Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Premiere im Theater Bremen "Don Quixote": Ritterin von der traurigen Gestalt vergaloppiert sich

Im Theater Bremen erzählt Regisseurin Caroline Anne Kapp die Geschichte des Don Quixote aus feministischer Sicht nach einem Buch von Kathy Acker aus den 80ern. Das gelingt ihr nicht wirklich überzeugend.
18.03.2024, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Sebastian Loskant

Wie Frauen in der westlichen Welt wahrgenommen und behandelt werden, ist immer noch ein Thema mit Aufregerpotenzial – der aktuell wieder hochkochende Fall Kasia Lenhardt, die Exfreundin des Fußballers Jerome Boateng, zeigt es. Dass die Diskussion indes durch das Kammerspiel "Don Quixote" neue Impulse erhält, das Regisseurin Caroline Anne Kapp im Kleinen Haus des Theaters Bremen, nach Miguel de Cervantes’ Roman von 1605/15, Kathy Ackers feministischer Travestie "Don Quixote: Which was a Dream" von 1986 und weiteren Texten zusammengestellt hat, darf bezweifelt werden.

Die wilde Collage widersprüchlicher bis widersinniger Aussagen, die sich zwischen Experimentalhörspiel und philosophischem Oberseminar bewegt, wirkt wie eine Nachwehe der 68er-Dispute. Streckenweise so verquast wie eine Rede von Rudi Dutschke, bietet sie kaum Momente, um geistig Tritt zu fassen. Schwarz-Weiß-Malerei inbegriffen: Kapitalismus und Patriarchat sind irgendwie immer schuld. Und die Darbietung des charmanten jungen Darstellertrios erinnert in ihrer Sprunghaftigkeit und Nabelschau ("Seherin"-Tattoo, nackte bemalte Brüste) an einen Kinderspielplatz. Da nützt es nicht einmal, sich über die Vorlagen zu informieren.  

Das Original: Die mehr als 1000 Seiten des berühmten spanischen Romans zu lesen, hilft allenfalls, zwei, drei Szenen neben dem berühmten Kampf mit den Windmühlen zu identifizieren. Zur Orientierung reicht der Klappentext. Wie in einem Roadmovie reitet ein armer Landadeliger, der sich nach übermäßiger Romanlektüre für einen Ritter hält, auf dem Ross Rosinante durchs Land, um für seine Fantasie-Herzensdame Dulcinea Heldentaten zu vollbringen. Sein dicker Diener Sancho Pansa folgt ihm als Knappe.

Die Travestie: Auch die Mühe, den seit 35 Jahren vergriffenen "Don Quixote" der New Yorker Avantgarde-Literatin Kathy Acker (1947-1997) auf Deutsch aufzutreiben, lohnt nicht wirklich. Die "Queen of Punk", erst Bürgerschreck, dann Popikone, war als Studentin eine Weile als Striptänzerin tätig und verarbeitete ihre Erfahrungen mit der Männerwelt in ihren Büchern (wobei sie ungeniert bei männlichen Autoren abschrieb). Bei Acker ist Don Quixote eine Frau (aber keine Doña), die, als Ritterin gepanzert, vergeblich nach Liebe sucht. Sancho Pansa mutiert zum heiligen Simenon, der sich in einen Hund verwandelt. Das ist so weit weg vom Original, dass der Rückbezug kaum noch einleuchtet.

Die Regisseurin: Schon leicht verwirrt, hofft man auf Aufklärung in dem Interview, das die Regisseurin auf der Theater-Homepage gibt. Darin verweist Caroline Anne Kapp auf die Verwundbarkeit des weiblichen Körpers in der patriarchalischen, kapitalistischen Gesellschaft. Aber auch die Verletzungen durch das "brutale System Bühne", bei dem die Schauspieler ebenso vulnerabel seien. Ganz abgesehen davon, dass hier ein Frauenbild der 80er reaktiviert wird und sich viele Frauen heute keineswegs mehr in der Opferrolle sehen mögen, wirkt auch die Sicht auf den eigenen Berufszweig mimosenhaft: Mancher Kommunalpolitiker hat mehr auszuhalten als ein Bühnenkünstler.

In der Umsetzung führt Kapps Ansatz dazu, dass die drei Schauspieler das Publikum "zum Subjekt erklären" und erst einmal befragen. Wer hier ist eine Frau? Wer ist verliebt? Ähnlich erkundigte sich einst Rosa von Praunheim nach den erotischen Vorlieben seiner Zuschauer. Das erwartbare Ergebnis auch diesmal: Verschämtes Kichern, nur wenige Hände gehen hoch. Dann wird der Sinn von Liebe mit allerlei Zitaten durchphilosophiert. Wonach die Aufführung in neun Kapiteln, neun "Ritten", die Befindlichkeiten des weiblichen Don Quixote ausbreitet.

Lesen Sie auch

Die Inszenierung: Zwei Schauspielerinnen und ein Schauspieler – alle drei redegewandt und trotzdem gelegentlich im Textwust stolpernd – führen vor weißer Wand zunächst durch einzelne Erlebnisse der Heldin. Quixote befreit einen vom Lehrer verprügelten Jungen, schlägt 400 Männer (die Windmühlen!) in die Flucht, erlebt, wie ein Selbstmörder aus unglücklicher Liebe zu Grab getragen wird. Die Stellwand kracht um, dass der Wind über die Tribüne fegt, fortan geht es um emotionale Zustände der Titelfigur ("Erkenntnis", "Einsamkeit"); die Zwischentitel, nun am Boden, lassen sich schlechter lesen. Am Ende liegen alle halb nackt auf einer Schräge im Regen, ein pessimistisches Schlussbild.

Shirin Eissa spielt die Hauptfigur. Mit erstauntem Blick ins Publikum wirkt diese Ritterin so naiv wie einst Giulietta Masina; nur inszenierte Fellini das Mädchen auf der Straße in glaubhafterem Kontext. Jorid Lukaczik hält einen wuchtigen Monolog, wenn sie sich gegenüber ihrem toten Liebhaber rechtfertigt. Und Jan Grosfeld sammelt Lacher, wenn er als Hund immer wieder ein "Wuff" einwirft. Das sind jedoch letztlich wie die sparsamen szenischen Elemente (Plastikcapes, vereiste Grabsteine) nur Bühnenkniffe, um die Aufmerksamkeit wachzuhalten, die angesichts vieler Plattitüden über die Liebe ("Deine Augen sind die Herrin meiner Freiheit") schnell erlahmt.

Fazit: Am Ende muss die Realitätsferne der Titelheldin den Wortqualm entschuldigen, mit dem Label "Wahnsinn" lässt sich ja alles begründen. Das gute Darstellertrio ist zu bedauern. Seine Kunst wird verschwendet – an verbales Springkraut im Elfenbeinturm.

Info

Weitere Aufführungen: 24. März, 18 Uhr, 10. und 19. April, 16. Mai, jeweils 20 Uhr. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)