Wumms, das saß, und eigentlich müssten Edda Bosse und Bernd Kuschnerus zurücktreten. Die Präsidentin und der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) haben zusammen mit dem gesamten Kirchenausschuss das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit eine herbe Niederlage erlitten. Ihnen wurde vom Kirchenvolk, vertreten durch die Delegierten von 58 Gemeinden, schlicht die Gefolgschaft verweigert. Zunächst, vor einem Jahr, beim Streit um die neue Verfassung, mit der sich die BEK straffen und professionalisieren wollte. Und jetzt bei dem Versuch, mit dem Sparen zu beginnen.
Machen wir nicht, sagte in beiden Fällen das Kirchenparlament. Uns doch egal, was ihr da oben wollt und für richtig befindet. Wir sind das Volk! Wir bestimmen, wo es bei der BEK lang geht. Das ist so und wird immer so bleiben. Verlasst Euch drauf.
BEK muss alles auf den Prüfstand stellen
Nein, Edda Bosse und Bernd Kuschnerus werden nicht zurücktreten, jedenfalls sieht es nicht danach aus. Dafür fühlen sich die beiden viel zu sehr in der Verantwortung. So ein Schritt würde auch kaum etwas bringen, weil die Struktur ihrer Organisation gleich bliebe. Sie ist ein Hemmschuh für jedwede Veränderung, wie sich gezeigt hat, auch wenn die Kirchenleitung das so nie sagen würde, im Gegenteil: Nachdem das Kirchenparlament den Vorschlag abgelehnt hatte, aus Spargründen die Kulturkirche aufzulösen, stellte sich Kuschnerus ins Fernsehstudio und lobte mit fröhlichem Gesicht die "wunderbare Diskussionskultur" in der BEK. Zwar war vorher unmissverständlich mitgeteilt worden, dass die Kulturkirche keine Zukunft habe, weil das Budget heute bereits zu knapp sei und weitere Kürzungen bevorstünden. Nun soll es aber doch irgendwie weitergehen – durch das Engagement von Förderverein und Ehrenamtlichen, wie Kuschnerus betont. Er blendet dabei bewusst aus, dass es dieses Engagement längst gibt, ohne dass es viel geholfen hätte.
Nicht missverstehen: Die Kulturkirche ist eine schöne und bedeutsame Einrichtung. Sie vermittelt den Reichtum von Kunst in die Gesellschaft hinein. Die Veranstaltungen sind teilweise hochkarätig und schaffen eine Bindung zur Kirche, die bei vielen Menschen sonst gar nicht mehr vorhanden wäre.
Doch darum geht es nicht. Die BEK ist dazu verdammt, alles, wirklich alles, auf den Prüfstand zu stellen. Sie muss in den nächsten sieben Jahren auf fast ein Drittel ihrer Ausgaben verzichten. Das geschieht aus purer Not, weil wegen des eklatanten Mitgliederschwunds die Einnahmen weggebrochen sind. Der Betrieb kann in seiner bisherigen Form nur deshalb aufrechterhalten werden, weil die BEK über Rücklagen verfügt – noch, denn sie schmelzen rapide dahin. Seit vier Jahren hat es nur auf diesem Wege einen ausgeglichenen Haushalt gegeben.
Schmerzhafte Einschnitte sind programmiert, es geht ans Eingemachte, kein Zweifel. Nur wie soll das funktionieren, wenn gleich beim ersten Versuch, das Angebot zu verringern, um Kosten zu sparen, aus dem Kirchenvolk ein lautes Nein erschallt?
In einem Jahr, so der Plan, soll es die Beschlüsse zu künftigen Schwerpunkten und Kürzungen ab dem Haushaltsjahr 2025 geben. Vorbereitet werden sie unter anderem von einer eigens eingesetzten Koordinierungsgruppe. Auf besonders großen Widerhall ist dieses Gremium bei den Gemeinden bisher aber nicht gestoßen. Warum? Weil die Gemeinden anderes zu tun haben und die Kirchenvorstände nebst Pastorinnen und Pastoren ohnehin bis zur Halskrause in Arbeit stecken? Oder liegt das geringe Interesse am Vorgang selbst, am Sparzwang, dem man sich nicht so ohne Weiteres beugen will?
