Manchmal steht Axel Stiehler in seinem kleinen Zimmer im sechsten Stock eines Gebäudes am Europahafen und kurbelt sich die Arme müde. Dann steht vor ihm eine historische Druckerpresse aus den 50er-Jahren, und um sich herum hat er frisch beschriftete Buch-Umschläge ausgelegt wie ein Bäcker Brötchen auf dem Backblech. Papier einspannen, die Presse vorkurbeln und zurück über die Druck-Form, dann ausspannen und von vorn. 500 Umschläge braucht er für eine Auflage seiner sogenannten Pressendrucke. Zuletzt: schwarze Farbe auf grünem Kartonpapier – "Über die Gleise" von der schwedischen Autorin Majgull Axelsson.
Stiehler ist gelernter Drucker und Grafiker. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er den Logbuchladen in Walle. 2014 haben sie mit der Herausgabe ihrer Drucke begonnen. Kleine Hefte, inzwischen zehn an der Zahl, mal mit Erzählungen, mal mit Cartoons, mit Prosa oder Lyrik. Von lebenden Bremer Schriftstellerinnen bis zu längst verstorbenen Verfassern von Weltliteratur. Kaufen kann man die so entstandenen Hefte einzeln oder aber als gesammelte Werke in einer Box. Jedes ist innen und außen illustriert, jeder Umschlag von Hand bedruckt und gefaltet, jedes einzeln nummeriert.
"Mittlerweile gibt es Menschen in ganz Deutschland, die unsere Reihe sammeln", sagt Stiehler. Zunächst war der Zuspruch überschaubar, dann aber kam der Durchbruch mit Mary Shelley, der Schriftstellerin, die einst mit dem Schauerroman "Frankenstein oder Der moderne Prometheus" Weltruhm erlangte. Ihr ist Band sieben gewidmet. Shelley war kurz nach der Veröffentlichung von "Frankenstein" nach Italien gereist, wo sie 1820 die Erzählung "Maurice oder Die Fischerhütte" für die Tochter eines befreundeten Paares schrieb. Diese Erzählung galt lange als verschollen und tauchte erst 1997 in einem Archiv wieder auf. Und weil große Verlage ob der Kürze des Textes bisher einen Bogen um ihn machten, gibt es die deutsche Erstausgabe nun exklusiv in Walle zu kaufen.
Möglich ist das, weil das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod des Autors oder der Autorin verjährt. Dann können auch kleine Verleger große Namen abdrucken, ohne die üblicherweise fälligen Lizenzgebühren an die Rechteinhaber zahlen zu müssen. Das gilt für Shelley, genauso wie für Edgar Allan Poe, dessen "Sturzfahrt in den Mahlstrom" ebenfalls Teil der Pressen-Reihe ist. Kurios dabei: Die erste deutschsprachige Übersetzung des Textes sei 1852 in Bremen erschienen, im Bremischen Beobachter, erzählt Stiehler.
Auf die Idee, den gesamten Text eines Buches per Hand zu drucken, würde heute wohl kaum jemand kommen. Schon der Umschlag ist im wahrsten Sinne des Wortes Stückwerk. In einem Rahmen wird jeder einzelne Buchstabe an seinen Platz gesetzt. Sie werden mit Metallplatten fixiert, wenn der Drucker den Rahmen verschließt. Passt nach dem Druck etwas nicht, beispielsweise die Abstände zwischen den Buchstaben, wird wieder aufgeschlossen und durch Einsetzen oder Herausnehmen von hauchdünnen Bleistreifen der Abstand verändert – ein Steckkastenprinzip. Letterpress heißt die Technik heute, Johannes Gutenberg hätte einfach Buchdruck gesagt.
Auf der Suche nach solchen Buchstaben-Sätzen durchforstet Axel Stiehler das Internet. Es gibt da einen Händler in Italien, bei dem man aber schnell sein muss, wenn das Angebot online geht. Manches bekommt er auch von Kunden oder wenn alte Druckereien schließen. "Ich nehme alles, was ich kriegen kann", sagt er, schließlich ist das Angebot nicht gerade üppig. Ein Satz kostet dann meist zwischen 120 und 300 Euro, zumindest, wenn er vollständig ist.
In seiner Werkstatt stapeln sich die Buchstaben in den Regalen und Schränken. Irgendwas zwischen 100 und 120 verschiedene Schriften in unterschiedlichen Größen bewahrt er hier auf. Große aus Holz, kleine aus Blei, mal im "Western-Stil" mit Serifen, mal kursiv, mal mit, mal ohne ß, é und ü. Und weil hier eine Ecke abgebrochen oder dort ein Kratzer ist, gleicht kein "ei" dem anderen. So ist es auch bei seinen Heften: Jeder Druck ist anders als der vorherige, ein kleines bisschen. Einzigartig. Darum nimmt Stiehler die Mühe ja auf sich. Auch wenn es eine Heidenarbeit ist.