Es war einmal ein kleiner Garnichts, der auf dem Dachboden vergessen wurde, als seine Familie umzog. Doch die Katze der Familie schnappte ihn sich und brachte ihn mit ins neue Zuhause. Was dort passiert? Und wie es dem kleinen Garnichts gelingt, sich wieder an sich selbst zu erinnern? Das und noch so viel mehr zeigen zehn Junge Akteure und Akteurinnen des Bremer Theaters in ihrem neuen Stück "Einsamkeiten", das am Sonnabend seine Premiere im Brauhaus feierte.
Wie fühlt sich Einsamkeit an? Warum reden wir so ungern über sie, und muss sie wirklich immer etwas Negatives sein? Mit diesen Fragen haben sich die Darsteller und Darstellerinnen, alle zwischen 14 und 20 Jahren alt, gemeinsam mit Autorin Theresa Kleiner, Choreografin Birgit Freitag, Regisseurin Christiane Renziehausen und Dramaturg Jordan Luke Tanner auseinandergesetzt und sie in einzelnen kleinen Szenen, die ineinander verschwimmen – mal sprachlich, mal rein durch Bewegung – beantwortet.
Das gerät mal überaus rätselhaft und bietet viel Interpretationsfreiraum, mal sind die Szenen auch sehr eindeutig. Immer aber sind sie überaus kurzweilig und vor allem ehrlich. Dann zum Beispiel, wenn Rieke Janßen und Casper Eberley von Momenten berichten, in denen sie sich trotz Gesellschaft einsam und missverstanden gefühlt haben. So sehr, dass sie nur noch schreien oder gar weglaufen wollten. Oder als Victoria Nerubashchenko schildert, wie es sich anfühlt, sein Zuhause verlassen zu müssen und allein in einem fremden Bett zu liegen, in dem man keinen Schlaf findet.
Doch es gibt auch humorvolle Szenen, zum Beispiel, wenn Helen Vey und Marie Blum unisono von ihrer jährlichen Sommerseuche berichten, die sie stets erwischt, wenn andere in die Ferien fahren, sodass nichts weiter bleibt, als sich die Zeit ganz alleine damit zu vertreiben, die Eissorten der Dielen in der Umgebung zu testen und zu vergleichen. Oder als Vey und Vinnie Feiertag auf der Tanzfläche vergessen, das Miteinander zu genießen, weil jeder nur damit beschäftigt ist, sich über die Wirkung auf den jeweils anderen zu sorgen.
Mal berichtet Meryem Özkan von ihrer besten Freundin, die aussieht wie ein Model und – wie sich herausstellt – ein Chatbot ist, Mal stellt Vivianné Rempinski dem Publikum "36 Fragen zum Verlieben", mal nimmt das Ensemble die Zuschauer mit auf eine albtraumhafte Traumreise.
Und sehr oft wird getanzt. Manchmal im Einklang, an anderer Stelle gibt es einzelne Personen, die ausbrechen, nicht schritthalten können (oder wollen). Mal wird aus einsamen Tänzern eine Gemeinschaft, aus vorsichtigen Annäherungen ein freies und ausgelassenes Miteinander. Mal wirkt das Tanzen eher wie Gruppenzwang: lieber einfach mitmachen, anstatt negativ aufzufallen. Lieber mit dem Strom schwimmen, als einsam sein – auch wenn es sich falsch anfühlt.
Psychedelische Bühnenelemente
Jedes Ensemblemitglied hat seine Momente, um zu glänzen – ebenso glänzt das simple wie wunderbare Bühnenbild von Marthe Labes, bestehend aus psychedelisch leuchtenden Spielelementen und einem Haufen mysteriös beleuchteter Wasserbälle, die irgendwann aus ihrer Isolation ausbrechen.
Zum Schluss wird es dann noch einmal politisch, und die jungen Akteure und Akteurinnen rechnen mit den Parteien ab, die Einsamkeit noch immer als individuelles statt politisches Problem betrachten. Die sogenannten Dritten Orten, also Räumen abseits von Schule, Arbeit und dem Zuhause, an denen man sich treffen kann, die Förderung streichen. Die Botschaft des Ensembles ist am Ende des Abends definitiv beim Publikum angekommen: Einsamkeit geht uns alle an. Sie kann auch Chancen bieten. Aber wir müssen ihr zweifelsohne mehr Aufmerksamkeit schenken.