Bremen ist in mancherlei Hinsicht eigenartig, das trifft auch und ganz besonders auf die Religionsgemeinschaft der Protestanten zu. Wenn Kuschnerus im Fernsehinterview beteuert, nichts von oben herab verordnen zu wollen, spricht er etwas aus, was gar nicht anders gesagt werden kann. Der Schriftführer, die Präsidentin, der gesamte Kirchenausschuss sind qua Verfassung dem Kirchenparlament unterworfen, und das wiederum setzt sich aus den Gemeinden zusammen. Jede davon ist quasi eine eigene Kirche mit eigenem Bekenntnis und eigener Ordnung. Mehr Autonomie geht nicht – ein Status, den es nicht noch einmal gibt im Gebilde der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Kirchen haben immer weniger Mitglieder
Als die BEK im vergangenen Jahr eine neue Verfassung schmieden wollte, reichte nur der vage Verdacht, dass die Gemeinden in ihrer Eigenständigkeit eingeschränkt werden könnten, um den Entwurf zu verwerfen. Vorausgegangen waren ein jahrelanger, transparenter Meinungsbildungsprozess und beharrliche Überzeugungsarbeit der Kirchenleitung. Sie hat, könnte man sagen, mit Engelszungen geredet. Doch es half nichts. Bei vielen Gemeinden blieb das Gefühl, vereinnahmt zu werden. Sie fremdeln grundsätzlich mit der Gesamtkirche und wittern oft Ungemach, wenn von der Seite etwas kommt. Unter Christen, dann noch der gleichen Konfession, eigentlich ein Unding, einander so wenig Vertrauen entgegenzubringen.
Es ist vertrackt. Einerseits die schöne, fast überbordende Vielfalt in der BEK. Die Freiheit der Gemeinden, ihren Glauben so auszulegen und zu leben, wie sie es möchten. Das reicht von der ultrakonservativen Martinigemeinde bis zur strikt linken Friedensgemeinde, um die beiden Pole zu nennen – viel Durcheinander, aber zuweilen auch gegenseitige Inspiration.
Andererseits besteht die Notwendigkeit, sich den Realitäten zu stellen. Den Kirchen, nicht nur der evangelischen, gehen die Mitglieder verloren. Bei der BEK sind es in 50 Jahren zwei Drittel weniger geworden. Zwei Drittel! Das ist ein Grund, nicht der einzige, weshalb die beiden großen christlichen Gemeinschaften in Deutschland gesellschaftlich nicht mehr wirklich durchschlagen. Die Seele findet ihren Trost oft woanders, wenn überhaupt. Den Kirchen ist ein Stück Bindekraft verloren gegangen, sie stehen damit nicht allein, anderen Großorganisationen geht es ähnlich. Mit dem Kopf im Sand wird die Sache aber nicht besser. Mit reiner Blockade auch nicht, wenn Veränderungen angestoßen werden.
Die Einheitskirche will in Bremen niemand, auch die BEK-Oberen nicht. Sie halten an der Grundstruktur fest, fordern aber ein Dach, das wetterfest ist. Die BEK muss einen riesigen Apparat verwalten, mit immer noch rund 160.000 Mitgliedern, 2400 Beschäftigten und einem Haushalt von knapp 60 Millionen Euro. Dafür, sagt die Kirchenleitung, benötigen wir mehr professionelle Begleitung und eine moderne Verfassung. Die aktuelle Variante stammt aus dem Jahr 1920.
Der Vorschlag, die Verfassung zu reformieren, sah unter anderem vor, das Amt des Schriftführers aufzuwerten. Die Bezeichnung ist in diesem Zusammenhang ein Unikum und führt in die Irre. Die Aufgabe ist ja nicht, Protokoll zu führen und auf die formale Ordnung zu achten, wie das in Vereinen praktiziert wird. Der Schriftführer in der BEK, stets ein ordinierter Pastor oder eine Pastorin, ist der geistliche Repräsentant der bremischen Protestanten. Er sollte, so die Idee, zum Kirchenpräsidenten aufsteigen und einen hauptamtlichen Vize bekommen, einen Juristen. Die bisherige Präsidentin sollte Präses werden.
Pustekuchen. Auch daraus ist nichts geworden. Wieder dieser Argwohn. Die Gemeinden sahen schon einen Bischof um die Ecke lugen, jemanden, der ihnen möglicherweise die Leviten liest. Das Projekt wurde abgeblasen, ohne Wiedervorlage. Und so steht die BEK bei allen ihren Problemen einfach nur still. Sie kann sich das so gerade noch leisten, organisatorisch und finanziell. Lange aber sicher nicht mehr.