kurzem Concerto für 15 Instrumente "Dumberton Oaks" von 1938, benannt nach dem Landhaus des Auftraggebers bei Washington, den rhythmischen Witz mit keckernder Flöte und knupperndem Fagott ebenso beherzt herausgekitzelt wie die ironisch schmachtenden Momente der Hörner und Violinen. Robert Schumanns 4. Sinfonie op. 120 wiederum lud Bihlmaier, nun ohne Taktstock, zum Bersten mit Energie auf. Die heiklen Temporelationen stimmten perfekt, wenn auch auf Kosten der Streicherfiguren im Scherzo, die etwas unscharf gerieten, und der unteren Lautstärkegrade. Wie sie die Sätze dicht an dicht fügte (toll der unheimliche Übergang ins Finale), war allen Beifalls wert.
Für den bedankte sich die Dirigentin mit einem furiosen Furiant, Dvoráks Slawischem Tanz C-Dur op. 46/1.